Luther, Martin – An Staupitz. Aus dem Lateinischen. Wittenberg den 31. März 1518

Segen von Christo zuvor! Im Herrn geliebter Vater! Wegen meiner Überbürdung mit Arbeit kann ich Euch nur ganz kurz schreiben. Zunächst glaube ich Euch aufs Wort, daß mein Name in weiten Kreisen in üblem Geruch steht. Denn die braven Leute legten mir schon längst zur Last, daß ich Rosenkranz-, Kronen-, Psalter- und andere Gebete, ja überhaupt alle guten Werke verworfen hätte. So ist es auch St. Paulo von denen ergangen, die behaupteten, daß er lehrte: „Lasset uns Übles tun, auf daß Gutes daraus komme!“ Was mich betrifft, so folge ich der Theologie, die sich bei Tauler und in dem Büchlein1) findet, das Ihr neulich bei unserm Wittenberger Christian Döring zum Druck gegeben habt, und so lehre ich, daß Christen auf nichts andres ihr Vertrauen setzen sollen denn allein auf Jesus Christus, nicht auf Gebete oder Verdienste oder gar ihre guten Werke, weil wir nichts durch unser Laufen, sondern durch Gottes Erbarmen selig werden sollen. So sehen die Predigten aus, aus denen sie die Giftkörner ausmünzen, die Ihr sie ausstreuen sehr. Aber um guter oder schlechter Nachrede habe ich mein Werk nicht angefangen, werde es darum auch nicht lassen. Der Herr möge ein Einsehen haben. Diese Gegner schüren auch gegen mich, weil ich den Scholastikern die Kirchenlehrer und die Bibel vorziehe, und sie werden geradezu unsinnig vor hitzigem Eifer. Ich lese die Scholastiker mit freiem Urteil und nicht mit geschlossenen Augen, wie sie. So hat es uns der Apostel angewiesen: „Prüfet alles, und das Beste behaltet!“ Ich verwerfe nicht alle ihre Sätze, aber ich erkenne sie auch nicht alle an. Aber das ist die Art dieser Großsprecher: aus einer Kleinigkeit machen sie ein Großes, aus einem Fünkchen ein loderndes Feuer und aus einer Mücke einen Elefanten. Aber mit Gottes Hilfe schere ich mich nicht um solche Fratzen. Worte, nichts als Worte sinds und bleibens. Wenn Skotus, Gabriel Biel und ihresgleichen von Thomas abweichen durften, wenn die Thomisten der ganzen Welt ins Gesicht widersprechen dürfen, wenn es innerhalb der Scholastik so viele Sekten gibt als Köpfe und Haare auf jedem dieser Scholastikerschädel: warum soll ich nicht dieselbe Befugnis gegen sie haben, die sie gegen sich selber für sich als gutes Recht in Anspruch nehmen? Aber wenn Gott das Werk führt, da ist niemand, der es wenden kann. Wenn er die Hand ruhen läßt, ist niemand, der es vorwärts bringen kann. Lebt wohl und betet für mich und die göttliche Wahrheit, sie sei auf welcher Seite sie wolle.

Wittenberg am 31. März 1518

Bruder Martinus Eleutherius, Augustiner.

1) Staupitzens Buch „Von der Liebe Gottes“

 

Quelle:
Martin Luther Briefe In Auswahl herausgegeben von Reinhard Buchwald Erster Band Leipzig / Im Inselverlag / mdccccix

Luther, Martin – An Sylvius Egranus, Prediger in Zwickau. Aus dem Lateinischen. Wittemberg den 24. März 1518

Segen von Christo voran! Ich habe die Thesen des Doktor Hieronymus Ochsenfart zu Gesicht bekommen, die er offenbar wider Euch zusammengeschmiert hat, freilich ohne Euren Namen zu nennen. Lieber Herr Egranus, seid standhaft und mutig, denn all das muß so zugehen. Wenn Euer Werk von dieser Welt wäre, würde die Welt liebhaben, was ihr eigen ist. Alles, was in der Welt ist, muß in der Welt sterben, damit der Geist verherrlicht werde. Wenn Ihr klug seid, wünscht mir Glück, wie ich es Euch tue.

Gegen meine „Thesen“ hat letzthin ein geachteter, wirklich kluger und gebildeter Gelehrter, der, was mich noch mehr schmerzt, mir durch eine junge, rege Freundschaft verbunden war, eine Reihe „Obelisken“ geschrieben. Es ist der bekannte Johannes Eck, Doktor der Theologie, Prokanzellar der Universität Ingolstadt, Kanonikus von Eichstätt und jetzt auch Prediger beim Augustinerkloster; er hat schon einen berühmten Namen und ist auch durch Bücher bekannt geworden. Kennte ich nicht die Gedanken Satans, so würde ich mich über die Verblendung wundern, mit der er unsere junge, schöne Freundschaft zerbricht, ohne mich vorher zu mahnen oder zu schreiben oder Abschied zu nehmen.

Er hat also „Obelisken“ verfasst, in denen er mich als giftigen Böhmen, Ketzer, Aufrührer, als dreist und leichtfertig verschreit; leichtere Schmähungen will ich gar nicht erwähnen, wie wenn er mich verschlafen, unfähig, unwissend, schließlich auch Verächter des Papstes betitelt. Kurz und gut, nichts als die schmutzigsten Schimpfereien, mit ausdrücklicher Nennung meines Namens und Anführung meiner Thesen. Und so ist das ganze Buch voll blassen, gelben, wütenden Neides und Hasses.

Trotz alledem war es meine Absicht, diesen wahren Hundefraß mit Geduld hinunterzuschlucken. Jedoch die Freunde haben mich zu einer Antwort gezwungen, die ich aber nicht veröffentliche, sondern ihm nur selber zugehen lasse. Gepriesen sei der Herr Jesus, und ihm allein sei die Ehre, uns mag nach Verdienst die Schmach bedecken. Seid fröhlich, lieber Bruder, seid fröhlich und lasst euch nicht von solch ein paar fliegenden Blättern abschrecken, weiter zu lehren, wie Ihr begonnen habt; richtet Euch vielmehr auf wie die Palme in Cades gegen das Gewicht, das sie niederdrücken will.

Was mich anbetrifft, so gehe ich um so viel weiter, je mehr die Feinde toben; ich lasse das eine hinter mir, und sie mögen es anbellen; ich verfolge neue Fragen, damit sie dann auch diese anschreien! Fahrt mit Erfolg fort und betet nur zum Herrn, dass er selber seines Namens Ehre wirkt und dass sein Wille geschehe. Dem Doktor Hieronymus Ochsenfurt habe ich geschrieben, daß ich Eure Behauptungen nicht für irrtümlich, sondern für wahr, seine Thesen dagegen zum großen Teil für falsch halte und dass ich selber bereit bin und auch darauf baue, dass Ihr meine wie Euere Irrtümer verteidigt. Was sie aber aus den scholastischen Doktoren vorbrächten, damit richteten sie bei uns gar nichts aus und verschwendeten bloß nutzlos Worte.

Ich bin nahe daran, zu behaupten, es gibt in der ganzen Scholastik und zumal in Leipzig keinen Theologen, der ein einziges Kapitel des Evangeliums und überhaupt der Bibel oder auch der Philosophie des Aristoteles versteht. Das hoffe ich mit Ehren beweisen zu können, wenn man mir eine Rechenschaftsablage ermöglicht. Es müsste denn heißen das Evangelium verstehen, wenn einer tote Worte macht, es sei gehauen oder gestochen. Darum keine Furcht vor der Unwissenheit! Laßt Euch von den großklingenden Titeln von Doktoren, Universitäten, Magistern nicht beeinflussen; das sind ja bloße Fratzen und Masken; fürchtet sie nicht, wo Ihr ihnen doch ins Herz seht; fürchtet nicht hohlen Tand und Flitter! Der Herr mag Euch nur die Larven recht erkennen lassen und Euch stärken; lebt wohl in ihm

Wittenberg Tags vor Mariä Verkündigung 1518

Martinus Lutherus, Augustiner

Quelle:
Martin Luther Briefe In Auswahl herausgegeben von Reinhard Buchwald Erster Band Leipzig / Im Inselverlag / mdccccix

Luther, Martin – An Johann Lange (21.3.1518)

Wider mich donnern die Ablaßkrämer von der Kanzel herab, daß sie fast nicht schimpfliche Namen genug haben mich damit zu nennen; sie drohen auch und verheißen dem Volk, der eine, daß ich in vierzehn Tagen, der andere ehe ein Monat vergangen, verbrannt sein solle. Auch geben sie Streitsätze aus, so daß ich fürchte, sie werden noch vor viel und großem Zorn bersten. Die Freunde rathen mir, daß ich nicht nach Heidelberg gehen soll, damit sie nicht durch Tücke und Aufpassen vollbringen, was sie mit Gewalt nicht können. Ich will aber doch gehorsamen und zu Fuße kommen und geliebt’s Gott durch Erfurt reisen: wartet aber nicht auf mich, denn ich werde mich kaum die Mittwoch nach Quasimodogeniti auf die Reise machen. Unser Fürst, der dem ernstlichen Studium dieser Theologie herzlich zugethan ist, nimmt mich und Karlstadt ungebeten eifrig in Schutz und will durchaus nicht zugeben, daß sie mich nach Rom locken: welches jene wohl wissen und sich halb todt ärgern.

Daß ihr aber doch Nachricht habt, wenn ihr irgend etwas von Verbrennung der Tetzel’schen Sätze hören solltet und daß keiner die Sache vergrößere, so ist die Geschichte so: die Studenten, die auf das alte sophistische Wesen sehr verdrüßlich sind und hingegen nach der heiligen Bibel groß Verlangen tragen, auch wohl um meiner Gunst willen, hatten gehört, es wäre ein Mann aus Halle gekommen, der sei von Tetzel, dem Urheber der Sätze, geschickt. Sogleich sind sie zu ihm gegangen und haben den Mann bedroht, daß er dergleichen hierher zu bringen wage: einige haben etwas gekauft, andere aber auch ihn geplündert und das Uebrige ungefähr 800 Zeddel verbrannt, nachdem sie vorher kund gemacht und ausgerufen, daß, wer bei dem Verbrennen und dem Leichenbegängniß der Tetzel’schen Sätze sein wolle, sich um 2 Uhr auf dem Markte einfinden möchte. Und das Alles ohne Vorwissen des Fürsten, des Raths, des Rectors und unser allerseits. In der That ist mir und Allen das große Unrecht, das diesem Manne von den Unsrigen widerfahren ist, sehr zuwider. Ich bin außer Schuld, glaube aber doch, daß man mir Alles zuschreiben wird. Es ist überall viel Redens , am meisten aber bei Jenen und wird nicht unbillig von ihnen gezürnt. Was daraus werden wird, weiß ich nicht, nur daß meine Gefahr dadurch noch gefährlicher wird.

Wittenberg am Tage des h. Benedict (21. März) 1518.

Quelle:
Hase, Carl Alfred – Luther-Briefe in Auswahl und Uebersetzung für die Gemeinde herausgegeben Leipzig, Druck und Verlag von Breitkopf und Härtel 1867

Luther, Martin – An Christoph Scheurl, vom 5ten März 1518

Dem Woledeln, hochgelahrten Herrn Christoph Scheurl, meinem in Christo achtbaren Freunde.

Jehsus!

Meinen Gruß! Ich habe von Euch, mein bester hochgelahrter Christoph zween Briefe, einen lateinischen und einen deutschen sammt dem Geschenke von Albrecht Dürer, diesem vortreflichen Manne, und meine lateinischen und deutschen Positionen empfahen. Es nahm Euch Wunder, daß ich sie den Eurigen nicht mitgetheilt habe. Allein es war nicht meine Absicht noch Wunsch, daß sie allgemein verbreitet werden sollen. Ich dachte nur sie mit einigen wenigen Gelehrten hier, und in der Nähe herum zu prüfen, um sie, würden sie nach deren Aussprache verworfen, zu unterdrücken, oder sie öffentlich durch den Druck bekannt zu machen, wenn sie sie gutheißen. Nun aber werden sie, was ich nie geglaubt hätte, allenthalben aufgeleget und übersetzet, daß es mich dieser Geburt gereuet; nicht als wär ich nicht geneigt, die Wahrheit männiglich bekannt zu machen, da ich doch nichts so sehnlich wünschte als dieses, sondern weil diese Art das Volk zu unterrichten nichts tauget. Denn ich stehe selbst noch in einigen Punkten an, andere würd ich genauer bestimmet, andere ganz weggelassen haben, wenn ich dieses voraus gesehen hätte. Obgleich ich aus dieser so schnellen Verbreitung leicht abnahm, was der größeste Theil der Nation von dieser Art Ablaße halte, ob er es gleich zurückhält, aus Furcht vor den Juden; so seh ich mich doch genöthiget, die Beweise meiner Sätze bereit zu halten, obschon ich sie noch nicht herausgeben konnte, weil der Hochwürdige und gnädige Bischof von Brandenburg, den ich hierüber zu Rath zog, durch viele Geschäfte verhindert, mich so lange aufzeucht. Ja wenn mir der Herr Muße giebt, so bin ich Willens, ein Büchlein über die Kraft des Ablasses ausgehen zu lassen, um jene berichtigten Sätze zu unterdrücken. Ich zweifle nun keines Weges mehr, daß das Volk getäuschet werde, nicht durch die Abläße, sondern durch deren Gebrauch. So bald ich diese Sätze werde vollendet haben, so will ich sie Euch zusenden.

Indeß bitt ich Euch, empfehlet mich Albrechten Dürer, diesem braven Manne, und versichert ihn meines stets dankbaren Herzens. Aber dieses forder ich von Euch und ihm, daß ihr beide eure übertriebene Meinung von mir ableget, und nicht mehr von mir verlanget, als ich zu leisten im Stande bin: ich vermag aber und bin so gar nichts, und werde tagtäglich nichtiger. Ich schrieb neulich an D. Joh. Eck und euch allen Briefe; allein ich sehe nicht, daß ihr sie erhalten habet. Mich verlangt es sehr, daß jene Schrift unsers wohlehrwürdigen Pater Vikarius, von der Liebe, die erst neulich erschien, und zu München so viel Aufhebens machte, bey euch noch einmal aufgeleget würde. Denn uns hungert und dürstet darnach ungemein. Hiermit Gott empfohlen. Wittenberg den 5ten März 1518.

Bruder
Martin Luther.

Quelle:
D. Martin Luthers bisher grossentheils ungedruckte Briefe. Nach der Sammlung den Hrn. D. Gottf. Schütze, aus dem Latein übersetzt. Erster Band. Leipzig, in Kommission bey Christian Friderich Wappler. 1784.

Luther, Martin – An Georg Spalatin (15.2.1518)

Heil! Wie ihr mir schreibt oder vielmehr vorschreibt, daß ich thun soll, das thue ich, mein werthester Spalatine! und danke durch euch dem durchlauchtigsten Fürsten für das schöne, ja ganz fürstliche Wildpretfleisch, das er unsern neuen Magistris geschenkt hat; ich habe auch erzählt, daß es der Fürst allen verehret. Es hat mir aber gar sonderlich und am allermeisten das Gemüth dieses gnädigsten und mildesten Fürsten gefallen, weil auch der Mensch einen fröhlichen Geber lieb hat.

Ihr fügt wiederum zwei kleine Fragen an. Die eine: Was einer, der opfern oder sonst ein gut Werk thun will, für Absicht oder Gedanken haben müsse? Ich antworte kürzlich: Den Gedanken der Verzweifelung und der Zuversicht muß man bei jedem Werke haben. Der Verzweifelung nämlich, dein und deines Werkes halber: der Freudigkeit aber, Gottes und seiner Barmherzigkeit wegen. Denn so spricht der Geist: „Der Herr hat Gefallen an denen, die ihn fürchten und die auf seine Barmherzigkeit hoffen.“ Die andere Frage war von der Kraft des Ablasses, was er vermöge. Diese Sache ist noch zweifelhaft und mein Streit davon hängt noch unter den Lästerungen: doch will ich zwei Dinge sagen. Das eine euch und unsern Freunden heimlich, bis die Sache kund werde: daß es mir dünke, es sei mit dem heutigen Ablaß nichts als Täuscherei der Seelen und daß er gar für Niemand tauge, als für die, so auf dem Wege Christi faul sind und schlafen.

Das andre, welches ganz unstreitig ist, und welches auch meine Feinde gestehen müssen und die ganze Kirche, ist nämlich, daß Almosen und Gutthat gegen den Nächsten unendlich besser sei, als Ablaß. Darum rathe ich euch, daß ihr keinen Ablaß kaufet so lang ihr arme und dürftige Nächste findet, denen ihr geben könnet, was ihr für den Ablaß geben wolltet. Wenn du anders thust, so bin ich entschuldigt und liegt es au dir. Ich glaube gewiß, daß der Zorn verdiene, der den Armen verläßt und Ablaß kauft.

Eins will ich Euch melden, was mir sehr wehe thut, nämlich: eben die Zungendrescher und andre mit haben jetzt eine neue Rüstung erdacht und bringen überall aus, unser durchlauchtigster Fürst stecke hinter Allem, was ich thue, als ob ich durch ihn bewogen sei den Erzbischof von Magdeburg verhaßt zu machen. Lieber! rathet, was hierbei zu thun. Denn daß der Fürst meinethalben in Verdacht kommen sollte, thut mir herzlich leid, und daß ich an der Uneinigkeit zwischen so großen Fürsten schuld haben sollte, davor erschrecke und fürchte ich mich. Das will ich gerne leiden, daß mich der Fürst zu einer Disputation oder einem Gericht – wenn mir nur öffentlich Geleit gegeben wird -, darbiete: nur mögen sie den unschuldigen Fürsten nicht meinetwegen verhaßt machen. Was sind das für Ungeheuer und ein Volk der Finsterniß, dem Lichte feind! Den Johann Reuchlin haben sie über drei Länder weit gefunden und wider Willen hergezogen. Mich, der sie vor der Thüre dazu bittet und fleht, mögen sie nicht und plaudern das in Winkeln, was sie wohl sehen, daß sie nicht vertheidigen können. Aber lebt endlich wohl und verzeiht mir, daß ich zu viel und lange Worte gemacht, denn ich habe mit einem Freunde zu thun gehabt. Aus unserm Kloster den 15. Februar 1518.

Br. Martin Eleutherius, Augustiner.

Quelle:
Hase, Carl Alfred – Luther-Briefe in Auswahl und Uebersetzung für die Gemeinde herausgegeben Leipzig, Druck und Verlag von Breitkopf und Härtel 1867

Luther, Martin – An Hieronymus Scultetus, Bischof zu Brandenburg. 1518

Aus dem Lateinischen. Wahrscheinlich am 13. Februar 1518

Lieber Herr Bischof! Als jüngst in unserer Gegend neue und unerhörte Lehren vom päpstlichen Ablaß laut wurden und viele Gelehrte und Laien allenthalben in Verwunderung und Aufregung gerieten, da wurde ich von vielen, Bekannten und Unbekannten, schriftlich und mündlich befragt, was ich von diesen überraschenden, um nicht zu sagen ungebührlichen Äußerungen hielte. Eine Weile suchte ich auszuweichen, bis es zu heftigen Aussprachen kam, bei denen sogar das Ansehen des Heiligen Vaters Gefahr zu laufen drohte.

Was konnte ich tun? Etwas Bindendes zu äußern, lag außer meiner Gewalt, und ich empfand Scheu, den Ablaßhändlern entgegenzutreten, denen ich von Herzen wünschen mußte, daß ihre Predigt jedermann als lautere Wahrheit erscheinen möchte. Doch die andern erwiesen deren Lehre so beharrlich mit den klarsten Gründen als falsch und hohl, daß sie mich, das ist ungelogen, endlich völlig einschlossen und festlegten.

Um also beiden Teilen zu genügen, hielt ich es für den besten Ausweg, keinem zuzustimmen und keinem zu widersprechen, sondern über einen so wichtigen Gegenstand zu disputieren, bis die heilige Kirche festsetze, was zu glauben wäre. So ließ ich denn meine Thesen ausgehen, lud jedermann öffentlich zur Disputation ein und richtete dem Herkommen gemäß an alle Gelehrten die besondere Bitte, wenigstens brieflich ihre Ansicht kundzutun. Denn es schien mir, als ob weder die Bibel und die Kirchenlehrer, noch auch die Kanones selbst bis auf einzelne Verfasser, die sich dazu ohne Schriftbeleg äußerten, und bis auf ein paar Scholastiker, die gleichfalls ohne Beweis die gleiche Meinung verfochten, gegen meine Sätze sprächen.

Mir wenigstens erscheint es so unbegreiflich wie nur etwas, daß in der Kirche Dinge gepredigt und gelehrt werden sollen, die nur geeignet sind, sie ihren Feinden zu Hohn und Spott preiszugeben. Das muß aber geschehen, wenn sie über etwas Beschwerde führen, ohne daß wir Rechenschaft davon geben können.

Des weiteren gilt bei den Scholastikern und Kanonikern der Satz, daß kein Glaube beim Ablaß notwendig sei. Doch das ist weiter nichts als ihre ganz persönliche Ansicht; und das Sprichwort sagt: „Turpe est juristam loqui sine textu.“ (Es ist schimpflich, wenn ein Jurist ohne Text spricht.) Aber noch viel schändlicher ists, wenn Theologen „ohne Text reden.“ Die Scholastiker haben zwar Beweise aus Aristoteles, den sie immer und ewig heranziehen, nicht aber Beweise in unserm Sinne, keine aus der Schrift, keine aus den kirchlichen Kanones, und keine aus den Kirchenvätern.

Obwohl daher über diese Fragen die Ungewißheit so groß und ihre Bejahung unter Umständen so gefährlich war, erschien es mir doch als meine Aufgabe und meine Pflicht, sie zur Disputation zu stellen. Hatte doch von den scholastischen Disputationen noch niemand selbst die heiligsten und ehrwürdigsten Glaubenssätze auszuschließen gedacht, an denen jahrhundertelang kein Christ Zweifel erhoben hat.

Wie tief verworfen muß Gottesfurcht und Gottesdienst von Menschen sein, die keine Disputation über die Macht von Kirche und Papst dulden und die in diesen Fragen bloß stumme Treue und Dankbarkeit gelten lassen wollen! Schon das Stammeln des Kindes findet hier Ausdrücke der Entrüstung. Warum hüllen sie sich nicht in dankbares Schweigen und warum stellen sie nicht ihre albernen Disputationen ein, wenn es sich um Macht und Weisheit und Güte dessen handelt, der der Kirche erst jene ihre Macht verliehen hat? Nichts ist so verborgen in Gottes höchster Majestät und heiligster Menschlichkeit, das sie nicht mit ihren läppischen Tändeleien besudelt haben. Kein Herz kann man finden, aus dem sie nicht durch ihr ewiges Possenspiel mit Gott Liebe und Ehrfurcht getilgt haben. Doch davon ein andermal.

So forderte ich denn alle zu diesem Kampf heraus, doch niemand erschien. Dann bemerkte ich, daß meine Sätze in weitere Kreise drangen, als ich gewollt hatte, und allenthalben nicht als Thesen, sondern als Glaubenslehren aufgenommen wurden. So wurde ich denn gegen meine Erwartung und meinen Wunsch genötigt, mit meiner kindischen Unerfahrenheit an die Öffentlichkeit zu treten. Ich mußte den Thesen Erklärungen und Auslegungen folgen lassen; denn ich wollte lieber in die Schande der Unwissenheit fallen, als Menschen irre geleitet haben, die leicht alles für bare Münze nehmen. Einiges ist mir noch zweifelhaft, vieles weiß ich nicht, etliches leugne ich jetzt; aber nichts wage ich davon bindend zu behaupten, und alles unterwerfe ich dem Richterspruch unserer heiligen Kirche.

Bester Herr Bischof! Durch Christi Gnade seid Ihr mir zum Ordinarius gegeben. Ihr liebt die Ehrlichen und Unterrichteten – das wird von vielen und allenthalben gerühmt: und noch mehr, Ihr bringt ihnen auch in einzigartiger Freundlichkeit und Demut Verehrung und Achtung entgegen, so weit es Euch Eure priesterliche Würde nur irgend gestattet. Aber meine Schmeichelei soll verstummen, wenn sie auch nicht Euch, sondern die Gaben Gottes in Euch zu erheben trachtete. Jedenfalls ist es in der Ordnung, Euch, dem Aufsicht und Entscheidung über die wissenschaftliche Tätigkeit unserer Stadt zustehen, mein Werk zuerst zu bringen und in Eure Hand die erste Entscheidung zu legen.

Gnädigster Herr Bischof! Nehmt deshalb diesen meinen schwächlichen Versuch gütig auf, und damit alle sehen, wie fern mir dreiste Behauptungen liegen, erlaube ich Euch, ja bitte ich Euch auf den Knieen, verehrungswürdiger Vater, nehmt die Feder und tilgt aus, wovon es Euch nötig scheint, oder werft das Ganze ins Feuer, es soll mir nichts daran gelegen sein. Ich weiß, Christus bedarf meiner nicht und wird ohne mich kundtun, was seiner Kirche dient. Wenn das Werk nicht sein ist, soll es auch nicht mein sein; nichts und niemandes soll es sein, zumal da nach Gregor von Nazianz auch die Äußerung der Wahrheit, vor allem durch den Mund schwerer Sünder, für das Heil der Kirche bedenklich sein kann.

So erkläre ich denn hierdurch zu meiner Sicherheit, daß ich disputieren, nicht normieren wollte. Ja: disputieren und nicht normieren; und disputieren voller Furcht, aber nicht vor den Bullen und Drohungen von Menschen, die selbst ohne Furcht für ihre Hirngespinste Glauben fordern, als wären sie ein Evangelium. Nein, eben ihre Frechheit und ihr Unwissen hat mich gezwungen, meiner Furcht nicht nachzugeben. Wäre jene nicht so gewaltig gewesen, hätte nur mein Engel mich hören sollen. Nur das eine mußte mein Streben sein, niemandem der Anlaß zu Irrglauben zu werden. Den Ruhm soll der haben, des er allein ist, der gepriesen ist in alle Ewigkeit, der uns, lieber Herr Bischof, bewahre und uns regiere lange Zeit und zum Segen. Amen. Ich biete Euch meinen Segenswunsch und bitte Euch noch mehr um den Euren.

In unserem Kloster zu Wittenberg.

Quelle:
Martin Luther Briefe In Auswahl herausgegeben von Reinhard Buchwald Erster Band Leipzig / Im Inselverlag / mdccccix

Luther, Martin – An Spalatin. Aus dem Lateinischen. Wittenberg den 18. Januar 1518

Segen von Jesus Christus zuvor! Bester Herr Spalatin! Die Auskünfte, die Ihr bisher von mir begehrt habt, war ich fähig oder vermessen genug, zu erteilen. Wenn Ihr aber nun einen Wegweiser für die Durchforschung der Heiligen Schrift verlangt, so geht das weit über meine Kräfte; suche ich doch für mich selbst vergebens einen Führer in diesem unwegsamen Gebiete. Denn jeder denkt darin anders, und besonders gilt das gerade von den gelehrtesten und klügsten Köpfen. Da habt Ihr z.B. Erasmus, der dem heiligen Hieronymus diese Bedeutung in Theologie und Kirche öffentlich zuspricht und ihn allein gelten lassen will.

Wenn ich nun meinerseits den heiligen Augustin gegen ihn ausspiele, so wird man meine Entscheidung nicht allein wegen meiner Zugehörigkeit zu seinem Orden leicht als ungerecht verdächtigen, sondern auch wegen des verbreiteten und schon längst eingebürgerten Ausspruchs des Erasmus, “ es wäre die größte Schamlosigkeit, wolle jemand Augustin mit Hieronymus vergleichen.“ Auch andere Gelehrte haben ihre besondern Anschauungen in diesem Punkt. Ich selber möchte in Anbetracht meines geringen Wissens und meiner geringen Begabung nicht wagen, über so wichtige Fragen neben so maßgebliche Entscheidungen eine eigene zu stellen. Und schließlich hält mich von einer freien Aussprache meine Gewohnheit zurück, vor Männern, welche die wahre Wissenschaft aus Vorsatz hassen oder ihr aus Trägheit fremd sind – und wer gehört nicht zu diesem Kreis? – den Erasmus mit hohem Lob zu erheben, und ich hüte mich mit aller Kraft und allem Fleiß, mit Dingen herauszuplatzen, über die ich andrer Meinung bin als er, damit kein Wort von mir ihre Mißgunst gegen ihn verstärken soll. Wiewohl sich nun bei Erasmus vieles für die Erkenntnis Christi Unwesentliche findet – um als Theologe und nicht als Grammatiker zu urteilen -, so würde doch auch Hieronymus selbst, dessen Preis Erasmus mit so lautem Heroldsruf ertönen läßt, nirgends etwas Gelehrteres und Geistvolleres zu sagen wissen. Darum würdet Ihr Eure Freundespflicht verletzen, wolltet Ihr die Meinung, die ich über Erasmus hier ausspreche, irgend einen Dritten wissen lassen. Dies fordere ich mit gutem Bedacht von Euch. Ihr wißt, es gibt viele, die mit allem Fleiß nach Gelegenheit suchen, die wahre Wissenschaft zu schmähen. Haltet meine Worte also geheim und schenkt ihnen auch nicht eher Glauben, als Ihr selber gelesen und geprüft habt. Wollt Ihr aber auch meine eigene Methode durchaus kennen lernen, so will ich Euch als meinem besten Freund unter der einen Bedingung nichts vorenthalten, daß Ihr mir nur nach eigner Prüfung darin folgt.

Zunächst ist unbedingt sicher, daß weder Fleiß noch Verstand zum vollen Verständnis der Heiligen Schrift ausreicht. Darum ist Eure vornehmste Pflicht, mit Gebet anzufangen und zu flehen, wenn es dem Herrn gefalle, durch Euch etwas zu seiner und nicht zu Eurer oder eines Menschen Ehre auszurichten, so möge Er Euch aus seiner großen Barmherzigkeit das rechte Verständnis seiner Worte verleihen. Denn es ist kein Meister der Worte Gottes, als der sie selbst gesprochen hat, wie Christus sagt: „Sie werden alle von Gott gelehret sein.“ Ihr müßt also an der Macht Eures eigenen Fleißes und Verstandes verzagen und lediglich auf die Wirkung des göttlichen Geistes bauen. Trauet mir; ich habe es erfahren. Hat dann aber diese demütige Verzweiflung bei Euch festen Fuß gefaßt, lest die Bibel vom Anfang bis zum Ende hindurch und prägt Euch zunächst den einfachen Gang der Ereignisse ein. Bei dieser Aufgabe, die Ihr gewiß schon längst gelöst habt, bietet der heilige Hieronymus sowohl in seinen Episteln wie in seinen Kommentaren eine treffliche Hilfe. Dagegen zur Erkenntnis Christi und der göttlichen Gnade, d.h. zum tieferen Verständnis des geistlichen Inhalts, scheinen mir Augustin und Ambrosius bei weitem dienlicher, vor allem da Hieronymus sich durch Origines zu sehr zu allegorischen Deutungen verleiten läßt. Ich möchte dies unbeschadet dem Urteil des Erasmus ausgesprochen haben; begehrtet Ihr doch nicht seine, sondern meine eigene Meinung zu hören.

Den Anfang würdet Ihr, wenn Euch mein Lehrplan zusagt, mit des Augustin Buch „vom Geist und Buchstaben“ machen, das Karlstadt, unser unvergleichlich arbeitsamer Freund, jetzt mit trefflichen Erläuterungen herausgegeben hat; dann folge die Schrift gegen Julian; desgleichen die gegen die zwei Briefe der Pelagianer. Von Ambrosius käme die Schrift von der Berufung aller Völker hinzu, die zwar nach Stil, Geist und Zeitrechnung einem andern Verfasser zugehören muß, aber doch voller Gelehrsamkeit ist. Das Weitere später, wenn Ihr an dem Genannten Freude gefunden habt und mir die Kühnheit verzeiht, mit der ich auf einem so schwierigen Gebiet über die bedeutendsten Gelehrten hinauszugehen wage.

Des Erasmus Verteidigungsschrift werde ich Euch zusenden. Ich bedaure sehr, daß unter den ersten Fürsten der Wissenschaft ein so mächtiger Streit entbrennen mußte. Ist Erasmus auch weit überlegen und schreibt er auch viel besser, so ist sein Ton doch auch reichlich bitter, wie sehr er sich auch bemüht, die Freundschaft zu wahren.

Lebt wohl.

In unserem Kloster am Tage St. Priscae 1518. Ihr sehr, daß ich Euch noch am selben Tage antworte.

Bruder Martinus Eleutherius

Staupitz hält sich in München auf, wie ein Brief beweist, den ich soeben daher von ihm empfing.

Quelle:
Martin Luther Briefe In Auswahl herausgegeben von Reinhard Buchwald Erster Band Leipzig / Im Inselverlag / mdccccix

Luther, Martin – Meinem gnädigsten und lieben Herrn, Herzog Friedrich, Kurfürsten zu Sachsen, zu Sr. Gnaden Handen. 1517

Gnädigster Herr und Furst. Als mir E.F.G. vor diesem die Zusagung thät durch den Hirsfelder, ein neu Kleid zu geben; so komme ich nue und bitt E.F.G. desselben eingedenk zu seyn.

Bitt aber, gnädiger Herr, wie vormals, so der Pfeffinger das ausrichten soll, daß er es mit der That und nit mit freundlicher Zusagung ausrichte; er kann fast gute Wort spinnen, wird aber nit gut Tuch daraus.

Es ist auch, gnädiger Herr, mir offenbart, nämlich durch den Prior zu Erfort, der es von E.F.G. Beichtvater verstanden, wie daß E.F.G. sollt Ungnade empfangen haben uber D. Staupitz, unsern wirdigen lieben Vatter, etlich Schreibens halben; hab ich daselb, als er hie gewest und E.F.G. zu Torgau gesucht, mit seiner Wirde geredt, und furgehalten, daß mirs nit lieb wäre, E.F.G. Unglimpf uber seine Wirden, hab ich in der Wahrheit in vielen Worten nit anders erfunden, die wir den Abend von E.F.G. hätten, dann daß E.F.G. ihm aufs Beste in seinem Herzen, und ihm der Kurfürst von Sachsen ein lieber Furst ist, und verwahr gar sonderlich E.F.G. gunstig ist, also, daß er endlich sagt: ich meine nit, daß ich mein gnädigsten Herrn je erzurnet habe, ich hätt es dann damit than, daß ich S.G. zu viel gelieb gehabt. Derhalben bitt ich, gnädiger Herr, seinethalben, als er mirs auch etlichermaß empfohlen, E.F.G. wollt sich aller Gunst und Treu zu ihm versehen, wie dann ahn Zweifel E.F.G. dieselbe oft an ihm erfunden.

Auch, gnädigster Herr, daß ich mein Treu E.F.G. auch erzeige, und mein Hofekleid verdiene: ich hab gehört, wie daß E.F.G. nach Abgang dieses Aufsatzes wollte eine andere und vielleicht schwerer aufsetzen. So E.F.G.. nit wollt verahcten eines armen Bettelers Gebet, bitt ich, wollts umb Gottes Willen nit lassen dahin kumen, dann mirs von Herzen leid ist und vielen E.F.G. Gunstigen, daß auch diese Schätzung E.F.G. letzten Tagen so viel gutes Geruchts, Namen und Gunst beraubt hat. Gott hat E.F.G. wohl mit hoher Vernunft begnadet, daß Sie in diesen Sachen weiter sieht, denn ich odder vielleicht alle E.F.G. Unterthanen; aber mag doch wohl seyn, ja Gott will es so haben, daß groß Vornunft zuweilen durch weniger Vernunft gewiesen werde, auf daß niemand auf sich selb sich verlasse, sundern alleine auf Gott unsern Herrn, welcher spar E.F.G. gesund uns zu Gute, und darnach E.F.G. Seelen zur Seligkeit, Amen.

E.F.G. unterthäniger Cappellan,

D. Martinus Luther, zu Wittenberg.

1517 Im November oder December

Quelle:
Dr. Martin Luthers Briefe, Sendschreiben und Bedencken, vollständig aus den verschiedenen Ausgaben seiner Werke und Briefe, aus andern Büchern und noch unbenutzten Handschriften gesammelt, kritisch und historisch bearbeitet von Dr. Wilhelm Martin Leberecht de Wette, Professor der Theologie zu Basel. Erster Theil. Luthers Briefe bis zu seinem Aufenthalt auf Wartburg Berlin, bey G. Reimer 1825

Luther, Martin – An den Erzbischof Kardinal Albrecht von Mainz, 31. Oktober 1517

Gottes Gnade und Barmherzigkeit zuvor! Hochwürdigster Vater in Christo, durchlauchtigster Kurfürst! Eure Kurfürstliche Gnaden halten mir gnädiglich zugute, daß ich, der geringste und unwerteste unter allen Menschen, vermessen daran zu denken wage, einen Brief an Ew. Hochwürden zu schreiben. Der Herr Jesus ist mein Zeuge, daß ich, meiner Armseligkeit und Jämmerlichkeit mir wohl bewußt, lange aufgeschoben habe, was ich jetzt mit unverschämter Stirn tue; denn es zwang und verpflichtete mich dazu mit aller Gewalt meine treue Ergebenheit, die ich, hochwürdigster Vater in Christo, Ew. Kurfürstlichen Gnaden zu leisten mich schuldig erkenne. Darum haltet Euch nicht zu gut, ein gnädig Auge auf mich zu haben, der ich Erde und Asche bin, und mein Begehr nach Eurer bischöflichen Gnade zu deuten.

Es wird im Land umhergeführt der päpstliche Ablaß unter Ew. Kurfürstlichen Gnaden Namen zum Bau von Sankt Peter. Ich will dabei gar nicht über der Ablaßprediger großes Geschrei Klage führen, das ich nicht gehört habe. Aber ich beklage die falsche Auffassung, die das arme, einfältige, grobe Volk daraus entnimmt und die jene Prediger allenthalben marktschreierisch rühmen. Denn die unglücklichen Seelen glauben infolgedessen, wenn sie nur Ablaßbriefe lösen, seien sie ihrer Seligkeit sicher; weiter glauben sie, daß die Seelen ohne Verzug aus dem Fegefeuer fahren, sobald man für sie in den Kasten einlege; diese Ablaßgnade sei ferner so kräftig, daß keine Sünde so groß sein könne, daß sie nicht erlassen und vergeben werden könnte, und hätte einer selbst (das sind ihre Worte) die Mutter Gottes geschändet; endlich soll der Mensch durch diesen Ablaß frei und los werden von aller Pein und Schuld.

Ach, lieber Gott, so werden die Eurer Sorge anvertrauten Seelen, teurer Vater, zum Tode unterwiesen, und so wächst immer die schwere Verantwortung, die Ihr über sie alle werdet ablegen müssen. Darum habe ich nicht länger davon schweigen können. Denn der Mensch wird durch keines Bischofs Geschenk seiner Seligkeit gewiß, da er ihrer ja nicht einmal durch das Geschenk der göttlichen Gnade versichert wird; vielmehr befiehlt uns der Apostel, allezeit mit Furcht und Zittern an unserm Heile zu arbeiten, und auch der Gerechte wird kaum gerettet werden. Endlich ist der Weg, der zum Leben führt, so enge und schmal, daß der Herr, durch die Propheten Amos und Zacharias die, so da selig werden, nennt einen Brand, der aus dem Feuer gerissen wird, und daß der Herr überall die Schwierigkeit der Erlösung betont.

Warum machen sie also durch falsche Fabeln und Verheißungen vom Ablaß das Volk sicher und ohne Furcht, wo doch der Ablaß den Seelen nichts nützt zu ihrem Heil oder ihrer Heiligkeit, sondern nur die äußerliche Pein wegnimmt, die ehemals nach den Canones auferlegt zu werden pflegte?

Endlich sind die Werke der Gottseligkeit und Liebe unendlich viel besser denn der Ablaß, und doch predigt man sie weder mit solcher Pracht, noch mit so großem Fleiß, ja der Ablaßpredigt zuliebe wird von ihnen geschwiegen, und doch ist es aller Bischöfe vornehmliches und alleiniges Amt, zu sorgen, daß das Volk das Evangelium und die Liebe Christi lerne. Nirgends hat Christus befohlen, den Ablaß zu predigen; aber das Evangelium zu predigen hat er nachdrücklich befohlen. Welche Schande für einen Bischof, und überdies, wie gefährlich ist es für ihn, wenn er für das Evangelium kein Wort übrig hat und bloß den Ablaßlärm in sein Volk ausgehen läßt und sich darum mehr bekümmert als um das Evangelium! Wird nicht Christus zu ihnen sagen: „Ihr seihet Mücken und verschluckt Kamele“?

Ja noch mehr, hochwürdigster Vater in dem Herrn. In der Instruktion der Kommissare, die unter Eurem Namen ausgegangen ist, heißt es – ohne Zweifel, hochwürdigster Vater, ohne Euer Wissen und Euren Willen – „eine der vornehmsten Gnaden sie dieses unschätzbare Geschenk Gottes, dadurch der Mensch mit Gott versöhnt und alle Strafen des Fegfeuers ausgetilgt werden“; auch Reue hätten die nicht nötig, die Ablaß oder Beichtprivilegien erwürben.

Hochwürdigster Bischof und durchlauchtigster Kurfürst! So bitte ich denn Euer Hochwürden durch den Herrn Jesum Christum, doch die Sache Eurer väterlichen Sorge und Aufmerksamkeit zu würdigen, das genannte Büchlein völlig zu beseitigen und den Ablaßpredigern eine andere Predigtweise zu befehlen. Sonst könnte schließlich jemand aufstehen und etwas veröffentlichen, was jene Leute und jenes Büchlein widerlegte, zur höchsten Schmach Eurer durchlauchtigsten Hoheit. Davor aber bange ich gar sehr, und doch muß ich es besorgen, wo der Sache nicht eilend Rat wird.

Diesen treuen Dienst meiner Armseligkeit wollen Ew. durchlauchtigste Gnaden würdigen, ebenso fürstlich und bischöflich, das heißt huldvoll, anzunehmen, wie ich ihn in Treue und ganzer Ergebenheit gegen Ew. Hochwürden erzeige. Denn auch ich bin ein Schäflein Eurer Herde. Der Herr behüte und bewahre Ew. Hochwürden in Ewigkeit. Amen. Wittenberg am Abend vor Allerheiligen im Jahre 1517.

So es Ew. Hochwürden gefällig ist, könnt ihr meine beiliegenden Streitsätze ansehen und daraus ersehen, wie ungewiß die Auflassung des Ablasses ist, obwohl die Ablaßprediger sich einbilden, sie wäre ganz ausgemacht.

Euer unwürdiger Sohn
Martinus Luther, Augustiner, berufener Doktor
der h. Theologie

Quelle:
Alfred Läpple Kirchengeschichte in Dokumenten, Patmos-Verlag Düsseldorf, 1958

Luther an Scheurl

11.9.1517

Meinem herzlichgeehrten Herrn Christoph Scheurl.

Jhesus!

Meinen Gruß! Ob ich gleich, mein bester Christoph, keine würdige Veranlassung hatte, an Euch, einen so theuren, würdigen Mann, zu schreiben: so glaube ich doch, daß schon diese hinlänglich genug wäre, an Euch (lasset mich indeß die lange Liste Eurer Ehrentitel, die Euch alle nach Verdiensten zieren, auf die Seite setzen) an einen so warmen, aufrichtigen, uneigennützigen Freund, und was das meiste ist, den ich nur erst auffand und erwarb, schreiben zu können. Wenn dabey jemals ein Stillschweigen gerüget zu werden verdiente, so würd‘ es gewis das Stillschweigen in diesem Falle verdienen, da selbst einige wenige, scherzhafte Zeilen – um wie viel mehr ein ernsthafter Briefwechsel – die Freundschaft unterhält, ich will nicht sagen, fester knüpfet. Selbst der heilige Hieronymus drang in seinen Freund, daß er wenigstens dieses schreibe, er wüßte nichts zu schreiben. Daher nahm auch ich mir vor, lieber zu dahlen, als gegen meinen Freund zu verstummen. Doch lieber Gott! wie oft schreibt wol dieser Bruder Martin, den man fälschlich einen Gottesgelehrten nennet, ohne daß er dahle! der bey dem Geräusche und Gemengsel von Syllogismen so wenig seine Schreibart bessert, daß vielmehr jener angewohnte, weitläuftige Stil des Bisgen Gelehrsamkeit und Beredsamkeit, so er etwa geschmecket, in heischeres, kindisches Lallen verwandelt.

Doch diese Vorrede ist lange genung, über genung; sonst mögt‘ es das Ansehen gewinnen, ich wolle ein ganzes Buch, nicht einen Brief schreiben, das heißt, der Narrendeutungen noch mehr treiben, und doppelt albern seyn, da es für einen Theologen schon allzu viel ist, ein einfacher Geck zu seyn.

Nun denn, der Hauptbeweggrund zu diesen Schreiben war, Euch einen Beweis zu geben, was für eine große Meinung ich von Euch und Eurer Rechtschaffenheit habe; nicht um Euch herauszufordern, gleiche Gesinnungen gegen mich zu hegen, dessen ich mich ohne dieß bey Euch versahe: sondern nur daß Ihr überzeut seyn mögtet, Ihr könntet Euch von meiner Person eben so viel als von Euch selbst versprechen.

Eben fällt mir bey, daß Ihr mir die Schriften unsers Paters Generalvikarius, beyläufig um zwey Dukaten, durch Ulrichen, diesen Pindar, überschicktet. Ich habe sie zum Theil verkauft, zum Theil unter gute Freunde dieses verehrungswürdigen Mannes vertheilet. Das Geld, das ich aus den verkauften Exemplaren lösete, gab ich, nach Eurem Befehl, den Armen, das ist, mir selbst und meinen Mitbrüdern. Denn ich kenne auf Gottes lieben Erdboden keinen Aermern, als mich selbst. Uebrigens bitt ich, daß mir, auf Eure Anstalt, eben dieser Schriften um einen Gülden geschicket werden mögten; es soll Euch, so bald ich sie an Mann gebracht habe, teulich übermachet werden. Es sind noch viele, die sie zu haben wünschen. Ich schicke Euch zugleich meine so sonderbaren Positionen, die manchen ganz widersinnig lauten. Ihr könnet sie unserm gelehrten tiefsinnigen Ecke weisen, damit ich vernehme, weß Namens er sie schelte.

Es grüßen Euch alle Euren auserwählten Freunde, aus welchen mir Herr Licentias Amsdorf und D. Hieronymus die theuresten sind; auch Peter, der Barbier, den Ihr eurer Freundschaft würdiget. Gehabt Euch wohl und betet für mich. Wittenberg den 11ten September. 1517.

Bruder
Martin Luther,
am Augustinerkloster zu Wittenberg.

Quelle: D. Martin Luthers bisher grossentheils ungedruckte Briefe.
Nach der Sammlung den Hrn. D. Gottf. Schütze, aus dem Latein übersetzt.
Erster Band.
Leipzig,
in Kommission bey Christian Friderich Wappler.
1784.