Pomponio Algieri – An die Christen in Venedig

Seinen lieben Brüdern und Mitknechten Christi, die aus Babel ausgezogen und nun auf den Berg Zion zu steigen im Begriffe sind (deren Namen ich aus begreiflichen Gründen hier nicht nenne) Gnade, Friede und Seligkeit von Gott, unserem Vater, durch unseren Herrn Jesum Christum, unseren Herrn und Heiland.

Ich wünsche Eure Traurigkeit, die Ihr meinetwegen empfindet, dadurch einigermaßen zu mildern, dass ich Euch auch der Freude teilhaftig mache, die mich erfüllt, damit Ihr mit mir Euch von Herzen freuen und dem Herrn singen und lobsagen mögt. Ich will Euch unglaubliche Dinge melden; denn ich habe Honigseim gefunden in den Eingeweiden des Löwen, Erquickung in der tiefen finsteren Grube; am Orte der Bitterkeit habe ich Ruhe erlangt und im Rachen der Hölle habe ich Freude und Wonne empfunden! Wo andere vor Furcht und Angst zittern, habe ich mich immer mutiger und stärker gefühlt, im Elend empfinde ich Lust, in der Einsamkeit genieße ich die beste Gesellschaft und in meinen Banden Ruhe und Freiheit. –

Das hat mir die gütige Hand Gottes gewährt. So ist nun der, den ich früher nur von ferne sah und dunkel erkannte, mir nahe gerückt, sodass ich ihn von Angesicht zu Angesicht schaue und erkenne. Derjenige, nach dem ich mich zuvor sehnte, reicht mir nun die Hand und tröstet mich, ja er nimmt mir alle Traurigkeit und schenkt mir seine Kraft und Stärke. O wie gütig ist der Herr, dass er die Seinen nie versucht werden lässt über Vermögen. Wie leicht ist doch seine Last und wie sanft sein Joch. Wer ist dem Allerhöchsten gleich, der die Betrübten tröstet, die Verwundeten heilt und die Schwachen stärkt? Lernt, meine Freunde, auf wie mannigfaltige Weise der Herr seinen Dienern seine Güte, Freundlichkeit und Barmherzigkeit beweist, indem er väterlich für sie sorgt, sie in ihrer Trübsal heimsucht und ihnen ein sanftmütiges, ruhiges Herz verleiht! Die Welt aber kann solche göttliche Gaben weder empfangen noch begreifen. Darum versucht sie auch mich mit der Einrede: Du wirst nicht lange an diesem scheußlichen Ort, wo Du Dich nun befindest, die Hitze und den Gestank zu ertragen vermögen. Wie solltest Du das tausendfältige Ungemach, die Quälereien und Beschimpfungen auszuhalten vermögen? Kannst Du Dein schönes, liebes Vaterland ganz vergessen? Willst Du auf alle Reichtümer, Ehrenstellen und Freuden dieser Welt verzichten und Dich von allen lieben Freunden und Verwandten in der Heimat losreißen? Willst Du Deine Kenntnisse und Geschicklichkeit, die Du Dir mit so vieler Mühe erworben, ohne dass sie Dir bisher eine Frucht getragen, gar nichts achten? Und fürchtest Du Dich endlich nicht vor dem Tod, der Dir jeden Augenblick droht, obgleich Du Dir keiner Missetat bewusst bist? Wie töricht bist Du, dass Du Dich nicht dieser Leiden und Beschwerden und dem Dir drohenden Tod entziehst, da Du solches so leicht durch ein einziges Wort tun könntest! Ist es nicht eine Schande für Dich, dass Du nicht so vielen stattlichen, ernsten, verständigen, gütigen und angesehenen Ratsherren gehorchen willst, sondern Deine Ohren ihren Zusprüchen und Ratschlägen verstopfest?

Den armen, blinden Leuten, welche mit solchen Einreden mich beschweren, antworte ich mit den Gegenfragen: Was ist heißer als das höllische Feuer, welches den Gottlosen und Ungläubigen bereitet ist? Welches Herz ist kälter als das derjenigen, welche noch in der Finsternis wandeln? Was ist härter, rauer und ungeschliffener als ihr ruchloses Leben? Was ist anrüchiger und ehrloser als die jetzige Welt? Welches Vaterland dagegen ist lieblicher als das himmlische? Welcher Schatz ist größer und köstlicher als das ewige Leben? Und sind nicht die allein unsere wahren Freunde und Verwandten, welche dem Wort Gottes gehorsam sind? Wo ist mehr Freude und Wonne als im Himmel? Was aber Kenntnisse und Geschicklichkeit betrifft, so sollen sie uns vor Allem zur Erkenntnis Gottes anleiten, ohne welche alle Mühe und Anstrengung, die wir bei unserem Studieren anwenden, vergeblich wäre. Welches Labsal und welche Erquickung kann man außer Gott genießen, da er allein der rechte Tröster und Arzt ist? Und wie wollen die mich mit dem Tod erschrecken, die selbst noch tot sind in ihren Sünden? Wenn wir unseres Heils gewiss versichert sind, so achten wir allen Schimpf und alle Schande gering, die Menschen uns antun können. Ich habe auf Erden keine bleibende Stätte, denn meine wahre Heimat ist im Himmel! Ich sehne mich nach dem neuen Jerusalem, das ich schon im Geiste schaue. Bereits habe ich mich dahin auf den Weg gemacht und habe meine Wohnung dort bestellt, indem ich gewiss bin, dass mir allda weder Reichtümer, noch Freuden, noch Ehre mangeln werden. Die irdischen Dinge sind nur Schattenbilder und schwinden schnell dahin, ja sie sind nichts als Eitelkeit, wenn uns nicht dabei die Hoffnung und Gewissheit der zukünftigen Herrlichkeit erfüllt und belebt. –

Meine Kenntnisse und Geschicklichkeiten, die ich vom Herrn empfangen, weichen nicht von mir, sondern erfreuen mich in meinem Gefängnisse und lassen mich ihren großen Nutzen auch jetzt erfahren. Ich habe Hitze und Frost gelitten; ich habe Tag und Nacht gewacht und dabei keine Stunde vorüber gehen lassen, ohne Etwas zu arbeiten. Sehet, das ist der rechte Gottesdienst, den ich von Herzen tue. Der Herr hat mein Herz erfreut, darum verlasse ich mich allein auf ihn. Wer darf sagen, dass ich meine Zeit übel angewendet oder verloren habe, und dass meine angewandte Mühe vergeblich sei, da ich den Fürsten dieser Welt durch Gottes Gnade überwunden und den Tod in Leben verwandelt habe? Meine Seele hat gesagt: „Der Herr ist mein Gut und mein Teil; Du erhältst mein Erbteil; darum ist mir das Los gefallen aufs Liebliche, mir ist ein schön Erbteil geworden. Ich lobe den Herrn und habe ihn allezeit vor Augen.“ Wenn nun der Tod in dem Herrn kein Tod, sondern das wahre Leben ist, was will man mir so sehr mit dem Tode drohen, da er doch für mich eitel Freude ist? Welche Wonne ist es für mich, dass ich den Kelch des Herrn trinken soll! Wie könnte ich meines Heils besser versichert werden? Der Herr Jesus hat gesagt (Matth. 10), dass seinen Jüngern das Gleiche geschehe, was ihm widerfahren.

Darum schweigt und lasst mich in Ruhe, ihr arme Toren, die ihr noch in der Finsternis wandelt, während rings um euch das Licht der Wahrheit leuchtet! Ich spreche mit dem Apostel Paulo: „Wer will uns scheiden von der Liebe Gottes? Trübsal oder Angst, oder Verfolgung, oder Hunger, oder Blöße, oder Fährlichkeit, oder Schwert? Wie geschrieben steht: um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag; wir sind geachtet wie Schlachtschafe.“ Aber darin folgen wir dem Herrn Jesu Christo, unserem Haupt, der selbst gesagt hat, dass der Jünger nicht über den Meister sei noch der Knecht über den Herrn. Ja Herr, Du hast auch gesagt, dass, wer Dir nachfolgen wolle, der müsse sich selbst verleugnen und sein Kreuz auf sich nehmen und darum will ich auch gerne mein Kreuz Dir nachtragen! – Gott wolle Euch, liebe Brüder, mit seiner Kraft und mit seinem Troste erfüllen, auf dass Ihr nicht unter den mancherlei Anfechtungen, in die Ihr geratet, erlieget. Ihr wisst, was geschrieben steht, dass die, so uns töten, vermeinen werden, daran Gott einen Dienst zu tun. Deswegen ist der uns drohende Tod ein gewisses Zeichen und Siegel der Liebe Gottes und des ewigen Lebens. Lasst uns in dem Herrn uns freuen und mit Lobgesängen seinen Namen preisen, da wir nicht um Übeltat willen den Tod erleiden, dieweil „es besser ist, wenn es Gott will, dass ihr von Wohltat wegen leidet, denn von Übeltat wegen“ (1. Petr. 3,17). Wir haben darin an Christo und an den Propheten die herrlichsten Vorbilder, welche, weil sie nach dem Befehle Gottes redeten, den Weltkindern übergeben und von ihnen getötet wurden. Jetzt aber preisen wir sie selig, nachdem sie solches erduldet haben. Lasset uns daher uns freuen, dass wir gewürdigt werden, um unserer Unschuld und Gerechtigkeit Verfolgungen und Tod zu leiden. Der Herr wird einst auch die richten, die uns hier hassen und verfolgen; denn er allein darf sprechen: „Die Rache ist mein, ich will vergelten“ (5. Mos. 32,35). Ich werde für einen Toren und Irrsinnigen gehalten, weil ich mich nicht durch Verleugnung der Wahrheit und durch Heuchelei vom Tode loskaufen will; und so sagen sie, dass ich durch ein einziges Wort mich von allen Martern befreien könnte.

O du elender Mensch, der du Gott vergisst und das Licht der Sonne nicht wahrnehmen kannst! Beherzige doch das Wort Christi: „Ihr seid das Licht der Welt. Die Stadt, so auf einem Berge liegt, mag nicht verborgen sein. Man zündet auch nicht ein Licht an, dass man es unter einen Scheffel stelle, sondern auf den Leuchter, auf dass er leuchte denen, die im Hause sind;“ und an einer anderen Stelle: „Sie werden euch vor Könige und Fürsten führen um meinetwillen, zum Zeugnis über sie und über die Heiden. Fürchtet euch aber nicht vor denen, die den Leib töten. Fürchtet euch aber vielmehr vor dem, der Leib und Seele verderben kann in die Hölle.“

„Darum wer mich bekennet vor den Menschen, den will ich bekennen vor meinem himmlischen Vater. Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem himmlischen Vater.“ Wie wollen nun die klugen Kinder dieser Welt gegenüber diesen so klaren und bestimmten Aussprüchen Christi ihre heillosen Ratschläge verantworten? Es sei ferne von mir, dass ich Gottes Gebote verachten und dem Rate menschlicher Klugheit folgen sollte! David sagt im ersten Psalm: „Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen, noch tritt auf den Weg der Sünder, so sitzet, da die Spötter sitzen!“ Es sei ferne von mir, dass ich Christum, den ich zu bekennen schuldig bin, verleugnen sollte! Ich will nicht das leibliche Leben mehr achten und lieben als das Heil meiner Seele, nicht mehr für die Vergänglichkeit sorgen als für die Ewigkeit. O welche Toren sind doch diese Weltkinder, die mich für unsinnig halten, weil ich nicht ihren Ratschlägen folgen will! Ihre Erhebung der hohen Ratsherren von Venedig, wie herrlich, weise, friedfertig, barmherzig und erlaucht sie seien, lasse ich unbestritten, indem ich mit dem Apostel halte, „dass man Gott mehr gehorchen müsse als den Menschen.“ Wenn wir daher vor allen Dingen Gott als dem obersten Beherrscher der ganzen Welt gedient haben, so werden wir auch der Obrigkeit den ihr gebührenden Gehorsam zu leisten schuldig; indessen wäre es immerhin zu wünschen, dass sie vor Gott unsträflicher wären als sie sind. Sie heißen wohl herrlich vor der Welt, aber vor Gott mangelt an dieser Herrlichkeit noch vieles. Sie sind gerecht, aber ihrer Gerechtigkeit fehlt das rechte Fundament, nämlich Jesus Christus. Sie sind weise, aber wo ist bei ihnen die Furcht Gottes, die doch aller Weisheit Anfang ist? Sie sind gütig, aber wo ist bei ihnen die christliche Liebe zu finden? Sie sind „durchlaucht“ und „herrlich“, aber sie verwerfen den Herrn aller Ehren! Darum lasset euch weisen, ihr Könige, und lasset euch züchtigen, ihr Richter auf Erden! Dienet dem Herrn mit Furcht und Zittern. Küsset den Sohn, dass er nicht zürne und ihr verkommet auf dem Wege. Denn sein Zorn wird bald entbrennen. Warum toben die Heiden und reden so vergeblich? Warum lehnen sich die Könige der Erden auf, und warum empören sich die Völker vergeblich wider Christum, den Heiligen Gottes? Wie lange wollet ihr die Wahrheit hassen und euch verlassen auf Lügen? Bekehret euch zu dem Herrn, eurem Gotte und verstockt eure Herzen nicht! Bedenket, dass der Herr sagt, alles, was sie seinen Gläubigen tun, das tun sie ihm selbst!

So ich nun den durchlauchten Ratsherren, wie die Leute es meinen, nicht nach Gefallen geantwortet habe, soll ich darum wohl strafwürdig sein? Spricht nicht der Herr selbst (Matth. 10,19.20): „Wenn sie euch vor Fürsten und Könige führen und euch überantworten werden, so sorget nicht, wie oder was ihr reden sollet, denn es soll euch zur Stunde gegeben werden, was ihr reden sollt. Denn ihr seid es nicht, die da reden, sondern eures Vaters Geist ist es, der durch euch redet.“ Weil nun der Herr, der nicht lügen kann, solches von uns gesagt, und ich nicht von mir selber geredet habe, so kann mir auch diesfalls keine Schuld beigemessen werden. Will Jemand mein Wort tadeln, der tadelt den Herrn, der durch mich geredet hat. So er aber an Ihm nichts zu tadeln weiß, so lasse er auch mich in Frieden, indem ich getan, was nicht zuvor zu tun wir vorgenommen, und geredet, worauf ich mich nicht vorbereitet hatte. Ist mein Bekenntnis irrig, so beweisen sie mir solches aus Gottes Worte, und ich will dann gerne meinen Irrtum eingestehen und ihn nicht dem Herrn zur Last legen. Ist aber mein Bekenntnis recht und dem Wort Gottes gemäß, so müsst ihr, auch selbst, wenn es euch Herzeleid verursacht, zugeben, dass es von Gott eingegeben sei. Ist es dem also, wer will mich wohl deswegen anklagen? Werden wohl „hochweise Ratsherren“ es tun? Wer will mich verdammen? Werden wohl sich „Weise und gerechte Richter“ solches erlauben? Mögen sie aber mich immerhin verurteilen, das Wort Gottes wird deswegen noch nicht verurteilt oder vernichtet werden. Ihr Wüten gegen die Gläubigen wird nur das Kommen des Reiches Gottes befördern, sodass die wahrhaften Israeliten und Auserwählten nur sich über die Trübsale freuen, die sie treffen. Die Richter aber wird auch Gottes Gericht treffen, und die Totschläger und Mörder der Gerechten werden dann auch ihre Strafe finden. Öffnet eure Augen, meine Freunde, und betrachtet Gottes Gerichte! Neulich hat uns der Herr mit Pestilenz heimgesucht, was zu unserer Züchtigung geschehen ist. Werden wir uns dieser Zucht nicht unterziehen und uns nicht weisen lassen, so wird er das Schwert ziehen und das Volk, das sich wider Christum empört, mit Krieg, Pestilenz und Hunger heimsuchen. Ich bitte den Herrn, dass er uns damit gnädig verschonen wolle. – Solches habe ich, liebe Brüder, zu eurem Troste schreiben wollen. Bittet den Herrn für mich und seid als treue Diener des Herrn Gott befohlen!

 

Gegeben im lieblichen Lustgarten des Gefängnisses, genannt Leonina, 12. Juli 1555.