Gessner, Conrad – Trost- und Ermunterungs-Brief

an einige in Italien um des göttlichen Wortes willen gefangene, mit dem Tode bedrohete Brüder.

Im Januar 1561

Gnade und Friede sey mit Euch von Gott unserm Vater und unserm Herrn Jesu Christo! 

Theuergeliebte Brüder!

Nachdem ich von einem edeln Manne, meinem Bruder im Geiste und euerem leiblichen Bruder, erfahren habe, daß Ihr um des Nahmens des Herren willen schon lange im Kerker schmachten müßet, so beschloß ich aus Freundschaft für Euch und für Ihn einige Worte des Trostes und der Ermunterung an Euch zu schreiben, so wenig Uebung und Geschick auch meine Feder in solchen Gegenständen haben mag.

Allererst danke ich Gott von Herzen und wünsche Euch Glück dazu, daß er Euch gewürdiget hat zur Erkenntniß der ewigen Wahrheit zu gelangen. So wie Ihr bis auf jetzt mit festem Muthe und unerschütterlicher Standhaftigkeit darin geblieben seyet, so flehe ich zu Gott und ermahne euch, daß ihr bis zum Ende ausharren möget. Ich sehe wohl wie schwer und hart es für den Menschen ist: Verzicht zu thun auf so viele und große Vortheile, Freuden und Vorzüge dieser Welt, die ihr ruhig hättet genießen können; in Gefahr zu seyn, Reichthümer, Ehrenstellen, Freunde, Gattinnen, geliebte Kinder, alles was dem Menschen theuer und werth ist, das Vaterland selbst, vielleicht wohl gar diesen Aufenthalt auf Erden und das Leben zu verlieren. Ich gestehe es, daß es schwer ist schon Einzelner dieser Güter beraubt zu werden; aller insgesammt aber auf ein Mahl nicht nur sehr schwer, sondern beynahe mehr als der Mensch ertragen kann. Allein je schwerer dieser Sieg, desto edler und ehrenvoller ist er auch. Auch sind die Güter, welche ihr hoffet, ohne Vergleich größer: Der Tod wird euch zur Unsterblichkeit führen, anstatt dieses hinfälligen Lebens wird euch ein ewiges zu Theil werden: vergängliche Reichthümer werdet ihr gegen unvergängliche Schätze im Himmel umtauschen, anstatt der ehre von schwachen Menschen, anstatt des unzuverläßigen Glückes werdet ihr immerwährenden Ruhm bey allen vollendeten Gerechten geniessen: Den Verlust euerer Freunde und euerer Familie wird euch der vertraute, nie unterbrochene Umgang mit allen guten, frommen und weisen Menschen, die je gelebt haben, mit den Patriarchen, Propheten, Aposteln, ja mit unserm Herren Jesus Christus selbst ersetzen; für das irdische Vaterland werdet ihr ein himmlisches erhalten; Freunde, Verwandte, Gattinnen, Kinder werdet Ihr nicht verlieren, sondern ihnen nur vorangehen; und sie werden das Beyspiel Euerer Frömmigkeit und Standhaftigkeit nachahmend befolgen. Doch ich weiß, daß Ihr mit diesen Trostgründen schon lange vertraut seyd, und verweile deßwegen auch nicht länger dabey. Aber laßt mich nun noch, wie wenn ich bey Euch wäre, die letzten Abschiedworte euch zurufen (wenn Gottes gnädiger Wille es nicht anders mit Euch fügt); laßt mich durch diese Betrachtungen mein eigen Herz stärken und zu einem ähnlichen Kampfe vorbereiten, damit ich, wenn auch meine Stunde da ist, desto gefaßter und bereitwilliger sey.

Ich bin überzeugt, daß nichts von allem dem, was Euch begegnet, unerwartet oder ungeahnet für Euch ist. Unser Herr hat uns dieses Alles vorausgesagt, und Ihr habt gewiß seine Lehre mit der Gesinnung angenommen, Euer Leben und Euer Blut gern, wenn es nöthig wäre, für Ihn zu lassen, wie er, obgleich in einem viel höheren und wichtigeren Sinne, es zuerst für uns gelassen hat. Das eigentliche Daseyn des Menschen bestehet ja in seinem Gemüthe und seinem Geiste, oder sollte wenigstens darinn bestehen: sein wahres Glück beruhet auf den Vorzügen des Geistes, nicht denen des Körpers, noch viel weniger auf den äusserlichen, welche beyden letztern hinfällig und vergänglich sind. Die Vorzüge des Geistes nennt man Tugenden, und pflegt gewöhnlich nur die durch äusserliche That hervortretenden zu rühmen, da doch auch die in stiller Beschauung und Andacht sich äußernden Ruhm und Ehre verdienen. Die erste Stelle unter diesen verdient die glaubensvolle Betrachtung Gottes selbst, wenn in stillen Stunden, rein und frey von andern Gedanken und sinnlichen Beschäftigungen, der Geist sich selbst und in sich der Gottheit Bild beschaut, wie es durch Sünde zwar verunstaltet, aber durch die Gnade Jesu Christi wieder ist hergestellt worden. Daher haben auch einige Heiden gesagt: die wahre Weisheit seye die Betrachtung des Todes; nicht so fast des gewöhnlichen, wodurch die Seele von dem Leib getrennt wird, sondern jenes Todes, den nur die Guten und Frommen kennen, wenn der Geist sich freywillig von dem Körper und seinen Lüsten losreißt; den Leib und was ihn betrifft gebraucht als hätten wir ihn nicht, und nicht sich und dem Körper, sondern Gott und der Frömmigkeit lebt. In diesem Streben des Weisen habet Ihr Euch durch Jesum Christum schon lange geübt, und so werdet Ihr auch durch Ihn und in Ihm vor der Stunde des natürlichen Todes, sie mag früher oder später kommen, nicht erschrecken, sondern sie standhaft überstehen. Der Herr Christus, welcher über Tod und Hölle triumphiert hat, wird Euch um so viel wirksamer beystehen, je mehr ihr seiner Hülfe bedürfen werdet. Denn Ihr seyd ja ein Theil von Ihm. Er wird Euch mit seinem Geiste regieren und unterhalten, er wird Euch Kraft geben in dieser gefährlichen Lage Euch selbst und die Welt zu überwinden.

Allerdings ist es etwas Schwieriges, beynahe etwas Göttliches, daß der Mensch mit willenloser Ergebung einzig und allein auf Gott sein Vertrauen setze. Eine solche Gesinnung findet sich auf dieser Erde nicht leicht bey einem Andern als bey dem um der Gerechtigkeit willen Gefangenen, den aber seine Richter für schuldig und des Todes würdig halten. Denn woher sonst kann ein solcher noch Rettung hoffen, als allein von Gott? Er steht sonst ganz in fremder Gewalt, hat keine Hülfe von Menschen zu erwarten. Wer in einer gefährlichen Lage anderer Art sich befindet, der kann noch immer auf mancherley Dinge sein Vertrauen setzen: er kann Hülfe hoffen von seiner oder anderer Menschen Kunst und Wissenschaft, von seiner oder anderer Menschen Kraft und Reichthum. Aber der Gefangene, auf Tod und Leben Angeklagte, kann keine solche Hoffnung nähren. Ist er aber fromm und dem Worte Gottes treu, leidet er um der Gerechtigkeit und des Rahmens Gottes willen, so beruhet auch alle seine Hoffnung einzig auf Gott. Und gerade deßwegen kann er in seinem Unglück, wie die Welt es nennt, sich freuen und sich glücklich preisen, daß Gott ihn in eine Lage versetzen wollte, wo er von Niemand als von Ihm allein Hülfe erwarten, und also in Sinnen und Gedanken von allen irdischen Angelegenheiten abgezogen, nur auf Gott hinblicken kann und will. Diese aufopfernde Hingebung ist das schönste, was der Mensch Gott gewähren kann. Ein Gemüth, das sich so ganz zu Ihm hinneigt, so von Ihm allein Hülfe hofft und sucht, wird der Herr gewiß erhören und erquicken. Diese Veranlassung, diese Kraft sich mit seiner ganzen Seele zu Gott hinzuwenden, hier auf Erden schon ein himmlisches und göttliches Leben zu leben, wird dem Menschen nur in der Schule der Leiden gegeben, in welcher Ihr gegenwärtig seyd. Ihr sollt Euch also glücklich schätzen, Gott danken und wünschen abzuscheiden, um bey dem Herren zu seyn.

Wir lesen, daß einige unter den Heiden dem unbekannten Gott Opfer und Gelübde dargebracht, daß sie daran gezweifelt haben, ob nicht Leben Sterben, Sterben aber Leben sey, daß einige unter Ihnen in dieser Gesinnung standhaften Muth bewiesen in der Stunde ihres Todes, weil entweder nach dem Tode kein Gefühl für Gutes und böses mehr übrig bleibe, oder weil es dann den Guten gut, den Bösen übel gehen müsse; lesen von Socrates, daß er, nicht glaubend an die Menge heidnischer Götter, muthvoll den Giftbecher austrank, und bald darauf ruhig starb. Wir aber, die wir nicht auf einen unbekannten Gott vertrauen, sondern auf den, der uns durch seinen ewigen Sohn Jesum Christum, der unser Bruder werden wollte, als Vater ist geoffenbart worden; wir, die wir Ihm nicht fremde Opfer, sondern uns selbst darbringen; wir, die wir über den Zustand der Seele nach dem Tode nicht ungewiße Vermuthungen haben, sondern mit Ueberzeugung glauben, fromme Menschen gehen aus diesem Leben sogleich in ein besseres Leben hinüber – Wir sollten den Tod fürchten und vor demselben zittern? Das sey ferne von uns! Denn wir wissen und glauben, dieses Erdenleben seye gleichsam ein Bild des Todes, kaum ein Schauen des wahren Lebens: Jenes aber, welches wir hoffen, sey in Wahrheit ein seliges, ein ewiges Leben, und nur durch den Tod des Leibes werde uns der Zugang zu demselben geöffnet. Warum sollten wir aber die Verlängerung der Dauer unsers Erdenlebens ungeduldig wünschen? Ist nicht der Mensch gleich einer Seifenblase? Ist er nicht Erde und soll wieder zu Erde werden? Können wir der Dauer unsers Lebens für eine einzige Stunde sicher seyn? Kann uns ein schönerer und Gottgefälligerer Tod, und wenn wir auch tausend Jahre lebten, beschieden seyn, als um der Wahrheit willen und im Dienste des Herren zu sterben? Hoffen wir etwa viel besser zu werden, wenn wir noch recht lange leben könnten. Ich habe leider gesehen, daß viele Kranke, welche völlige Besserung ihres Lebens gelobten, sobald sie wieder die Gesundheit erhielten, im geringsten nicht besser geworden sind. Scheint es nicht zuweilen als wenn alles sich verschlimmer? wenigstens betrachtet der bejahrte Greis Alles um sich her aus diesem Gesichtspunkt.

Die Lockungen und Reitzungen dieser Welt sind zahllos, und wir oft so schwach; sollen wir nicht Gott danken, wenn er uns zu einer Zeit abruft, wo wir wohl auf den Tod vorbereitet sind. Ich sage nicht man müsse sich den Tod herbeywünschen, aber sich nicht vor demselben scheuen, ihn nicht fliehen, wenn Gott und unsere heiligste Pflicht uns zu sterben gebietet. Das ist das einzige wahre Glück, welches auch am Ende des Lebens sich noch als ein solches zeigt; nur der ist glücklich, der es bis zum Ende bleibt, und wir bestimmen den Werth aller Dinge nach ihrem endlichen Ausgange. Wohl dem der nicht wegen der kurzen Hoffnung sein Leben um einige Spannen Zeit zu verlängern seinen Herren verläßt. Laßt uns an jenen Feldherren denken, von dem wir in alten Geschichtbüchern lesen, er habe sich, weil er und seine Armee von brennendem Durste gequält wurden, dem Feinde ergeben, nur um einen Trunk frischen Wassers zu erhalten. Als ihm dieser war gereicht worden und er sich satt getrunken hatte, rufte er aus: Ach! um welch‘ kurzes Vergnügen habe ich die wichtigsten und unschätzbarsten Dinge hingegeben! Sehr viele Soldaten wagen sich furchtlos in den Tod und widersetzen sich dem Feinde in den vordersten Schlachtreihen, nur um des Soldes willen oder den Eid zu halten, den sie ihrem Feldherrn geschworen haben. Wer könnte nun aber wohl einen Feldherrn mit dem Beherrscher des ganzen Weltalls vergleichen, wer Sold an Geld mit dem himmlischen Leben! Wer Treue einem Menschen geschworen mit der Treue wozu wir alle Menschen, vorzüglich wir Christen gegen Gott verpflichtet sind! Ein Mensch ist nichts gegen den Herrn der ganzen Welt; alle Schätze und Freuden der Erde sind nichts gegen das ewige Leben. Wenn wir ausharrend bis ans End den Herren bekennen, so ist kein Unglück so groß, in dem er uns nicht trösten und schützen könne und wolle. Im entgegengesetzten Falle wird uns ohne Ihn die ganze Welt gegen Ihn nichts nützen. Verläugnen wir seinen Nahmen, in wessen Nahmen wollen wir uns trösten, wohin wollen wir unsere Zuflucht nehmen, wo uns verbergen? Kein Auge hat gesehen, kein Ohr hat gehört, in keines Menschen Herz ist aufgestiegen, was für Güter er denen aufbewahrt hat, die Ihn lieben. Aber auch noch Niemand hat es erfahren, auch keine Denk- und Einbildungskraft kann es sich vorstellen, wie groß die Quaal derjenigen seyn wird, die von Gott und dem Herren fern sind, weil sie Ihn entweder nicht erkennen wollten, oder den schon Erkannten wieder verläugneten. Bedenket doch daß ihr auf einem Kampfplatze euch befindet, wo nicht blos wenige Zuschauer, sondern die ganze Welt Zeuge eures Kampfes, wo Gott Richter darüber ist.

Man erzählt von den Königen der Celten sie haben eine Schaar von 600 auserwählten Männern um sich gehabt, die ihrem Könige so geweiht waren, daß sie mit Ihm lebten, mit Ihm starben, und nie habe einer aus ihnen sich gefürchtet oder geweigert mit seinem Könige des gleichen Todes zu sterben. Sollten wir denn dem Könige aller Könige furchtsamer dienen, sollten wir Bedenkentragen für seine Ehre zu sterben! Wollen wir etwa das ewige Heil unserer Seele verlieren, damit der Körper eine kurze Zeit noch leben könne!

Seyd standhaft, geliebteste Brüder in Christo, und bewahrt dem Herrn euern Glauben unbefleckt, denn Ihn allein könnt ihr mit euch nehmen, Alles andere werdet ihr hier zurücklassen. Bleibt fest und treu in eurem Bekenntniß des Herren! Alles übrige überlasset Ihm. Bey Ihm steht es, ob er euch länger hier auf Erden zurückbehalten, oder euch jetzt schon in sein besseres ewiges Leben aufnehmen wolle. Er ist unser Gott und Vater. Sein Wille geschehe, wie es Ihm gefällt, wenn nur sein Nahme. geheiliget wird. Um seines Nahmens willen haben schon in früheren Zeiten und erst neulich sehr viele der frömmsten Männer, sehr viele standhafte Märtyrer willig den Tod erduldet, deren Ruhm und Andenken auf alle künftige Geschlechter fortdauren wird. Folget ihrem Beyspiel nach, und werdet auch selbst für die Nachwelt ein Vorbild heiligen Muthes. Euere Standhaftigkeit wird viele zu gleicher Beharrlichkeit ermuntern, euere Unbeständigkeit würde viele, die sonst noch nicht recht fest sind, noch wankender machen.

Lebet glücklich in Christo, der euch einen Ort bey dem Vater bereitet hat, dessen ihr seyd, ihr lebet nun oder ihr sterbet. Ihm übergebet eueren Geist und euch ganz, in Ihm lebet, der allein die Wahrheit und das Leben ist. Noch einmahl lebet wohl, ewig wohl!

Zürich, den 6ten Januar 1561

Euer euch herzlich liebender Bruder in Christo

Conrad Geßner.

Quelle:
Ulrich Zwingli’s Stimme an die Lehrer des Evangeliums Herausgegeben von Johannes Hanhart, Pfarrer zu St. Georg und Oberlehrer in Winterthur. Winterthur, in der Steinerischen buchhandlung, 1818