Calvin, Jean – An Melanchthon in Wittenberg (586)

Nr. 586 (C. R. – 2985)

Plutarch zitiert ein Wort des Sophokles: „Mit bitterm Mittel spült man bittre Galle aus“, im Ajas (Vers 581 ff.) steht: „Einem weisen Arzte kommt nicht zu, mit Klagen ein Übel beschwichtigen zu wollen, das nach dem Messer schreit“. An welches dieser Worte Calvin denkt, ist ungewiss, bekannter dürfte das erste gewesen sein. Der Krieg zwischen Philipp II. von Spanien und Heinrich II. von Frankreich wurde tatsächlich erst am 8. April 1559 durch den Frieden von Chateau-Cambresis abgeschlossen; das nur zwei Tagemärsche von Genf entfernte spanische Gebiet ist die Franche-Comte. Über den Brief Languets vgl. 568.

Vom Wechselfieber und seiner Behandlung. Allerlei Gefahren.

Weil ich wohl weiß, dass du, wie du selbst lässig bist im Briefschreiben, so auch deinen Freunden gern diesen Liebesdienst schenkst, so hatte ich eigentlich vor, mich mit Krankheit zu entschuldigen, erlauchter Mann und verehrter Bruder, wenn es mich nicht andrerseits freute, in deinen Busen ausschütten zu können, was mich drückt. Da ich bisher, Gott sei Dank, mich vor dem Wechselfieber sicher glauben durfte, so ists jetzt, weil ichs nicht kannte, so gekommen, dass erst der vierte Anfall eines solchen mich von meiner irrigen Anschauung befreite und mir zu spät die Art dieser Krankheit aufdeckte. Wenn ich mich nun auch solcher Unachtsamkeit schäme, so wirst du sie doch entschuldbar finden, wenn ich dir berichte, was mich hinderte, die Sache rechtzeitig zu erkennen. Das erste Mal kams über mich, als ich schlief oder eigentlich eher bewusstlos dalag, und so konnte es sich schon unbemerkt an mich heranmachen, besonders da es mit lästigen, furchtbaren Kopfschmerzen verbunden war, die mir nur allzu bekannt sind. Als mich dann wieder einmal das Zittern kurz vor dem Abendessen ergriff, glaubte ich es, wie gewöhnlich einen verdorbenen Magen, mit Fasten genügend kurieren zu können. Tags darauf warfs mich zwar nieder, dass ich liegen musste, aber bald erholte ich mich und war schon froh, den heftigen Schmerz los zu sein, und kam so unwissend und unkundig, wem der Kampf galt, bis zum vierten Anfall. Nun ists schon fast anderthalb Monat, seitdem ich die Krankheit erkannt und mich den Ärzten überliefert habe, die mich ins Zimmer sperren, ja mich fast immer im Bette halten, mich auch mit zweifachen Pelzhüllen ausstaffieren und zuweilen das bekannte Wort des Sophokles zitieren. Mein Leib ist so verhärtet, dass er nichts von sich gibt, als was ihm durch Klystier entwunden wird, woran ich allerdings gar nicht gewöhnt bin. Sie schreiben mir die besten und süßesten Speisen vor und zu keiner habe ich Appetit; daher nehmen meine Kräfte langsam ab. Doch kämpfe ich dagegen an, helfe meinem darnieder liegenden Leibe mit allerlei dummem Zeug von Nahrung wieder auf, und lasse mich nicht von meinem Ekel davor beherrschen; auch handle ich nicht wie die meisten, die ihren Appetit zu beleben suchen durch allerlei Leckerbissen, die bei dieser Krankheit schädlich wären. Ja, ich weiche nicht um Nagelsbreite von der ärztlichen Vorschrift; nur wegen der großen Trockenheit in mir erlaube ich mir, ein wenig mehr zu trinken. Dafür muss ich noch teilweise die Ärzte beschuldigen, die ängstlich fordern, ich dürfe nur Burgunder trinken, so dass ich ihn nicht einmal mit Wasser verdünnen oder sonst wie mäßig brauchen darf; ja hätte ich nicht Malvasier und Muskateller hartnäckig abgelehnt, so hätten sie gewollt, ich solle mich sogar mit solch hitzigen Getränken zu Grunde richten. Weil ich aber weiß, dass sie in der Theorie ihrer Kunst ungewöhnlich bewandert und ebenso in langer Praxis geübt sind, tue ich ihren Willen nicht nur aus Pflichtgefühl, sondern lasse mich auch ganz gern von solchen Herren lenken. Meinen Wein mischen sie mit Tausendfuß-Kraut und pontischem Wermut; meinem Magen führen sie Sirup aus Ysop, aus Elenium oder aus Cedernrinde als Linderungsmittel zu in bestimmter Reihenfolge, damit die einzelne Arznei immer wieder wie eine neue wirkt. Einmal erst haben sie versucht, die Säfte der Melancholie aus der Milz wegzubringen. Doch ich missbrauche, scheint mir, deine Muße allzu ruhig, und auch mir und meiner Gesundheit ist dieses Diktieren in der Fieberhitze nicht sonderlich gut; aber da ich nicht weiß, wie die Krankheit ausgeht, so wollte ich dir doch das sagen, dass ich schon bei ihrem Beginn darauf bedacht war, jeden Moment gerüstet zu sein und mich bereit zu halten, mich jedem Winke Gottes zu ergeben.

Indessen – damit du auch die Gefahren kennst, in denen ich lebe – es heißt allgemein, wenn zwischen den beiden Königen Friede geschlossen werde, so werde sich die ganze Wut des Krieges gegen uns wenden, damit mit unserm Blut, was zu sühnen ist, begossen werde. Dabei musst du wissen, dass Genf durch Entfernung und natürliche Befestigung nicht besser geschützt ist, als wenn wir in freiem Felde fechten müssten. Philipps Gebiet ist nur zwei Tagmärsche von unsern Toren entfernt; noch näher ist uns der französische König; seine Truppen können in einer halben Stunde unsere Stadt erreichen. Daraus kannst du schließen, dass wir nicht nur befürchten müssen, vertrieben zu werden, sondern dass uns auch der grausamste Tod droht; denn dem Evangelium gegenüber kennt ihr Fanatismus keine Grenzen. So braucht dir deine Lage nicht so schwer zu scheinen; denn dass ehemalige Schüler, die schon deinem Alter Ehrfurcht schuldig wären, dich feindselig bekämpfen, einen Mann, der nicht nur das Amt ihres geistigen Ernährers in größter Treue und größtem Fleiß redlich bekleidet, sondern sich auch um die ganze Kirche hoch verdient gemacht hat, das Los ist dir, wenn du es recht betrachtest, mit vielen gemein, auch mit mir. Denn wie frech und schmählich mich einige Zungendrescher behandeln, glaubst du kaum. Die Westphalianer aber, obwohl sie aus der Ferne ihre Geschosse wider mich schleudern, sind in ihrer Bosheit noch bei weitem frecher; doch will ich wie bisher auf mein Ziel zustreben. Freilich gerade im Abendmahlsstreit lästern nicht nur die Feinde verleumderisch über deine so genannte Schwäche, sondern auch deine besten Freunde, die dich verehren mit dem Respekt, den du verdienst, möchten, das Feuer deines Eifers flammte heller; denn seine schwachen Fünklein verachten, ja zertreten jene ungeschlachten Riesen. Doch was es gebe, wir wollen die brüderliche Liebe ehrlich untereinander pflegen, und keine Schlauheit des Satans soll dieses Band zerreißen. Zwar ich muss gestehen, als ich vor einem halben Jahr einen Brief deines Hausgenossen Hubert Languet las, hat es mich etwas verletzt, wie wenig freundliche, ja wie höhnische Äußerungen über meine Lehre er von dir berichtete. Seine Absicht war, dem Castellio zu schmeicheln und durch deine Zustimmung seine Wahnideen bestätigen zu lassen, die heutzutage von nichts an Verderblichkeit übertroffen werden. Doch kein Ärgernis soll je mein Herz von der heiligen Freundesliebe, die es für dich hegt, abwendig machen. Lebwohl, du klar leuchtendes Licht und edelster Lehrer der Kirche. Der Herr leite dich stets mit seinem Geiste; er erhalte dich lange gesund und mehre dir die Fülle allen Segens. Befiehl du dafür auch uns, die du den Wölfen in den Rachen geworfen siehst, dem Schutze Gottes. Meine Kollegen und eine zahllose Schar von Frommen lassen dich ehrerbietig grüßen. Ich hätte sehr gern wenigstens in einem kurzen Briefchen deinem lieben Schwiegersohn, Herrn Kaspar Peucer, der sich ebenso sehr durch seine Frömmigkeit und seine Geistesart als durch seine stilistische Gewandtheit auszeichnet, mein brüderliches Wohlwollen bezeugt und auch Euerm treuen, hoch geachteten Pfarrer, Herrn Paul Eber, die ich beide wegen ihrer Tüchtigkeit mit Recht verehre.

Genf, 19. November 1558.

Calvin, Jean – An Melanchthon in Worms (534).

Weggelassen eine Empfehlung des Überbringers. Vom Krieg in Frankreich.

– – Über unsre kirchlichen Zustände kannst du vom Boten mündlich mehr erfahren, als ich in einem Briefe schreiben kann. Welche Niederlage der König von Frankreich unter Vernichtung seines Heeres erlitten hat, ist Euch wohl schon längst bekannt. Noch mehr Schaden tat ihm die kurz darauf erfolgte Eroberung einer sehr festen Stadt, namens St. Quentin; von dort ists keine Tagereise bis Noyon, und die ganze Gegend steht offen und ist den plündernden Feinden preisgegeben. Spricht das Gerücht wahr, so überlebe ich meine Vaterstadt bereits das zweite Mal. Der König soll, wie man sagt, nicht sehr erschrocken sein, sei es aus wirklicher Geistesgröße oder aus bloßer Gleichgültigkeit. – – –

Das schreibe ich, weil ich eben nichts zu tun habe, um von dir auch etwas herauszulocken. Lebwohl, hochberühmter, stets herzlich verehrter Mann. Der Herr sei mit dir; er leite, behüte und stärke dich bis ans Ende.

Genf, 7. September 1557.
Dein
Johannes Calvin.

Calvin, Jean – An Melanchthon in Worms (531)

Nr. 531 (C. R. – 2677)

Melanchthon befand sich am Religionsgespräch zu Worms; er und seine Anhänger, die Philippisten, wurden von den strengern Lutheranern im Herzogtum Sachsen stark angefeindet. Calvin sandte ihm mit diesem Briefe seine letzte Schrift gegen Westphal.

Melanchthon soll für ein Religionsgespräch wirken.

Wie es kommt, dass du nun schon ganze drei Jahre lang keinen meiner Briefe beantwortet hast, weiß ich nicht; da ich aber aus deinem langen Schweigen mit Recht den Schluss ziehen musste, mein Schreiben sei dir nicht angenehm und meinen Freundschaftseifer um dich verschmähest du, so hätte ich gar nicht gewagt, dir nun wieder zu schreiben, wenn mir nicht der gute, alte Herr, der dir dies bringt, berichtet hätte, du seiest mir stets noch gleich freundlich gesinnt, was sonst schwer zu glauben war. Das gab mir neues Zutrauen, und weil ich annehme, du seiest diesen Monat in Worms, wo dich mein Brief sicherer und bälder erreicht, so will ich diese Gelegenheit nicht vorbeigehen lassen. Ich wollte nur, ich hätte etwas Fröhlicheres zu schreiben, und doch, wenn du auch nur etwas von deiner früheren Liebe zu mir übrig hast, so wirst du die Verdrießlichkeit gern auf dich nehmen, wenn ich dir vertraulich meine Sorgen und Schmerzen ans Herz lege. Dass deine Nachbarn dich so maßlos wütend bekämpfen, ist dir jedenfalls bei deiner maßvollen, freundlichen Art sehr unangenehm, ja da sie damit nicht allein dich persönlich, sondern alle Frommen, nicht eines Mannes persönliche Anschauung, sondern den allgemeinen Glauben bekriegen, so muss dir die gemeinsame Sache nicht wenig Kummer machen. Übrigens da es einem, der einmal in diesen Kampf hineingezogen ist, nicht mehr frei steht, den Fuß rasch wieder zurückzuziehen, und da es widersinnig wäre, diese wilden Bestien menschlich zu behandeln, so musst du meine Heftigkeit verzeihen, die ich solchen Schmähungen gegenüber nicht bemeistern konnte. Wenn dich persönlich etwas ärgert, so brauche ich mich deswegen nicht lang zu entschuldigen. Weil ich sah, dass die Gegner zuweilen mit deinem Namen Missbrauch treiben, um Unkundige zu täuschen, so habe ich mich mehrmals unbedenklich auf dein Zeugnis berufen, um nicht den Schein zu erwecken, ich wolle in einer so klaren Frage Ausflüchte suchen, was ganz unehrlich gewesen wäre. Ich sehe darin keine Schuld, deretwegen ich mich zu verteidigen nötig hätte; vielmehr könnte ich mich mit allem Recht über deine Zaghaftigkeit beschweren; denn wenn du auch den Lärm des Kampfes scheust, so weißt du doch, was Paulus durch sein Beispiel allen Knechten Christi zur Pflicht macht. Mehr als man es an ihm sah, darfst du auch das Lob maßvollen Verhaltens nicht beanspruchen wollen; wenn er, so mild er war, durch allen Aufruhr unerschrocken schritt, so dürfen wir heute uns nicht über die gleiche Schwierigkeit ärgern. Und du vor allem musst zur rechten Zeit drauf achten, dass dir nicht dein hartnäckiges Schweigenwollen bei der Nachwelt zur Schande gereicht. Wenn du, während diese Rosszentauren uns von allen Seiten mit ihren Pfeilen überschütten, immer noch zuwartest, so ist zu befürchten, dass dein Bekenntnis, das dir erst eine solche Notlage abgedrängt hat, als zu spät gekommen beurteilt wird. Und wie erst, wenn der Tod dazwischen tritt? Werden sie dann nicht schreien, du seiest von knechtischer Furcht gewesen, um dir alles Ansehen zu nehmen und alle Glaubwürdigkeit zu rauben? Ich brauche dich gar nicht mit vielen Worten zu mahnen, diese Schmach eilends von dir zu tun. Sucht man ein Mittel, Frieden zu stiften, so ist die einzige Hoffnung ein Religionsgespräch. Dass du zwar auch ein solches wünschest, daran zweifle ich nicht, nur möchte ich, du fordertest es noch mutiger. Denn wenn du siehst, dass die Fürsten nicht nur zögern, sondern von ihren Theologen geradezu zu der Gegenpartei gezogen werden, so kannst du daraus den sichern Schluss ziehen, dass uns alle Türen versperrt sind, wenn dein Ansehen nicht die einen zurückhält, die andern antreibt. Neulich hörte ich, der Herzog von Württemberg sei von selbst ganz geneigt; ja, wäre auch unsrerseits die freundliche Gesinnung, die sich geziemt hätte, vorhanden gewesen, so wäre die Sache, die wir stets wünschten, zustande gekommen. Aber viele tragen eben den falschen Verdacht im Herzen, die Fürsten seien uns zu sehr entfremdet, als dass sie uns ruhig anhören könnten, und deshalb fürchten sie jede Zusammenkunft. Sie meinen auch, außer dir kämen von Eurer Seite nur ganz verstockte Leute, die herrisch darauf drängen, dass man von ihren Ansichten ja nicht wiche. Doch ist der Eigensinn derer, die so reden, nicht so groß, dass sie nicht doch gerne kämen, wenn sie eingeladen würden, und das musst nun wohl du als deine Aufgabe ansehen, die Fürsten dazu zu überreden, dass sie die unsern zu einem Religionsgespräch einladen. Straßburg, Tübingen, Heidelberg oder auch Frankfurt wären passende Orte dazu; wenn du nur erreichst, dass beide Parteien bereit sind, sich zu einer freundlichen Auseinandersetzung herbeizulassen, so hoffe ich auf einen bessern Ausgang, als viele argwöhnische Menschen vorauszusehen glauben. Kehrst du aber nach Sachsen zurück, ohne in dieser Sache etwas ausgerichtet zu haben, so wird es dich, fürchte ich, später reuen, in diesen verderblichen Wirren nicht Abhilfe geschafft zu haben. Aber freilich, du musst bedenken, dass es nun nicht bloß zu wünschen gilt, sondern energisch zu handeln, und deshalb dich vielleicht etwas hitziger ins Zeug legen, als es deine Art ist. Sind aber die Fürsten nicht so leicht zu bewegen, so darfst du nicht außer acht lassen, was du voriges Jahr einigen Freunden geschrieben hast, nämlich, du wollest dir Mühe geben, selbst einmal mit frommen, rechtschaffenen und maßvollen Männern unserer Partei zusammenzukommen. Hältst du mich für einen solchen, so ist das mein Hauptwunsch, was sonst auch die Pflicht von mir verlangt, noch einmal, ehe uns der Herr in sein Himmelreich holt, gerade um freudiger sterben zu können, ein recht schönes Zusammensein mit dir auf Erden genießen zu dürfen, und die Übel, die wir dann nicht heilen können, doch weniger hart zu spüren, weil ich mich bei dir darüber aussprechen konnte. Lebwohl, edler, mir stets von Herzen verehrter Mann. Der Herr leite dich mit seinem Geiste; er behüte dich und rüste dich zu dieser Tätigkeit aus mit heiliger Klugheit und unbezwinglicher Stärke und segne dein frommes Wirken.

Genf, 3. August 1557.

Calvin, Jean – An Melanchthon in Wittenberg (508)

Nr. 508 (C. R. – 2531)

Dr. med. Justus Wels von Haag war 1544 als Professor der Philosophie in Straßburg gewesen, dann nach Köln als Professor berufen, dort als Evangelischer aber gefangen gesetzt worden, und trat nun in Frankfurt auf Grund „prophetischer Gesichte“ Calvin entgegen, um mit ihm über den freien Willen zu disputieren.

Von den Frankfurter Händeln. Über die Veranstaltung eines Religionsgespräches.

Hierher haben mich die Streitigkeiten geführt, durch die der Satan seit fast zwei Jahren die hiesige kleine französische Gemeinde zerriss, so dass schließlich die größte Gefahr drohte, wenn nicht sehr schnell helfend eingegriffen wurde. Seit ich Frankfurt betrat, hatte ich sozusagen keinen Augenblick, um frei aufzuatmen. Als ob ich in dieser Sache noch zu wenig zu tun hätte, machte mir noch ein verrückter Mensch, namens Wels, dem du auch schon zweimal geschrieben hast, mit neuen Ränken zu schaffen; doch widmete ich seiner Zudringlichkeit nur zwei Tage. Die Schlichtung der hiesigen Zwistigkeiten, die durch die lange Dauer sehr tief eingewurzelt sind, gibt mir noch stets zu tun. Verzeih also die Kürze meines Briefes; denn es wurde mir erst, als ich zum Nachtessen kam, gesagt, es gehe morgen früh ein Bote ab. Freilich werde ich wohl ohne Mühe deine Verzeihung dafür erlangen, da ich aus deinem Schweigen ja den Schluss ziehen muss, dass du gar nicht so sehr nach einem Brief von mir verlangst. Ich bin aber doch nicht nur von deiner Billigkeit, sondern auch von deiner wahren, echten Liebe zu mir so überzeugt, dass ich keinen Zweifel daran hege, meine Treue im Schreiben sei dir angenehm.

Ich habe hier aus Briefen von dir an verschiedene Freunde erfahren, wie weh dir der entsetzliche Fanatismus der Leute tut, die zum verhängnisvollen Schaden der Kirche sich an Zank und Hader weiden. Obschon einige unter ihnen dich persönlich aufs Korn nehmen, so denke ich doch, dass dich in deiner Frömmigkeit das allgemeine Unheil noch mehr und dauernder betrübt. Damit eine solche maßlose Streitsucht also nicht länger ungestraft wüten darf, wird man bald zu dem Mittel greifen müssen, das, wie ich mit Freuden vernehme, auch dir einleuchtet. Ja, wir müssen umso mehr auf eine solche Zusammenkunft dringen, je hartnäckiger die Gegner diesen Plan verwerfen, je wütender sie ihren Abscheu davor kundtun. Pflicht der Fürsten wäre es gewesen, sie dazu zu nötigen, da sie sich freiwillig doch nicht dazu herbeilassen. Da aber die Fürsten zögern, dies zu tun, weil sie allzu sehr mit andern Dingen beschäftigt sind, vielleicht auch weil die Furcht, böses Blut zu machen, einzelne zurückhält, so ist deine Absicht, durch privates Eingreifen ein Religionsgespräch zustande zu bringen, gut und klug, wenn nur herzhaft ausgeführt wird, was du schreibst. Man braucht auch nicht lange zu warten, bis sich viele dem Plan anschließen, sondern wenn du das Zeichen dazu gibst, so werden alle sich einfinden, denen die Ruhe der Kirche am Herzen liegt. Wärest du doch zum Pfalzgrafen gekommen! Es wäre von großer Bedeutung gewesen, dass er von Anfang an von guten Ratschlägen geleitet worden wäre. Bietet sich aber wieder einmal ein Anlass, so ists besser spät als nie. Was du beschließest, teile mir so rasch wie möglich mit, ich bitte und beschwöre dich darum. Lebwohl, trefflichster, von Herzen verehrter Mann. Der Herr erhalte dich stets aufrecht durch seine Kraft; er leite dich durch seinen Geist und halte dich in seiner Hut. Grüße die Freunde in Wittenberg.

Frankfurt, 17. September 1556.
Dein
Johannes Calvin.

Bullinger, Heinrich – An Philipp Melanchthon in Wittenberg 1556

Zürich, den 13. März 1556

Ehrwürdiger, hochverdienter, frommer, theuergeschätzter Herr und Bruder in Christo!

Wie ungemein angenehm und erwünscht war mir Eure letzte freundschaftliche, herzliche Zuschrift! Empfanget dafür meinen wärmsten, besten Dank. Mein Heinrich kann mir nicht genug sagen, wie liebreich Ihr ihn aufgenommen habt, wie väterlich Ihr für ihn sorgt, und ihm überall mit dem besten Rath an die Hand geht. Empfanget dafür meinen besondern Dank. O fahrt doch fort, ihn zu unterrichten, zu ermuntern, anzutreiben, für ihn zu sorgen! Ihr werdet, will’s Gott, keinem Undankbaren diese Wohlthat erweisen; an mir wenigstens soll’s nicht fehlen. Immer und immer mache ich ihn auf den Werth dessen, was er Euch verdankt, aufmerksam. Meines Herzens erster Wunsch ist, daß dieser mein Sohn fromm und wohlgelehrt seiner Zeit in seine väterliche Heimath zurückkehre, um dem Vaterlande nütlich zu seyn, und dem Herrn in der Wahrheit zu dienen.

Wie thut es mir so leid, ehrwürdiger Vater, daß der traurige Sakramentstreit wieder neu losbricht. Man hat uns recht eigentlich bei den Haaren auf den Kampfplatz gezogen, und wider Willen gezwungen, einigen bittern Druckschriften zu antworten. Ich nehme die Freiheit, Euch, mein Bester, ein Exemplar unsrer Apologie zu senden. Ich fechte zwar mit allen Waffen, doch immer so, daß ich den Frieden anbiete, der jedem der Unsern tausendmal lieber wäre, als offene Fehde. O wenn Ihr, Ehrwürdiger, etwas vermöget (Euer Einfluß ist aber ungemein stark), so sprecht doch! Tretet mit aller Macht in’s Mittel! Bändiget die rasende Heftigkeit gewisser, Euch wohlbekannter Männer! Sagt ihnen, wenn’s doch geschrieben seyn müsse, so sollen sie wenigstens die Schimpfworte, Vorwürfe, bittern Beschuldigungen auf der Seite lassen, und auf eine vernünftige, bescheidene, einleuchtende Weise mit Schriftgründen fechten. Es wäre aber tausendmal besser, wenn wir gegenseitig tolerant wären, und einer den andern ungebissen lassen würde, in so fern wir uns doch nicht verständigen und ausgleichen können. – Welche fatale folgen hat diese Gespanntheit, dieß Schisma unter Brüdern! Gewinnen nicht dadurch unsre gemeinschaftlichen Feinde an Stärke, und werden nicht die Schwachen übel geärgert?

Was uns betrifft, so widerlich uns der ewige Kampf ist, so können wir dochh unsre gerechte Sache nicht Preis geben. Ich meinerseits habe von Natur einen Widerwillen vor allen Zänkereien; aber je zuweilen fordert die Religion, daß man die vom Herrn angewiesene Stelle mit aller Kraftanstrengung behaupte. Noch einmal bitte ich Euch darum, frommer, hochgelehrter Herr und Freund, tretet Ihr selbst in’s Mittel. Es muß Euch doch in die Augen springen, daß wir weder Irreligiositäten noch Absurditäten lehren oder verfechten.

Mein Sohn wird Euch meine letzte deutsche Druckschrift: Summa wahrer christlicher Religion(Zürich 1556), behändigen; es ist ein Inbegriff aller, wenigstens der wichtigsten, Dogmen unsers Glaubens. Ich kann mir durchaus nicht vorstellen, daß Ihr selbst, oder andre fromme und bescheidene Männer, diese meine Arbeit mißbilligen werdet. Sollte aber Euch selbst oder andern Einzelnes darin aufstoßen, was Ihr geändert wünschet, so bitte und beschwöre ich Euch, mir es offenherzig sagen zu wollen. Das freimüthige Urtheil frommer Männer über meine Studien und Arbeiten ist mir gar zu wichtig.. Freundschaftliche Winke machen immer für die Zukunft vorsichtig.

Herzlich grüßen Euch alle meine Mitstreiter im Herrn, und wünschen Euch allen Segen vom Herrn. O liebet uns, treuer Bruder in Christo, uns, die wir eine so herzliche Liebe zu Euch tragen! Nochmals empfehle ich Euch meinen lieben Sohn, als gehörte er Euch selbst an.

Der Herr sey mit Euch!
Euer
Bullinger

Quelle:
Merkwürdige Züge aus dem Leben des Zürcherischen Antistes Heinrich Bullinger, nebst dessen Reiseinstruktion und Briefen an seinen ältesten Sohn Heinrich, auf den Lehranstalten zu Straßburg und Wittenberg. Der studierenden Jugend auf das dritte Reformations-Jubiläum der Stadt und Republik Bern 1828 gewidmet von Joh. Friedr. Franz, evangel. Pfarrer zu Mogelsberg, Kantons St. Gallen Bern, bei J.J. Burgdorfer. 1828.

Johannes Sturm an Philipp Melanchthon

Straßburg, den 2.9.1555

Heinrich Bullinger1), Ueberbringer dieses Briefs, ist mir so angelegentlich durch seinen Vater, besonders aber auch durch sich selbst, seine eigene Rechtschaffenheit, Fleiß und Sparsamkeit empfohlen, daß ich ihn der Freundschaft und Liebe jedes Rechtschaffenen empfehlen darf. Gerade so urtheilen auch alle meine Collegen von ihm. Jede Gutthat, jede Liebe, jeder thätliche Freundschaftsbeweis, der ihm erwiesen wird, wird ihnen, so wie mir, sehr angenehm sein. Dafür bitten wir Jeden, aber besonders Euch, gelehrtester Herr Philipp, dessen Wohlwollen wir so zu schätzen wissen, wie die Geneigtheit von Regenten und die Gunst der Fürsten. Auf die Erfüllung unsrer Bitte macht schon der Fleiß des Sohnes Anspruch, wenn auch nicht der liebende Vater sie forderte. Wir können Euch also die größte Hoffnung machen von der Treue, Fleiß, Frömmigkeit und Güt des Sohnes.

Johannes Sturm

1) gemeint ist der Sohn

Merkwürdige Züge
aus dem Leben des Zürcherischen Antistes
Heinrich Bullinger
Joh. Friedr. Franz
Bern, bei J. J. Bugdorfer
1828

Heinrich Bullinger, Antistes, an Philipp Melanchthon (1555)

(25. August 1555)

Voll Zutrauen auf Eure Freundlichkeit und Leutseligkeit, sende ich Euch hier, frommer und gelehrter Herr Philipp, ehrwürdiger, liebster Bruder, meinen Sohn Heinrich zu, und beschwöre Euch bei unserm Herrn, daß Ihr sein Vater seyn, ihn in Euer Haus, zu Euch und in Euere Vorsorge aufnehmen wollet. Ich werde Euch bezahlen, was recht und billig ist, und was seine Studienfreunde Euch auch geben. Uebrigens mache ich mich dadurch Euch und den Eurigen verbindlich, und anerbiete alle nur möglichen Gegendienste. Sollte es Euch aber durchaus ungelegen seyn, ihn in Euer eigen Haus aufzunehmen, so seyd ihm wenigstens behülflich, und gebt ihm guten Rath, daß er einen braven und frommen Hausherrn bekomme, und nehmt ihn unterdeß in Euern Schutz. Er wird Niemand zur Last oder beschwerlich seyn, auch mit Niemand zanken. Er wird sich selbst, Gott und den Wissenschaften leben. Er folgt Euch; er wählt sich Euch zum Lehrer, und wünscht Euch zu hören. Ich wünsche, daß er friedlich und unangefochten bei Euch leben, und lauter Gutes, Frommes, Christliches bei Euch lernen könne; denn ich habe ihn Gott und den Wissenschaften gewidmet. Werdet Ihr Eure Bemühungen mit den meinigen vereinigen, und ihn mit Gott, der Tugend und den Wissenschaften bekannt machen, so wird der Herr unser Gott Eure Mühe reichlich mit Segen vergelten, und mich und die Meinigen werdet Ihr dadurch gegen Euch und die Eurigen zeitlebens verbindlich machen. Hierüber aber wird Euch bald unser geliebtester Bruder Calvin schreiben; darum bin ich kürzer; ich weiß, daß Ihr immer mit Geschäften überhäuft seyd. Hier sende ich Eurer Frömmigkeit drei deutsche Predigten, die ich in diesem und vorigen Jahr in den Druck gegeben; die letzte ist vorzüglich gegen dieSchwenkfeldianer. Der Herr Jesus erhalte Euch gesund zum Segen der an Leib bedrängten Kirche. Euch grüßen die Brüder und Mitstreiter von ganzer Seele.

Euer
Heinrich Bullinger
Diener der Kirche zu Zürich

Quelle:
Merkwürdige Züge aus dem Leben des Zürcherischen Antistes Heinrich Bullinger, nebst dessen Reiseinstruktion und Briefen an seinen ältesten Sohn Heinrich, auf den Lehranstalten zu Straßburg und Wittenberg. Der studierenden Jugend auf das dritte Reformations-Jubiläum der Stadt und Republik Bern 1828 gewidmet von Joh. Friedr. Franz, evangel. Pfarrer zu Mogelsberg, Kantons St. Gallen Bern, bei J.J. Burgdorfer. 1828.

Calvin, Jean – An Melanchthon in Wittenberg (460)

Melanchthon hatte in einem ganz kurzen Briefchen berichtet, zwei lutherische Eiferer, Johann Stoltz in Weimar und Nikolaus Hahn in Regensburg schrieben gegen ihn, und er fühle sich der Kirche gegenüber zu einer Erwiderung dieser Angriffe verpflichtet (vgl. 453). Joachim Camerarius, Melanchthons intimer Freund und späterer Biograph, war Professor der neutestamentlichen Exegese in Leipzig.

Pflicht und Notwendigkeit energischen Vorgehens.

Ganz richtig und einsichtsvoll bemerkst du, hochberühmter Mann, dass unsere Gegner nur den einen Vorsatz haben, sich theatralisch hervorzutun. Wiewohl sie nun darin, wie ich hoffe und man wohl glauben darf, eine große Enttäuschung erleben werden, so müssen wir doch, selbst wenn sie dadurch aller Welt Beifall errängen, umso eifriger auf den Kampfrichter im Himmel sehen, unter dessen Augen wir kämpfen. Wie, darf uns die heilige Schar der Engel, die uns durch ihre Gunst aufmuntern und uns durch ihr Beispiel auf den Weg des energischen Handelns weisen, träge rasten oder langsam vorrücken sehen? Und der ganze Chor der heiligen Väter? Gibt uns der keinen Antrieb? Und dann die Kirche Gottes auf Erden? Wenn wir wissen, dass sie betend mit uns kämpft und durch unser Beispiel sich begeistern lässt, soll dann ihre Zustimmung nichts gelten bei uns? Das soll meine Zuschauerschaft sein; wenn die mir beipflichtet, will ich zufrieden sein und – mag die ganze Welt mich auszischen – den Mut nicht verlieren. So weit bin ich davon entfernt, die abgeschmackten Schreier zu beneiden, wenn sie für eine kurze Zeit in irgendeinem dunkeln Winkel den Kuchen ihrer kleinen Berühmtheit verzehren. Was der Welt Beifall findet oder ihr verhasst ist, das ist mir nicht verborgen. Aber mir gilt das nicht mehr, als der Gehorsam gegen meines Meisters Gebot, und ich zweifle nicht daran, dass schließlich ein solches ehrliches Festhalten allen frommen und vernünftigen Leuten lieber sein wird, als eine schmiegsame, nachgiebige Lehrweise, die eitle Furcht verrät. Was du als deine Schuld gegenüber Gott und seiner Kirche anerkennst, das zahle sobald als möglich ab; ich beschwöre dich darum und dringe darauf, nicht etwa deshalb, weil ich hoffte, dadurch einen Teil der Feindschaft auf dich abzuladen und selbst davon entlastet zu werden. Vielmehr, wenns ginge, wäre ich in meiner Liebe und Verehrung für dich bereit, selbst das auf meine Schultern zu nehmen, was jetzt schon auf dir lastet. Aber du musst deine Schuld abzahlen, damit ich nicht wieder als Mahner kommen muss, wenn du nicht bald die frommen Leute, die auf dich schauen, befreist von dem Zweifel, ob du überhaupt darin zahlungsfähig seiest. Denk auch noch daran, dass, wenn dich nicht jetzt dieser Hahnenschrei am späten Abend weckt, alle dich mit Recht träge schelten werden. Lebwohl, trefflichster und von Herzen verehrter Mann. Christus, der Hüter seiner Gläubigen, sei stets mit dir; er leite und behüte dich. Amen. Herrn Camerarius und andere Freunde, wenn ich außer ihm noch solche dort habe, grüße von mir.

Genf, 23. August 1555.

Calvin, Jean – An Melanchthon in Wittenberg (443)

Den Ausdruck Artolatrie (Brotanbetung) hatte Melanchthon in seinem letzten Brief von der lutherischen Abendmahlslehre selbst gebraucht.

Calvin dringt auf ein offenes Bekenntnis.

Dein Brief erlauchter Mann, war mir nicht nur darum erfreulich, weil mir alles lieb ist, was von dir kommt, und weil ich daraus sehe, dass in deinem Herzen noch die gleiche Liebe festwurzelt, mit der du mich von Anfang an umfasstest, sondern vor allem deshalb, weil du meinen Eifer in der Bekämpfung der Servetischen Gottlosigkeit mit so reichem Lobe bedenkst, woraus ich auch schließe, dass du durch die schlichte Offenheit meiner Ermahnungen dir gegenüber nicht erzürnt worden bist. Nur das vermisste ich, dass dein Brief nicht länger war; zwar will ich dich nicht unverschämt drängen, aber soweit es erlaubt ist, ohne deinen Frieden zu stören, möchte ich dich doch wieder und wieder gebeten haben, die Fragen, von denen ich dir schrieb, wenigstens still bei dir zu erwägen. Ich setze das Vertrauen auf dich, du werdest dich wenigstens bemühen, dass wir uns über die Gnadenwahl auf eine deutlichere Lehrform als die bisherige einigen können. Deines Herzens innerste Meinung über die Artolatrie war mir schon früher bekannt, und du verhehlst sie ja auch in deinem Briefe nicht. Doch missfällt mir bei dieser Frage deine allzu große Lässlichkeit, durch die der Wahnwitz der Leute, die du sich so stürmisch zur Vernichtung der ganzen Kirche drängen siehst, nicht nur begünstigt, sondern von Tag zu Tag größer wird. Mags dir auch nicht leicht sein, solche Bestien zu bändigen (ich glaube zwar, dass das nicht richtig ist, wenn du es nur wagen wolltest) so weißt du doch, dass unsere Pflicht nicht von der Hoffnung auf Erfolg abhängen darf, sondern dass wir tun müssen, was Gott von uns fordert, selbst in der verzweifeltsten Lage. Auch deine Entschuldigung genügt mir nicht, die Übelgesinnten, die dich wegbekommen möchten, könnten darin einen guten Anlass finden. Was sollen Knechte Christi anders tun, als den Neid verachten, böses Geschwätz nicht anschlagen, alle Angst vor Gefahren hintansetzen und so alle Hindernisse, die der Satan in den Weg legt, mit sieghafter Festigkeit überwinden? Gewiss droht dir doch von ihnen, so sehr sie auch wüten mögen, nichts Schlimmeres, als dass du Wittenberg verlassen müsstest. Meines Erachtens hättest du manchen Grund, dir das von dir aus sogar zu wünschen. Aber wäre selbst das Schlimmste zu befürchten, so musst du dir doch einmal klar machen, was du Christo schuldig bist, damit du nicht ein offenes Bekenntnis der Wahrheit unterlässest und dadurch bösen Menschen stillschweigend sozusagen deinen Schutz gewährst zur Unterdrückung der Wahrheit. Ich habe, um ihrem Lärm Schweigen zu gebieten, die Hauptsache unserer Lehre wieder in einer kurzen Schrift dargestellt; alle Schweizer Kirchen haben dazu ihre Unterschrift gegeben; die Zürcher haben die Sache ganz außerordentlich unterstützt. Nun warte ich sehr gespannt auf dein Urteil, und begehre auch sehr zu wissen, was Eure andern Leute davon halten und sagen. Hören die, die uns so feindselig heruntermachen, nicht auf mit ihrem Lärm, so werden wir dann dafür sorgen, dass die ganze Welt auch uns schreien hört. Lebwohl, erlauchter, hochverehrter Mann. Der Herr leite dich mit seinem Geiste, behüte dich mit seinem Schutz und halte dich aufrecht in seiner Kraft, zugleich erhalte er uns in heiliger Eintracht, bis er uns in seinem Himmelreich zusammenführt.

5. März 1555.

Calvin, Jean – An Melanchthon in Wittenberg (411)

Vgl.  349.

Melanchthon soll Farbe bekennen.

Wiewohl es mir schmerzlich und sehr verwunderlich ist, dass ich auf meinen letzten Brief von dir keine Antwort erhielt, so kann ich doch nicht annehmen, es sei aus Verdruss oder Verachtung geschehen, denn nichts würde weniger zu deinem Charakter und deiner Art passen. Da ich nun einen Boten fand, der sich mir anbot, dir einen Brief zukommen zu lassen, so will ichs noch einmal probieren, ob ich etwas aus dir herauslocken kann. Ich rede so, nicht, weil ich an deiner Liebe zu mir, die stets übergroß war, zweifelte, sondern weil dein Schweigen mich mit Recht traurig und bekümmert machen muss, da ichs für einen Schaden an der Kirche Gottes halte. Ich habe dir kürzlich geschrieben über den Lehrpunkt, in dem du mehr deine Meinung verbirgst, als dass du eigentlich von uns abweichst. Denn was sollte ich anders glauben von einem so scharfsinnigen und in der göttlichen Lehre erfahrenen Manne wie du, da doch keinem, der auch nur einigermaßen in der Schrift bewandert ist, verborgen ist, was du verschweigst, als ob du nichts davon wüsstest. Und doch ist die Lehre von Gottes Barmherzigkeit als Gnadengeschenk von Grund aus umgestürzt, wenn wir nicht das festhalten, dass rein nach Gottes Wohlgefallen aus den Verworfenen die Gläubigen ausgeschieden werden, die er zu Seligkeit erwählen will; wenn ferner nicht das feststeht, dass der Glaube aus der verborgenen Gnadenwahl Gottes fließt, weil Gott die mit seinem Geiste erleuchtet, die er vor ihrer Geburt auszuwählen beschlossen und durch seine Gnadenannahme in seine Familie aufgenommen hat. Wie widersinnig es wäre, wenn diese Lehre vom größten Theologen [unsrer Zeit] verworfen würde, das erwäge in deiner Klugheit selbst. Du siehst, es ist schon ein sehr schlimmes Beispiel, dass in unsern Schriften ein handgreiflicher Zwiespalt zu bemerken ist. Um diese Ungleichheit zu tilgen, will ich dir nicht vorschreiben, du müssest mir beipflichten; aber uns beide unter Gottes heiliges Wort zu stellen, dessen dürfen wir uns nicht schämen. Welche Art, eine Aussöhnung der Gegensätze zu finden, dir gefällt, – ich will sie gerne annehmen. Und sieh, jetzt fangen ungelehrte, unruhige Köpfe den Sakramentsstreit von Eurer Seite aus wieder neu an! Dass auch sie durch dein Schweigen begünstigt werden, darüber seufzen und klagen alle Guten. Denn wie frech auch ihre Dummheit sein mag, – daran zweifelt niemand, dass, wenn du dich entschlössest, deine Meinung offen zu bekennen, es dir leicht fallen würde, ihre Wut wenigstens zum Teil zu dämpfen. Zwar habe ich den Anstand nicht so sehr vergessen, dass ich nicht bei mir überlegte und es auch andern zeigte, mit welcher Menschenart du es dabei zu tun hättest, wie die dich die Verwirrung aller Verhältnisse ängstlich und bestürzt macht, auch wie viel Rücksicht du nehmen musst und was deinen Lauf hindert oder aufhält. Doch ist nichts darunter so wichtig, dass dein Schweigen diesen verrückten Gesellen den Zügel schießen lassen dürfte zur Verwirrung und Zerstörung der Kirchen. Ich will gar nicht davon reden, wie wertvoll uns ein offenes Bekenntnis zur gesunden Lehre wäre. Du weißt, dass seit mehr als dreißig Jahren die Blicke einer unzählbaren Menge sich auf dich richten, die nicht mehr wünscht, als sich dir gelehrig zu erweisen. Oder wie, weißt du nicht, dass heute die zweideutige Lehrart, an die du dich allzu ängstlich hältst, viele in Zweifel schweben lässt? Steht es dir aber nicht frei, offen und deutlich zu bezeugen, was du für wissenswert hältst, so solltest du dir wenigstens Mühe geben, die Maßlosigkeit derer im Zaum zu halten, die aufdringlich um nichts Lärm schlagen. Ich bitte dich, was wollen sie eigentlich? Luther hat sein Lebenlang laut gesagt, er kämpfe um nichts anderes, als dass den Sakramenten ihre Wirksamkeit gewahrt bleibe. Nun ist man darin einig geworden, dass sie nicht leere Sinnbilder sind, sondern tatsächlich bewirken, was sie darstellen; dass in der Taufe ein Wirken des Geistes vorhanden sei, uns rein zu waschen und wiedergeboren werden zu lassen; dass das Abendmahl eine geistliche Speisung sei, in der wir wahrhaftig mit Christi Fleisch und Blut gespeist werden. Willst du also den Streit schlichten, den verkehrte Leute von neuem begonnen haben, so scheint mir, sei die Lage so günstig, dass du nicht der Furcht vor Anfeindung zu weichen brauchst. Du kannst freilich mannigfachen Kämpfen nicht so ausweichen, dass du ihnen ganz entgingest. Wir müssen nur dafür sorgen, dass die eherne Mauer des guten Gewissens nicht nur diese, sondern alle Angriffe der ganzen Welt tapfer aushalte. Denn wenn ich höre, dass dich die Beschützer eines Osiander einen biegsamen, mehr der weltlichen Philosophie, als der himmlischen Lehre ergebenen Menschen nennen, so verletzt mich das mehr, als wenn dir böswillige, freche Leute zum Vorwurf machten, was man nicht nur mit Ehren gestehen, sondern auch mit Stolz rühmen dürfte. Lebwohl, liebster Mann und vor allen hochverehrter Bruder. Der Herr behüte dich mit seinem Schutze und leite dich fernerhin mit seinem Geiste bis ans Ende.

Genf, 27. August 1554.
Dein Johannes Calvin.