Luther, Martin – An Sylvius Egranus, Prediger in Zwickau. Aus dem Lateinischen. Wittemberg den 24. März 1518

Segen von Christo voran! Ich habe die Thesen des Doktor Hieronymus Ochsenfart zu Gesicht bekommen, die er offenbar wider Euch zusammengeschmiert hat, freilich ohne Euren Namen zu nennen. Lieber Herr Egranus, seid standhaft und mutig, denn all das muß so zugehen. Wenn Euer Werk von dieser Welt wäre, würde die Welt liebhaben, was ihr eigen ist. Alles, was in der Welt ist, muß in der Welt sterben, damit der Geist verherrlicht werde. Wenn Ihr klug seid, wünscht mir Glück, wie ich es Euch tue.

Gegen meine „Thesen“ hat letzthin ein geachteter, wirklich kluger und gebildeter Gelehrter, der, was mich noch mehr schmerzt, mir durch eine junge, rege Freundschaft verbunden war, eine Reihe „Obelisken“ geschrieben. Es ist der bekannte Johannes Eck, Doktor der Theologie, Prokanzellar der Universität Ingolstadt, Kanonikus von Eichstätt und jetzt auch Prediger beim Augustinerkloster; er hat schon einen berühmten Namen und ist auch durch Bücher bekannt geworden. Kennte ich nicht die Gedanken Satans, so würde ich mich über die Verblendung wundern, mit der er unsere junge, schöne Freundschaft zerbricht, ohne mich vorher zu mahnen oder zu schreiben oder Abschied zu nehmen.

Er hat also „Obelisken“ verfasst, in denen er mich als giftigen Böhmen, Ketzer, Aufrührer, als dreist und leichtfertig verschreit; leichtere Schmähungen will ich gar nicht erwähnen, wie wenn er mich verschlafen, unfähig, unwissend, schließlich auch Verächter des Papstes betitelt. Kurz und gut, nichts als die schmutzigsten Schimpfereien, mit ausdrücklicher Nennung meines Namens und Anführung meiner Thesen. Und so ist das ganze Buch voll blassen, gelben, wütenden Neides und Hasses.

Trotz alledem war es meine Absicht, diesen wahren Hundefraß mit Geduld hinunterzuschlucken. Jedoch die Freunde haben mich zu einer Antwort gezwungen, die ich aber nicht veröffentliche, sondern ihm nur selber zugehen lasse. Gepriesen sei der Herr Jesus, und ihm allein sei die Ehre, uns mag nach Verdienst die Schmach bedecken. Seid fröhlich, lieber Bruder, seid fröhlich und lasst euch nicht von solch ein paar fliegenden Blättern abschrecken, weiter zu lehren, wie Ihr begonnen habt; richtet Euch vielmehr auf wie die Palme in Cades gegen das Gewicht, das sie niederdrücken will.

Was mich anbetrifft, so gehe ich um so viel weiter, je mehr die Feinde toben; ich lasse das eine hinter mir, und sie mögen es anbellen; ich verfolge neue Fragen, damit sie dann auch diese anschreien! Fahrt mit Erfolg fort und betet nur zum Herrn, dass er selber seines Namens Ehre wirkt und dass sein Wille geschehe. Dem Doktor Hieronymus Ochsenfurt habe ich geschrieben, daß ich Eure Behauptungen nicht für irrtümlich, sondern für wahr, seine Thesen dagegen zum großen Teil für falsch halte und dass ich selber bereit bin und auch darauf baue, dass Ihr meine wie Euere Irrtümer verteidigt. Was sie aber aus den scholastischen Doktoren vorbrächten, damit richteten sie bei uns gar nichts aus und verschwendeten bloß nutzlos Worte.

Ich bin nahe daran, zu behaupten, es gibt in der ganzen Scholastik und zumal in Leipzig keinen Theologen, der ein einziges Kapitel des Evangeliums und überhaupt der Bibel oder auch der Philosophie des Aristoteles versteht. Das hoffe ich mit Ehren beweisen zu können, wenn man mir eine Rechenschaftsablage ermöglicht. Es müsste denn heißen das Evangelium verstehen, wenn einer tote Worte macht, es sei gehauen oder gestochen. Darum keine Furcht vor der Unwissenheit! Laßt Euch von den großklingenden Titeln von Doktoren, Universitäten, Magistern nicht beeinflussen; das sind ja bloße Fratzen und Masken; fürchtet sie nicht, wo Ihr ihnen doch ins Herz seht; fürchtet nicht hohlen Tand und Flitter! Der Herr mag Euch nur die Larven recht erkennen lassen und Euch stärken; lebt wohl in ihm

Wittenberg Tags vor Mariä Verkündigung 1518

Martinus Lutherus, Augustiner

Quelle:
Martin Luther Briefe In Auswahl herausgegeben von Reinhard Buchwald Erster Band Leipzig / Im Inselverlag / mdccccix