Zürich, den 13. März 1556
Ehrwürdiger, hochverdienter, frommer, theuergeschätzter Herr und Bruder in Christo!
Wie ungemein angenehm und erwünscht war mir Eure letzte freundschaftliche, herzliche Zuschrift! Empfanget dafür meinen wärmsten, besten Dank. Mein Heinrich kann mir nicht genug sagen, wie liebreich Ihr ihn aufgenommen habt, wie väterlich Ihr für ihn sorgt, und ihm überall mit dem besten Rath an die Hand geht. Empfanget dafür meinen besondern Dank. O fahrt doch fort, ihn zu unterrichten, zu ermuntern, anzutreiben, für ihn zu sorgen! Ihr werdet, will’s Gott, keinem Undankbaren diese Wohlthat erweisen; an mir wenigstens soll’s nicht fehlen. Immer und immer mache ich ihn auf den Werth dessen, was er Euch verdankt, aufmerksam. Meines Herzens erster Wunsch ist, daß dieser mein Sohn fromm und wohlgelehrt seiner Zeit in seine väterliche Heimath zurückkehre, um dem Vaterlande nütlich zu seyn, und dem Herrn in der Wahrheit zu dienen.
Wie thut es mir so leid, ehrwürdiger Vater, daß der traurige Sakramentstreit wieder neu losbricht. Man hat uns recht eigentlich bei den Haaren auf den Kampfplatz gezogen, und wider Willen gezwungen, einigen bittern Druckschriften zu antworten. Ich nehme die Freiheit, Euch, mein Bester, ein Exemplar unsrer Apologie zu senden. Ich fechte zwar mit allen Waffen, doch immer so, daß ich den Frieden anbiete, der jedem der Unsern tausendmal lieber wäre, als offene Fehde. O wenn Ihr, Ehrwürdiger, etwas vermöget (Euer Einfluß ist aber ungemein stark), so sprecht doch! Tretet mit aller Macht in’s Mittel! Bändiget die rasende Heftigkeit gewisser, Euch wohlbekannter Männer! Sagt ihnen, wenn’s doch geschrieben seyn müsse, so sollen sie wenigstens die Schimpfworte, Vorwürfe, bittern Beschuldigungen auf der Seite lassen, und auf eine vernünftige, bescheidene, einleuchtende Weise mit Schriftgründen fechten. Es wäre aber tausendmal besser, wenn wir gegenseitig tolerant wären, und einer den andern ungebissen lassen würde, in so fern wir uns doch nicht verständigen und ausgleichen können. – Welche fatale folgen hat diese Gespanntheit, dieß Schisma unter Brüdern! Gewinnen nicht dadurch unsre gemeinschaftlichen Feinde an Stärke, und werden nicht die Schwachen übel geärgert?
Was uns betrifft, so widerlich uns der ewige Kampf ist, so können wir dochh unsre gerechte Sache nicht Preis geben. Ich meinerseits habe von Natur einen Widerwillen vor allen Zänkereien; aber je zuweilen fordert die Religion, daß man die vom Herrn angewiesene Stelle mit aller Kraftanstrengung behaupte. Noch einmal bitte ich Euch darum, frommer, hochgelehrter Herr und Freund, tretet Ihr selbst in’s Mittel. Es muß Euch doch in die Augen springen, daß wir weder Irreligiositäten noch Absurditäten lehren oder verfechten.
Mein Sohn wird Euch meine letzte deutsche Druckschrift: Summa wahrer christlicher Religion(Zürich 1556), behändigen; es ist ein Inbegriff aller, wenigstens der wichtigsten, Dogmen unsers Glaubens. Ich kann mir durchaus nicht vorstellen, daß Ihr selbst, oder andre fromme und bescheidene Männer, diese meine Arbeit mißbilligen werdet. Sollte aber Euch selbst oder andern Einzelnes darin aufstoßen, was Ihr geändert wünschet, so bitte und beschwöre ich Euch, mir es offenherzig sagen zu wollen. Das freimüthige Urtheil frommer Männer über meine Studien und Arbeiten ist mir gar zu wichtig.. Freundschaftliche Winke machen immer für die Zukunft vorsichtig.
Herzlich grüßen Euch alle meine Mitstreiter im Herrn, und wünschen Euch allen Segen vom Herrn. O liebet uns, treuer Bruder in Christo, uns, die wir eine so herzliche Liebe zu Euch tragen! Nochmals empfehle ich Euch meinen lieben Sohn, als gehörte er Euch selbst an.
Der Herr sey mit Euch!
Euer
Bullinger
Quelle:
Merkwürdige Züge aus dem Leben des Zürcherischen Antistes Heinrich Bullinger, nebst dessen Reiseinstruktion und Briefen an seinen ältesten Sohn Heinrich, auf den Lehranstalten zu Straßburg und Wittenberg. Der studierenden Jugend auf das dritte Reformations-Jubiläum der Stadt und Republik Bern 1828 gewidmet von Joh. Friedr. Franz, evangel. Pfarrer zu Mogelsberg, Kantons St. Gallen Bern, bei J.J. Burgdorfer. 1828.