Nr. 508 (C. R. – 2531)
Dr. med. Justus Wels von Haag war 1544 als Professor der Philosophie in Straßburg gewesen, dann nach Köln als Professor berufen, dort als Evangelischer aber gefangen gesetzt worden, und trat nun in Frankfurt auf Grund „prophetischer Gesichte“ Calvin entgegen, um mit ihm über den freien Willen zu disputieren.
Von den Frankfurter Händeln. Über die Veranstaltung eines Religionsgespräches.
Hierher haben mich die Streitigkeiten geführt, durch die der Satan seit fast zwei Jahren die hiesige kleine französische Gemeinde zerriss, so dass schließlich die größte Gefahr drohte, wenn nicht sehr schnell helfend eingegriffen wurde. Seit ich Frankfurt betrat, hatte ich sozusagen keinen Augenblick, um frei aufzuatmen. Als ob ich in dieser Sache noch zu wenig zu tun hätte, machte mir noch ein verrückter Mensch, namens Wels, dem du auch schon zweimal geschrieben hast, mit neuen Ränken zu schaffen; doch widmete ich seiner Zudringlichkeit nur zwei Tage. Die Schlichtung der hiesigen Zwistigkeiten, die durch die lange Dauer sehr tief eingewurzelt sind, gibt mir noch stets zu tun. Verzeih also die Kürze meines Briefes; denn es wurde mir erst, als ich zum Nachtessen kam, gesagt, es gehe morgen früh ein Bote ab. Freilich werde ich wohl ohne Mühe deine Verzeihung dafür erlangen, da ich aus deinem Schweigen ja den Schluss ziehen muss, dass du gar nicht so sehr nach einem Brief von mir verlangst. Ich bin aber doch nicht nur von deiner Billigkeit, sondern auch von deiner wahren, echten Liebe zu mir so überzeugt, dass ich keinen Zweifel daran hege, meine Treue im Schreiben sei dir angenehm.
Ich habe hier aus Briefen von dir an verschiedene Freunde erfahren, wie weh dir der entsetzliche Fanatismus der Leute tut, die zum verhängnisvollen Schaden der Kirche sich an Zank und Hader weiden. Obschon einige unter ihnen dich persönlich aufs Korn nehmen, so denke ich doch, dass dich in deiner Frömmigkeit das allgemeine Unheil noch mehr und dauernder betrübt. Damit eine solche maßlose Streitsucht also nicht länger ungestraft wüten darf, wird man bald zu dem Mittel greifen müssen, das, wie ich mit Freuden vernehme, auch dir einleuchtet. Ja, wir müssen umso mehr auf eine solche Zusammenkunft dringen, je hartnäckiger die Gegner diesen Plan verwerfen, je wütender sie ihren Abscheu davor kundtun. Pflicht der Fürsten wäre es gewesen, sie dazu zu nötigen, da sie sich freiwillig doch nicht dazu herbeilassen. Da aber die Fürsten zögern, dies zu tun, weil sie allzu sehr mit andern Dingen beschäftigt sind, vielleicht auch weil die Furcht, böses Blut zu machen, einzelne zurückhält, so ist deine Absicht, durch privates Eingreifen ein Religionsgespräch zustande zu bringen, gut und klug, wenn nur herzhaft ausgeführt wird, was du schreibst. Man braucht auch nicht lange zu warten, bis sich viele dem Plan anschließen, sondern wenn du das Zeichen dazu gibst, so werden alle sich einfinden, denen die Ruhe der Kirche am Herzen liegt. Wärest du doch zum Pfalzgrafen gekommen! Es wäre von großer Bedeutung gewesen, dass er von Anfang an von guten Ratschlägen geleitet worden wäre. Bietet sich aber wieder einmal ein Anlass, so ists besser spät als nie. Was du beschließest, teile mir so rasch wie möglich mit, ich bitte und beschwöre dich darum. Lebwohl, trefflichster, von Herzen verehrter Mann. Der Herr erhalte dich stets aufrecht durch seine Kraft; er leite dich durch seinen Geist und halte dich in seiner Hut. Grüße die Freunde in Wittenberg.
Frankfurt, 17. September 1556.
Dein
Johannes Calvin.