Calvin, Jean – An einen Agenten am Hof des Königs von Navarra.

Nr. 647 (C. R. – 3302)

Das Gutachten über die nach dem Tode Franz II. zu ergreifenden Maßregeln, das Calvin zu Händen des Königs von Navarra (des „Herrn“) ausstellte, kam insofern zu spät, als Katharina von Medici sich sofort nach des Königs Tode der Vormundschaft bemächtigte, und der „Gefangene“ Conde entlassen wurde; indessen blieb er bis zum gerichtlichen Spruch im Juni 1561 auf einem Schlosse seines Bruders in freiwilliger Haft. Obwohl die französische Hofetikette eine vierzigtägige Totenwache der nächsten Umgebung des verstorbenen Königs forderte, unterließen die Guisen dies, um ihren Einfluss auf die Staatsgeschäfte nicht zu verlieren, und der König wurde ohne Sang und Klang beerdigt. Mit Conde waren seine Schwiegermutter, Madame de Roye, und mehrere Personen seines Gefolges gefangen.

Politische Ratschläge nach Franz II. Tod.

Es ist dem Herrn zu sagen, er möge vor allem drei Punkte in Betracht ziehen:

Erstens, dass die Befreiung des Gefangenen nur durch gerichtlichen Spruch und vollständigen Prozess stattfinde, damit nicht für die Zukunft ein Makel und Tadel bleibe. Das liegt in seinem persönlichen Interesse, indem es ihn von zukünftigen Beleidigungen und Beunruhigungen befreit, falls sich nochmals solche Dinge begeben sollten; denn dadurch wird jeder weitern Belästigung die Tür verschlossen. Es wird dies auch eine Erleichterung für die übrigen Gefangenen zur Folge haben und ihm ermöglichen, seine Sache gut zu verfechten; sonst könnte es immer von neuem wieder beginnen. Genannter Herr kann auch überzeugt sein, dass dies ohne Gefahr noch Schwierigkeiten geht, wenn die Sache vor kompetenten Richtern durchgeführt wird, wie sie heutzutage sein sollten, und dass wir hoffen, es sei bereits für einen guten Beginn der Sache gesorgt.

Der zweite Punkt ist der wichtigste, denn von ihm hängt alles Übrige ab. Nämlich: es muss ein Regentschaftsrat eingesetzt werden. Wenn sie dabei beklagter Herr nicht vom ersten Augenblick an mannhaft benimmt, so wird der Fehler schwer wieder gutzumachen sein. Einzuwilligen, dass eine Frau, noch dazu eine Fremde, eine Italienerin, regiere, gereichte nicht nur ihm zu großer Unehre, sondern schüfe auch für die französische Krone einen Präzedenzfall, der für immer schimpflich wäre. Man mag ihr alle mögliche Ehre erweisen, aber das soll nicht hindern, dass sie doch die Hauptrolle nicht erhält. Sei dem wie ihm wolle, – es ist mehr als notwendig, dass eine Regentschaft eingeführt wird, was nur durch die Ständeversammlung geschehen kann. Besagter Herr weiß in seiner Klugheit wohl, dass es nicht gut anders ginge; selbst wenn es für die Gegenwart gut ginge, so wäre es ein böses Beispiel. Da nun die Ständeversammlung, die einberufen ist, dazu keinen Auftrag hat, so müsste nachträglich eine neue auf recht baldigen Termin einberufen und inzwischen eine provisorische Regierung eingesetzt werden. Das könnte nun wohl Disput und Widerspruch absetzen, da die Gegenpartei, um sich zu halten, auf die Traktanden hinweisen wird, die bereits vorliegen. Aber man wird darauf bestehen müssen, dass das Recht denen, welchen es zukommt, nicht genommen wird, ohne dass sie etwas davon erfahren. Ist das einmal gewonnen und wird inzwischen recht und gehörig gesorgt, so wird die Bestätigung nicht fehlen, und die Ständeversammlung wird ohne Schwierigkeit tun, was nach Vernunft und Billigkeit zu wünschen ist. Ein Übelstand lässt sich schwer aufs erste Mal beseitigen; nämlich die Macht derer, die bisher so großen Erfolg hatten, ist schwer zu brechen. Man muss da erwägen, ob es wohl besser ist, sie gleich ohne Zögern scharf anzugreifen oder es aufzuschieben, bis man ihnen den Prozess machen kann. Vielleicht wäre es gut, sie den Leichnam des verstorbenen Königs bewachen zu lassen, wie sie einst andere diese Rolle spielen ließen. Was man aber auch tut, – wenn sie nicht eigentlich abgesetzt werden, so gibt man ihnen Frist sich zu stärken; deshalb scheint es das Beste, sie im Auge zu behalten, bis man sie behandeln kann, wie sie es verdienen. Doch ist dabei wieder zu bemerken, dass sie, wenn sie auch nur noch einen Schein von Ansehen haben, dies zum Intrigieren benutzen werden, so dass, wenn man ihre Bosheit hindern will, man sie an kurzem Zügel führen und ihnen nicht lange Frist geben sollte, sich zu stärken, sondern ihnen zuvorkommen müsste. Wäre es möglich, sie bereits in Anklagezustand zu versetzen, wenn die Ständeversammlung zum zweiten Male einberufen wird, so wäre es wohl das Beste.

Der dritte Punkt ist die Frage der Religion. Da ist nur zu wünschen, dass die im ersten Edikt gewährte Freiheit gewahrt wird, nämlich, dass man Beschwerden vorbringen darf. Freilich ist das ja seither geändert worden, und man hat den Gläubigen verboten, auch nur ein Wort verlauten zu lassen. Da aber diese Änderung gewaltsam und nicht zur Ehre des Königs eingeführt worden ist, so scheint mir, diese Freiheit könnte leicht wiederhergestellt werden. Werden nun die Beschwerden angenommen, so genügt das wenigstens, um für den Augenblick dafür zu sorgen, dass die Verfolgung aufhört gegen die, die keinen Aufruhr machen und nicht zur Gewalt zu greifen suchen. Es genügt vor der Hand durchaus, dass, wer nicht mit gutem Gewissen in die Messe gehen kann, es lassen darf. Und damit diese dann nicht religionslos leben müssen, so mag ihnen auch erlaubt werden, sich zum Gebet und zur Anhörung des Wortes Gottes zu versammeln; doch soll es bei schweren Strafen verboten sein, mehr zu unternehmen, als in dieser Erlaubnis liegt, die dadurch noch annehmbarer gemacht werden kann, dass allen, die von ihr Gebrauch machen wollen, befohlen würde, sich bei den königlichen Beamten ihres Wohnsitzes eintragen zu lassen, und dass einige der angesehensten Glieder der Gemeinschaft für alle verantwortlich sein sollen, indem sie für diejenigen, die das Gebot übertreten, zur Rechenschaft gezogen werden.

Sind diese Vorschläge dem genannten Herrn auseinandergesetzt, so mag er noch darauf aufmerksam gemacht werden, dass ich sie nicht etwa vorgebracht habe als einer, der Ruhe hat und nicht an Kämpfe denkt, die dabei zu bestehen sind; sondern ich mache es nur wie die Ärzte, die vorschlagen, was notwendig ist, damit die Patienten, wenn sie es auch nicht ganz halten, doch es annähernd tun.

Es ist auch darauf aufmerksam zu machen, dass, bevor er sich losgemacht hat von all dem Geschmeiß, das ihn umgibt, er nicht nur keinem guten Rat Folge leisten wird, weil er von Stunde zu Stunde Zerstreuungen hat, sondern dass Gott ihm nicht einmal Glück und Gedeihen geben wird. Man ersuche ihn, den 101. Psalm zu lesen, aus dem er erkennen wird, dass Gott nicht bei ihm wohnen kann, bis er sich von solchem Schmutz gereinigt hat. Gerade weil ihm Gott eine weiche, nachgiebige Natur gegeben hat, muss er sich umso mehr in acht nehmen, in seiner Umgebung nur Leute zu haben, die ihn zum Guten ermutigen.

Zum Schluss soll man ihm sagen, dass ich ihn bitte, mir zum Lohn Freude zu machen, wie er mir bisher Kummer machte.

[Dezember 1560.]

Calvin, Jean – An einen unbekannten Adressaten.

Nr. 640 (C. R. – 3259)

Erklärung eines unfreundlichen Empfanges.

Dass ich dich bei unserm letzten Zusammentreffen nicht gerade heiter empfing, geschah weder aus Widerwillen gegen dich, noch aus Verachtung, sondern einfach, weil ich mich nicht anders stellen wollte, als mir zu Mute war. Gewiss, ich hatte, wie du vermutest, allerlei Ungünstiges oder doch mir Missfallendes über dich gehört. So war ich von einer gewissen Angst befangen, so dass ich dir meine Empfindung nicht ganz frei und offen darlegen konnte. Meinst du, ich sei zu leichtgläubig gewesen, dass ich nicht sofort abwies, was doch einigermaßen wahrscheinlich klang, so wisse, dass andere über meine Schwergläubigkeit klagen, wenn ich nicht jedem Geschwätz Glauben schenke. Hätte ich doch von vornherein ohne Kenntnis der Sache verurteilt, so hätte ich unbillig gehandelt, das will ich gestehen; aber was mir berichtet wurde, einfach abzulehnen und das Urteil frommer Männer für nichts zu achten, wäre doch gar zu hochmütiger Eigensinn gewesen. Ich wollte dir nicht Unrecht tun durch gar zu rasche Annahme dessen, was ich gehört hatte, und doch konnte ich nicht glauben, dass das, was man von dir sprach, rein aus dem Nichts gegriffen sei. Nun schien mir dein ganzes Reden bei mir darauf hinauszulaufen, dass ich dir gratulieren sollte. Ich konnte es nicht, weil es die Sache nicht erlaubte, und wollte dich doch auch nicht durch besondere Schärfe verletzen und dich dadurch in deiner Pflicht lässig und lau machen. So war denn meine Rede unbestimmt und mein Benehmen sozusagen neutral; es sollte kein Zeichen von Hass und Verwerfung sein und doch auch nicht gerade entgegenkommend; denn hätte ich dergleichen getan, als billige ich alle deine Handlungen, so wäre es falsche Heuchelei gewesen. Freilich machten mich nicht nur diese Gründe befangen, sondern mir graute vor Euerm ganzen Wirrsal. Denn da ich sehe, dass ich doch gar nicht helfen kann, Euer Elend zu heben oder doch zu erleichtern, so lasse ich die Berichte voll Schmerz und Ekel gar nicht gern an mich heran. Das haben auch schon andere fromme Brüder erfahren, an denen ich noch allerlei anders haben möchte, die ich aber doch nicht aufhöre zu lieben, weil ich ihrer Schwachheit verzeihe. Sei also überzeugt, dass ich, obwohl ich an dir und deinesgleichen einiges gebessert sehen möchte, doch die brüderliche Gemeinschaft mit Euch weiter pflegen will. Je mehr dir und ihnen die traurige Verwirrung Eures Zustandes missfällt, umso mehr gefällt Ihr mir. Lebwohl. Der Herr sei stets mit dir; er leite dich mit seinem Geiste und segne dich samt deinem Hause.

Genf, 13. Oktober 1560.

Calvin, Jean – An einen unbekannten Pfarrer in Polen.

Nr. 629 (C. R. – 3212)

Francisco Stancaro aus Mantua lehrte, dass Christus allein nach seiner menschlichen Natur unsere Gerechtigkeit geworden sei, und suchte wie alle nicht orthodoxen Elemente jener Zeit in Polen Anhänger zu werben. Ludovico Vives, ein in den Niederlanden lebender spanischer Humanist, hat sich besonders als Pädagoge berühmt gemacht. Gegen Stancaro hatten die evangelischen Pfarrer Polens ein Bekenntnis aufgestellt und zur Begutachtung nach Genf gesandt.

Über Stancaro, Konkubinat und Ehe und Pestgefahr.

Da der Edelmann, der uns den gemeinsamen Brief der Brüder und deinen besondern brachte, verehrter Bruder, einigermaßen merken konnte, wie wenig Zeit mir zum Schreiben blieb, so will ich nicht viele Worte machen, um wegen des kurzen Briefes um Verzeihung zu bitten. Schon gleich, als er kam, machte ich ihn darauf aufmerksam, in den nächsten zwei Tagen habe ich keine freie Zeit; erst heute kann ich antworten. Da jedenfalls die andern Kirchen Euch mit Eifer behilflich sein werden, so haben wir nur in Kürze die Lehre in ihrer Hauptursache dargestellt, in der Euch Stancaro Schwierigkeiten macht. Ist es von Nutzen, so wollen wir unsern Brief veröffentlichen, damit er unsere Übereinstimmung aller Welt bezeuge. Ein Abschnitt darin wird Euch kundtun, dass wir Eure Formulierung der Lehre vom Priestertum Christi nicht ganz billigen, nämlich als ob es zeit- und anfangslos wäre, da er doch als Priester ebenso wie als Versöhner erst eingesetzt worden ist [nach dem Sündenfall]. Wollt Ihr also unserm Rat folgen, so wäre hier etwas zu ändern, damit der Gegner nicht den Punkt herausgreife, um Euch zu verleumden. Ferner hat uns zwar der Fleiß und die Geschicklichkeit, mit denen Ihr die Zitate der Alten über diese Frage gesammelt habt, wie die darin sich zeigende Gelehrsamkeit und Urteilsfähigkeit nicht wenig gefallen aber doch möchten wir manches aus der Fülle ausgeschieden sehen, damit nicht dieser unredliche, geschwätzige Sophist aus den zweideutigen oder nicht ganz klaren Zitaten einen Dunst mache, um dadurch die klare Wahrheit zu verdunkeln. Auch dass Ihr den Namen Ludovico Vives darunter aufführt, tut der Wirkung einigen Eintrag. Denn der, weit entfernt unter die Theologen gerechnet werden zu können, ist kein alter Schriftsteller und kennt kaum die Elemente der evangelischen Lehre. Wir wollten Euch darauf noch besonders aufmerksam machen, damit kein Makel auf Euer Bekenntnis fällt, wenn es veröffentlicht wird. Die andern Fragen, in denen Ihr unsern Rat verlangt, müssen wir der kurzen Zeit wegen rasch erledigen. Unehelich erzeugte Kinder sind nach dem Zivilrecht erst als legitimiert anzusehen, wenn der Vater die Konkubine heiratet, die Kinder als die seinen anerkennt und dies öffentlich bezeugt. Den Eltern dies Zugeständnis zu machen, scheint uns richtig, damit Männer und Frauen sich aus ihrer regellosen Unzucht in den heiligen Ehestand flüchten. Die Liebe zu den Kindern ist so die beste Einladung zur Buße und das beste Pfand wirklicher gegenseitiger Liebe zwischen den Eltern. Denn wenn die Gesetze mit Recht verbieten, Unehelichen ein Erbe zu übergeben, so hebt doch eine nachträgliche Ehe frühere Verfehlungen und Mängel wieder auf. Damit hängt auch die Frage zusammen, ob Konkubinen bei der Trauungshandlung schon als Ehefrauen zu behandeln sind. Gewiss ist bis auf den Tag der Eheschließung ein Beisammenleben zu verurteilen und nach der Kirchenordnung zu bestrafen; aber wo beide Teile einverstanden sind, sich gesetzmäßig zu verehelichen, da ist doch der Reue die Tür nicht ganz zu verschließen.

Die dritte Frage scheint mir von dummen Menschen zu stammen, die nie auch nur eine Idee von menschenfreundlichem Sinn hatten. Sie nennen es Sünde, wenn jemand seinen Wohnort wechselt, um der Pestgefahr zu entfliehen. Also wärs auch nicht erlaubt, gesunde Luft aufzusuchen, auch nicht, ein Haus in gesunder Lage einem andern vorzuziehen; also auch nicht, sich vor schädlichen Dünsten in acht zu nehmen. Also darf man sich vor Ansteckung nicht im Mindesten fürchten. Doch genug solcher Paradoxien, die uns schließlich nötigten, unsern Verstand beiseite zu setzen. Indessen ist unser Rat nicht so gemeint, als wollten wir Nachsicht üben mit der Furchtsamkeit derer, die um der Pestgefahr willen die Stellung lassen, zu der sie berufen sind; zum Beispiel, wenn ein Mann seine Frau, eine Frau ihren Gatten, Kinder ihre Eltern oder umgekehrt Eltern ihre Kinder verlassen, wenn ein Pfarrer seine Gemeinde im Stich lässt, um für sich zu sorgen, oder ein Beamter seinem Posten untreu wird. Aber wenn keine Pflicht vernachlässigt wird, so darf man die Ansteckungsgefahr so gut zu meiden suchen, wie Feuer oder Schwert. Lebwohl, trefflicher Mann und verehrter Bruder. Der Herr sei stets mit dir; er halte dich aufrecht mit seiner Kraft; er leite dich mit Klugheit und segne dein Wirken. Amen.

Genf, 9. Juni 1560.

Calvin, Jean – An einen gefangenen Evangelischen in Frankreich.

Nr. 611 (C. R. – 3131)

 

Aus dem sonst nicht besonders charakteristischen Briefe sei nur ein Satz angeführt. Genf war seit dem Frieden von Chateau-Cambresis ständig von Herzog Philibert Emanuel von Savoyen (vgl. 542) bedroht, der mit Frankreich und Spanien im Bunde stand. Die ganze Bevölkerung arbeitete mit größter Energie an der Befestigung der Stadt. Nachdem Calvin den Gefangenen zur Ausdauer ermahnt hat, schreibt er:

Genf in Gefahr.

– – – Freilich sage ich das zur Stunde noch fern von der Gefahr, aber nicht allzu fern und wohl auch nicht mehr gar lang; denn soviel man beurteilen kann, kommt die Reihe nun bald an uns. Deshalb wollen wir miteinander lernen, aufzuschauen zum Himmel und nicht müde zu werden, bis wir unsern Lauf vollendet haben – –

13. November 1559.

Calvin, Jean – An eine unbekannte Dame in Frankreich.

Nr. 603 (C. R. – 3064)

Wann darf eine Frau ihren Mann verlassen.

Wir sind nicht so unmenschlich, dass wir nicht Mitleid mit all denen hätten, die leiden müssen um der Ehre Gottes und des Evangeliums unsres Herrn Jesu Christi willen, und möchten sie trösten, soweit es möglich ist und wir Gelegenheit dazu haben. Vor allem haben wir Mitleid mit den armen Frauen, die von ihren Männern schlecht und roh behandelt werden, weil das eine gar harte, grausame Tyrannei ist, unter deren Joch sie stehen; indessen halten wir es doch nicht für erlaubt nach Gottes Wort einer Frau zu raten, sie möge ihren Mann verlassen, es sei denn, dass Vergewaltigung vorliegt. Eine Vergewaltigung sehen wir noch nicht darin, wenn der Mann grobe Worte braucht und sie bedroht, nicht einmal, wenn er sie schlägt, sondern nur, wenn ihr Leben offenkundig in Gefahr ist, sei es das der Gatte sie verfolgt oder sich mit den Feinden der Wahrheit wider sie verbündet, oder dass es anderswoher komme. So antworten wir denn in dem uns vorgelegten Fall, dass wir noch keinen genügenden Grund wahrnehmen, weswegen sich diese Frau zurückziehen darf, bis die Gefahr handgreiflich ist. So ermahnen wir sie im Namen Gottes, das Kreuz geduldig zu tragen, das Gott ihr auferlegt hat, jedoch nicht zu weichen von ihrer Pflicht gegen Gott, um ihrem Mann zu gefallen, sondern sich ruhig zu verhalten, was es auch gebe, und zu zeigen, dass sie entschlossen ist, ihren Vorsatz nicht aufzugeben. Fühlt sie sich schwach, so soll sie Gott bitten, dass er ihr Festigkeit gebe. Dabei soll sie sich bemühen, das Herz ihres Gatten zu erweichen. Wird sie gewaltsam gezwungen, dann ist es ihr nach Gottes Wort erlaubt, sich von ihm zu trennen, und wenn sie es tut, so ists doch kein böswilliges Verlassen ihres Gatten; denn sie ist dann doch stets bereit, bei ihm zu sein, wenn es ohne Todesgefahr angeht.

4. Juni 1559.

Calvin, Jean – An einige polnische Pfarrer und Edelleute.

Nr. 520 (C. R. – 2602)

Sieben evangelische Pfarrer und zehn Edelleute Polens hatten Calvin aufgefordert, nach Polen zu kommen, um der Reformation zum Durchbruch zu verhelfen, und den Genfer Rat um seine Entlassung gebeten. Lismano war nach seiner Rückkehr nach Polen vom König auf Betreiben der Bischöfe zeitweilig wieder verbannt worden.

Ablehnung eines Rufes nach Polen.

Hätte ich Euern Brief, hohe und edle Herren und herzlich verehrte Brüder, an der Herbstmesse in Frankfurt erhalten, statt erst auf der Rückreise in Zürich, so hätte ich die Antwort nicht bis jetzt hinaus geschoben. Denn von jenem Handelsplatz aus findet sich stets günstige Gelegenheit, Botschaft zu senden, und damals war ja eben unser verehrter Bruder, Herr Johann von Laski, zur Reise bereit, der nicht nur um Euret- und meinetwillen dieses Amt gern übernommen hätte, sondern mir auch der treueste Vermittler meiner Gedanken gewesen wäre. Da sich mir aber seither kein Bote antrug, der einen Brief hätte mitnehmen können, so hielt ich besondere Eile für unnötig, besonders da ich aus der langen verstrichenen Frist leicht den Schluss ziehen konnte, dass man meine Hilfe nicht dringend brauche, und Herr Lismanino daran verzweifelte, dieses lange Warten noch länger aushalten zu können, und uns eher erwarten ließ, er komme wieder zu uns, als dass er uns durch Hoffnung auf Erfolg Mut zum raschen Handeln gemacht hätte. Wenn auch aus Euerm Schreiben zu ersehen war, dass Euch mein Kommen lieb gewesen wäre, so fürchtete ich doch, weil mein Wegzug von der Genfer Kirche einen nicht geringen Verlust bedeutet hätte, ich handelte in blindem Eifer wie ein unbedachter, allzu hitziger Mensch, wenn ich nach Polen käme, ehe es Zeit wäre. Als ich daher bei meiner Rückkehr Euer Schreiben dem Rat vorlegte, fügte ich gleich, weil alles betrübt und ängstlich wurde, bei, man brauche darüber gar nicht zu beraten; denn die fünf Monate, die schon damals nach Abgang Eures Briefes verflossen waren, hätten wohl die Sachlage bereits verändert. Ich sage, sie waren ängstlich, weil sie Euch nicht gern etwas abgeschlagen hätten, sondern aufs Beste für Euch hätten sorgen und sich Euch nach Kräften gefällig erweisen mögen, und doch nur sehr ungern mir Urlaub gegeben hätten. Jetzt, da Ihr durch Gottes Güte die Arbeit Herrn Johann von Laskis, dieses edeln Mannes und treuen Dieners Christi, genießen dürft, so sehe ich nicht ein, weshalb Ihr auch noch meine Gegenwart begehren solltet. Denn wenn er auch, wie ich hoffe, mich nicht ungern zum Genossen hätte, und es mir sehr angenehm wäre, gemeinsam mit ihm unter Euch zu wirken, so werdet Ihr mich doch nicht ohne Not von dem Posten, an dem ich jetzt mit Nutzen tätig bin, wegrufen wollen. Wenn ich mir nicht den Vorwurf des Leichtsinns zuziehen will, so darf ich bei so unsichern Verhältnissen nichts Derartiges probieren. Euch das früher zu schreiben, daran hat mich Herr Lismanino verhindert, der mir schrieb, er werde vielleicht erst in einigen Monaten bei Euch sein. Freilich kamen nachher noch andere Briefe, nach denen man hoffen konnte, es stehe besser, die aber doch durch das, was sie nicht meldeten, wohl merken ließen, dass kein Grund zu besonderer Eile sei. So bleibt mir nur eins übrig; ich will versuchen, durch mein fürbittendes Gebet das zu ersetzen, was Euch etwa durch mein Ausbleiben abgehen sollte; denn Eure Freudigkeit zum Guten ist so groß, dass sie eines besondern Ansporns durch Ermahnungen nicht bedarf. Lebt wohl, hohe Herren, ebenso edel durch Geburt als durch Eure außerordentliche Frömmigkeit. Der Herr leite Euch mit dem Geiste des Rats, stärke Euch durch seine unbezwingliche Kraft und halte Euch in seiner Hut.

Genf, 8. März 1557.

Dass unser Rat Euch nicht selbst antwortet, dafür habe ich die Verantwortung übernommen.
Euer
Johannes Calvin.

Calvin, Jean – An einen unbekannten Hugenotten in Frankreich.

Nr. 493 (C. R. – 2441)

Über das Zinsfordern und andere Fragen.

Geliebter Bruder, weil es sehr oft geschieht, dass beim Geldverleihen auf Zinsen allerlei wider Recht und Billigkeit gehandelt wird, so wäre eine einfache Antwort auf deine Frage, auf welche Art man sein Geld rechtmäßig zinsbringend anlegen könne, nicht durchaus sicher. Zuweilen wird’s geschehen, dass auch der kleinste Zinsgewinn nicht ohne Sünde gegen Gott und Unrecht gegen den Nächsten gemacht werden kann. Deshalb musst du mich entschuldigen, wenn ich dir hier nicht, wie du erwartest, bestimmte Vorschriften geben kann. Hier in Genf ist zwar ein gewisser Zinsfuß gesetzlich festgestellt, doch folgt daraus noch nicht, dass der Gläubiger bei einem Armen nun mit gutem Gewissen von diesem Zinsfuß Gebrauch machen dürfte, wenn dadurch der Arme doch irgendwie gedrückt wird. Dazu kommt – und das hindert mich noch mehr dir zu antworten -, dass ich weiß, du fragst mich darum nur, weil du einen andern widerlegen willst, der sich in dieser Beziehung alles erlaubt, ohne mich um Rat zu fragen; ja er würde mich nicht einmal des Anhörens würdigen. Dem mag statt meiner der Satz des natürlichen Rechtes antworten, den unser Herr Jesus Christus als einen Teil des ganzen Gesetzes und der Propheten aufstellte, nämlich dass wir selbst nicht tun sollen, was wir nicht wollen, dass es uns getan wird.

Was nun die Witwe betrifft, von der du fragst, ob sie ihre Kinder mit sich fortführen dürfe, so meine ich: es darf ihr nichts wertvoller sein als die Seelen ihrer Kinder. Wenn ihr also der Herr die Hand geboten hat, sie aus dem Sumpf oder Abgrund herauszuheben, so wäre es nicht menschlich, geschweige denn christlich, gehandelt, wenn sie ihren Kindern den Rücken kehrte. Weil mir aber nicht klar ist, welches Alter die Kinder haben, was sie wollen, und ob Gelegenheit da ist, das alles passend durchzuführen, so muss ich das Einzelne ihrer Erwägung überlassen. Wie dem auch sei, sie kann ihre Kinder nicht freiwillig verlassen, ohne sich in ständige Trauer zu bringen, das muss sie wissen. Größer ist die Schwierigkeit bei einer verheirateten Frau. Dass eine solche von ihrem Manne weiche, außer wenn sie eine sozusagen stärkere Macht auch zu diesem letzten Schritte zwingt – d. h. wenn er sie um der Religion oder anderer Ursache willen geradezu unerträglich behandelt, – das kann ich nicht gutheißen. Ich heiße aber das noch nicht unerträglich, wenn sie etwa im Hause härter behandelt wird; denn sie muss wirklich alle Duldung bewiesen haben, ehe sie zum äußersten ihre Zuflucht nimmt. Kann sie aber von dem Götzendienst sich nicht anders fernhalten als mit offener Lebensgefahr, und dringt ihr Mann so auf sie ein, dass er sie selbst verfolgt, dann darf sie durch Flucht für sich sorgen; nicht mit dem Zweck, sich von ihrem Manne zu trennen und ihn zu verlassen, so hart und unerträglich er sich auch erwiesen hat, sondern nur, um der drohenden Gefahr zu entgehen. Aber unterdessen kanns geschehen, dass durch Gottes Wirken das harte Herz des Mannes sich erweichen lässt und ruhiger wird; irgendeinem Menschen zu lieb aber wider Gott zu sündigen, ist Unrecht. Ich hoffe, dass du, der du um andere so besorgt bist, auch umso mehr deine eignen Pflichten gegen unsern großen Vater im Himmel bedenkst, der dir das Licht des Evangeliums von seinem Sohne gegeben hat, in dem unsre ganze Seligkeit liegt. Hast du bis jetzt gut begonnen, so musst du dich auch in Zukunft umso mehr anstrengen und Tag für Tag auf alle Art ernstlich vorwärts zu kommen suchen. Wenn bei Euch solche Verderbnis herrscht, so darfst du ja nicht glauben, dein Amt anders verwalten zu können als durch das einzige Bestreben, dass Gottes Name geheiligt werde und sein Dienst und seine Ehre bei den Deinen in Kraft stehe, wie es sich gehört. Der Herr gebe, dass, was ich in seinem Namen von dir fordere, er mein Gebet erhörend tatsächlich bewirke.

[Genf], 28. April 1556.

Calvin, Jean – An einige Frauen in Frankreich.

Die Adressatinnen und das genaue Datum des Briefes sind unbekannt.

Mahnung zur völligen Hingabe an Gott.

Es tut mir sehr leid, Geliebteste im Herrn, dass ich nicht recht weiß, was ich Euch jetzt Fröhliches bieten könnte. Denn ich habe alle Ursache, zu schweigen, wo mehr von mir erwartet und gefragt wird, als ich weiß und beantworten kann. Ihr habt also aus einer meiner Schriften erkannt, dass Ihr kein ruhiges Gewissen mehr haben könnt, wenn Ihr Gott nicht recht dient; aber viel schlimmer noch ist, dass Ihr feststellen müsst, jede Möglichkeit, aus Euern Banden loszukommen, sei Euch von vornherein abgeschnitten. Was soll ich dazu sagen? Dass es mich Eures Loses und Eurer Gebundenheit jammert? Doch was hat das für einen Sinn? Nun, dass ich den Herrn für Euch flehentlich bitten will, dass er Euch in Eurer Schwachheit ansehe, wie wir es stets und gegenseitig für uns alle erbitten müssen. Aber das heißt nicht, dass, wenn ich mit meinem Gebet für Euch eintrete, ich das, was Ihr selbst als ein Unrecht eingesteht, kleiner machen wollte. Ihr erwartet ja wohl nicht, dass ich Euch schmeichle, sondern wenn Ihr meinen Trost verlangt und gleich beifügt, jede Möglichkeit, dem Übel je abzuhelfen, sei Euch genommen, so gebietet mir das völlige Zurückhaltung, so dass ich nicht imstande bin, Euch irgendetwas weiteres darauf zu antworten. Ich für meine Person wollte zwar, wenn diese Eure Nöte Euch zu aufrichtigem, brünstigem Gebet zu Gott trieben, doch noch hoffen, dass Gott Euch einen Ausweg zeigte; aber wie wir auf ihn hoffen dürfen, wo alles Hoffen umsonst scheint, so müssen wir uns auch mühen, seinem Ruf zu folgen, selbst wo wir keine Mittel sehen, um ihm nicht untreu zu sein. Das ist so zu verstehen, dass wir, wo alles uns zu widerstreben und jeder Weg verschlossen und versperrt scheint, dass wir da trotzdem durch alles hindurch brechen und bei der Entschließung in einer so wichtigen Sache unsern Vorteilen und Plänen keinen Raum geben. Stünde es bei mir, Euch in irgendeiner Weise die Hand zu bieten, so sollte es nicht geschehen, dass Euch irgendeine Dienstleistung von mir zu wünschen übrig bliebe. Da ich Euch nicht anders helfen kann, so erwartet auch nicht, dass ich Euch erlassen könne, was Gott von Euch fordert. Vielmehr, wenn Eure Herzen Trost empfangen sollen, ists Eure Pflicht, dass Ihr Euch untereinander zu dem ermuntert, was Euch jetzt so ganz unmöglich scheint. Besinnt Euch darauf, wie groß das Unrecht ist, in dem Ihr noch befangen seid. Seid Ihr dann soweit, dass Ihr das recht empfindet, so bittet den Herrn um Kraft zum Streit, auch wenn Ihr kämpfen müsst bis aufs Blut. Dann prägt es Eurem Geiste ein, dass Euch nicht ein Kämpfen beschieden ist von einem Tag, wenn Ihr Euch aus den Banden des Satans losmachen wollt; vielmehr bedenkt, nicht anders ist das alles zu vollenden, als wenn Ihr einmal das verfluchte Joch, das nun noch auf Euch liegt, abschüttelt, und dann aber auch Eurer ganzes Leben hindurch in dieser heiligen, rechten Festigkeit verharrt. Denn allzu viele Beispiele hat man von solchen, die, leicht platzenden Blasen gleich, im Augenblick wieder vom Glauben abfielen. So sind auch die ganz schlecht beraten, die bloß Luftschlösser bauen. Habt Ihr es aber einmal ernstlich überlegt, dass es ebenso schwer als notwendig ist, das Beispiel der Beharrlichkeit zu geben in dem, wozu uns Gott berufen hat, und dass wir eigentlich gar nicht fähig sind, solches zu leisten, so wird Euch das dazu treiben, Euch in des Herrn Hilfe und Schutz zu begeben. Denn Ihr werdet erfahren, dass er ebenso mächtig ist, die Seinen seinen höchsten Reichtum schmecken zu lassen, als ihnen seine Erstlingsgaben zu verleihen. Und das ist das Ziel meiner Ermahnung. Der Herr sei mit Euch und helfe Euren Schwachheiten auf, die ihm nicht verborgen sind, er mehre in Euch seines Geistes Gaben, er gebe Euch Mut und Kraft zu dem, was Ihr bereits als seinen Willen kennt, und er leite und behüte Euch so mit seinem Arme, der allzeit da ist, dass Ihr unverletzt den Rachen der Wölfe, die nach Euch schnappen, entgehen könnt.

Genf 1554.

Calvin, Jean – An einen provencalischen Edelmann.

Ist die Taufe zur Seligkeit nötig?

Sehr lieber Herr und Bruder, ich habe vernommen, wie Gott Sie vor einiger Zeit heimgesucht hat, und zwar in doppelter Weise, erstlich dadurch, dass er das Kind, das er Ihnen gegeben, wieder zu sich genommen hat, und dann dadurch, dass einige Brüder Ärgernis daran nahmen, dass Sie das Kind nicht hatten taufen lassen, obwohl Sie gekonnt hätten. Nun will ich mich nicht lange dabei aufhalten, Sie darüber zu trösten, dass Gott Sie eines Besitzes beraubt hat, den Sie lange zu genießen hofften. Denn ich glaube, Sie finden ohne weitere Ermahnung die Mittel selbst, die geeignet sind, Ihren Schmerz zu lindern. Ja, Sie sind darin schon so weit gekommen, dass Sie mit innerem Frieden dem guten Vater danken können, der Sie hat erfahren lassen, dass es nichts Besseres gibt für uns, als uns seinem guten Willen zu unterwerfen, besonders da er uns die Gnade und Ehre erwiesen hat, uns als die Seinen anzuerkennen in Leben und Tod, wenn wir in ihm leben und sterben. Was nun den Tod des Kindes vor der Taufe angeht, so hätten all die guten Brüder wohl Anlass, sich daran zu ärgern, wenn Nachlässigkeit oder Verachtung der Grund gewesen wäre; denn die Taufe ist eine so heilige Sache, dass man sie nicht dahinten lassen darf. Deshalb sind nicht nur die, die das gar nicht in Betracht ziehen, sondern auch die, welche die Taufe aufschieben aus Ehrgeiz, um dabei einen prahlerischen Aufwand zu machen, zu verurteilen, und Sie müssen tatsächlich Ihre Absicht den Brüdern erklären, um das Ärgernis, das sie genommen haben, aus der Welt zu schaffen. Haben sie dann den wahren Sachverhalt gehört, so können sie, glaube ich, zufrieden sein. Hätten Sie nämlich, wie einer von ihnen, im Sinn gehabt, an Ihrem Wohnort zu bleiben, so hätten Sie das Kind nicht ohne Beleidigung Gottes und Ihrer Nächsten ungetauft aufziehen können. Nicht, als ob ich die entschuldigen wollte, die ihre Kinder darbringen zur Befleckung mit papistischem Aberglauben, sondern einfach, weil man das Kennzeichen der christlichen Religion nicht zurückweisen kann, ohne Gott verächtlich zu machen. Ihre Absicht war ja aber eine ganz andere; denn eben, weil Sie diesen Übelstand voraussahen, wollten Sie vor der Niederkunft Ihrer Frau sich in eine christliche Gemeinde zurückziehen, oder wenigstens, wenn das nicht mehr möglich wäre, wollten Sie gleich nach der Niederkunft das Kind mit ihr hierher bringen, um es nach dem Gebote Gottes taufen zu lassen. Das wäre sogar eine offene Erklärung gewesen, dass Sie die Taufe nicht verachten, sondern gerade aus Ehrfurcht davor sie rein und ganz nach der Einsetzung unseres Herrn Jesu haben wollten. Da also die Verzögerung der Taufe in Ihrem Falle ein Teil Ihres Glaubensbekenntnisses war, so darf sie die Guten nicht ärgern. Denn wenn es nach Ihrer Hoffnung gegangen wäre, so wäre ein solches Vorgehen so wenig tadelnswert gewesen, wie Ihre Auswanderung. Ich glaube wohl, dass es solche geben kann, die es ärgert, wenn man das Land verlässt, in dem sie wohnen, weil sie sich durch ein solches Beispiel verurteilt fühlen. Wenn sie aber unrichtig handeln, so ist das noch kein Grund, dass sie die andern nötigen, es ihnen gleich zu tun, noch dass sie ihren Fehler zum Gesetz erheben. Unter denen, die das Gute billigen und dem Falschen nicht beipflichten, halte ichs für ausgemacht, dass, wenn es einem Christenmenschen erlaubt ist, sich aus dem Schmutz des Papsttums zurückzuziehen, so darf er auch, und muss sogar, ein ihm geborenes Kind mitnehmen, um es Gott rein darzubringen und es ohne Aberglauben zu taufen. Nun hat es freilich Gott gefallen, Sie dieser Freude zu berauben. Er weiß warum. Jedenfalls wollte er Sie demütigen in dieser Hinsicht, deshalb ist aber die Tatsache selbst nicht verdammenswert, da Ihre Absicht ja fromm und löblich war. Wendet jemand ein, Ihr Kind sei nun der Taufe beraubt, die das Zeichen der Seligkeit ist, so antworte ich: vor Gott ist es darum in keiner schlimmern Lage. Denn wiewohl die Taufe unsere Annahme als Gotteskinder versiegelt, so sind wir doch ins Buch des Lebens eingetragen ebenso wohl durch die freie Gnade unseres Gottes, als durch seine Verheißung. Also: durch was anders werden unsere Kinder selig, als weil gesagt ist: Ich bin der Gott deiner Nachkommenschaft? Ja, ohne das könnten sie gar nicht getauft werden. Ist nun ihre Seligkeit uns zugesichert durch die Verheißung, und ist diese Grundlage fest genug an sich, so darf man nicht glauben, alle Kinder, die ohne Taufe sterben, gingen verloren. Denn indem man das sichtbare Zeichen damit ehren wollte, täte man Gott großes Unrecht und Unehre an und schmälerte seine Wahrheit, als wäre unsere Seligkeit nicht wohl genug begründet auf seiner einfachen Verheißung. Da also von Ihrer Seite keine Verachtung des Sakraments vorliegt, so tut es der Seligkeit Ihres Kindes keinen Eintrag, dass es verschieden ist, bevor Sie Zeit und Gelegenheit fanden, es recht taufen zu lassen. Es ist also auch klein Grund zum Ärgernis da für Leute, die sich nicht ohne Ursache aufregen wollen. Das können Sie allen Gläubigen zeigen zu ihrer Beruhigung. Nun will ich schließen, indem ich mich Ihnen herzlich empfehle, wie auch Ihrer lieben Ehehälfte, und meinerseits unsern lieben Gott bitten, er wolle Sie in seiner heiligen Hut halten, Sie stärken durch seinen heiligen Geist und Sie in allem Guten Fortschritte machen lassen mehr und mehr.

Den 6. September 1554.
Ihr untertäniger Bruder
Johannes Calvin.

Calvin, Jean – An einen unbekannten Hugenotten in Frankreich.

Die Gewissenspflicht der Auswanderung.

Ich hätte früher geschrieben, hätte mich nicht die Hoffnung auf dein Kommen, die mir dein Brief machte, zurückgehalten. Dein langes Zögern scheint nun anzudeuten, dass du entweder deinen Plan geändert hast, oder irgendein Hindernis deiner Abreise in den Weg getreten ist. Ich möchte lieber das Zweite annehmen, wenn nur nichts Trauriges und kein Unglück wäre und dich nicht für lange hinderte. Doch ich muss fast vermuten, was ich nicht möchte, dass du nicht mehr desselben Sinnes bist wie früher. Hoffentlich täusche ich mich darin. Ists so, so steht es ja gleich in deiner Macht, mir meinen Irrtum nachzuweisen, und ich bitte dich dringend, das zu tun. Wenn du dich über irgendein Unrecht beklagen kannst, das dir von mir geschehen, so will ich gern meine Schuld abbitten, oder wenn du strenger bist, mich auch der Strafe nicht weigern. Nur nimm uns durch dein Kommen die Sorge ab, die uns jetzt noch in Spannung hält. Es entgeht mir nicht, wie viel man dort Tag für Tag vorbringen wird, um den Plan zu durchkreuzen, den du gefasst hast, wie viel dir auch selbst in den Sinn kommen kann. Willst du aber meinem Rat oder doch meinen Bitten folgen, so möchte ich zwei Dinge von dir haben. Gib dich erstens nicht der Lockung schmeichelnden Menschengeredes hin, sondern geh lieber in dich und frage dein eigenes Gewissen da innen, was du tun sollst. Zweitens mache niemand zum Richter und Berater über dich als Gott selbst. Denn ich sehe, wie viele, besonders Leute deines Standes, sich allerlei vormachen, was ihnen gefällt. Ich glaube zwar nicht, dass du zu denen gehörst, die trunken in Selbstgefälligkeit sich sorglosem Wesen hingeben, aber doch scheint mir die Mahnung nicht überflüssig: sei scharf und streng mit dir selbst, damit nicht etwa durch Sorglosigkeit die Gleichgültigkeit über dich komme. Wenn vor kurzem sich vieler Herzen an einer ungewissen Hoffnung aufrichteten [so sage ich]: wäre nur ein zuverlässiger Grund dazu vorhanden! Wenn es manchen Leuten Freude macht sich von nichts viel zu versprechen, so gönne ich ihnen diesen [angenehmen] Irrtum gerne. Dir aber sage ich: Willst du dich nicht selbst betrügen, so hast du keinen Grund, dich durch eine überall so leichtfertig angenommene Meinung [von einer Änderung der Verhältnisse] aufhalten zu lassen. Wenn du die Zeit zur eigentlichen Auswanderung jetzt noch nicht gekommen glaubst, so kannst du dir doch gewiss einen Monat zu einem Besuch bei uns abstehlen. Es ist gewiss besser, einmal zusammen zu reden, als brieflich zu verkehren über Dinge, die man kaum wirklich behandelt, als bis die Sache zur mündlichen Besprechung kommt. Zugleich aber wirst du dabei merken, dass, wenn man rechtzeitig für den Unterhalt sorgt und das Ausweichenwollen vor einem Schaden, der noch gar nicht eingetreten ist, keine Verzögerung schafft, in dieser Sache kein Aufschub notwendig ist. Lebwohl, trefflicher, sehr verehrter Mann. Der Herr sei stets mit dir, er leite dich mit dem Geist der Klugheit und Stärke und lenke deine Schritte zu seines Namens Ehre. Amen.

25. Juli 1553.