Calvin, Jean – An einen provencalischen Edelmann.

Ist die Taufe zur Seligkeit nötig?

Sehr lieber Herr und Bruder, ich habe vernommen, wie Gott Sie vor einiger Zeit heimgesucht hat, und zwar in doppelter Weise, erstlich dadurch, dass er das Kind, das er Ihnen gegeben, wieder zu sich genommen hat, und dann dadurch, dass einige Brüder Ärgernis daran nahmen, dass Sie das Kind nicht hatten taufen lassen, obwohl Sie gekonnt hätten. Nun will ich mich nicht lange dabei aufhalten, Sie darüber zu trösten, dass Gott Sie eines Besitzes beraubt hat, den Sie lange zu genießen hofften. Denn ich glaube, Sie finden ohne weitere Ermahnung die Mittel selbst, die geeignet sind, Ihren Schmerz zu lindern. Ja, Sie sind darin schon so weit gekommen, dass Sie mit innerem Frieden dem guten Vater danken können, der Sie hat erfahren lassen, dass es nichts Besseres gibt für uns, als uns seinem guten Willen zu unterwerfen, besonders da er uns die Gnade und Ehre erwiesen hat, uns als die Seinen anzuerkennen in Leben und Tod, wenn wir in ihm leben und sterben. Was nun den Tod des Kindes vor der Taufe angeht, so hätten all die guten Brüder wohl Anlass, sich daran zu ärgern, wenn Nachlässigkeit oder Verachtung der Grund gewesen wäre; denn die Taufe ist eine so heilige Sache, dass man sie nicht dahinten lassen darf. Deshalb sind nicht nur die, die das gar nicht in Betracht ziehen, sondern auch die, welche die Taufe aufschieben aus Ehrgeiz, um dabei einen prahlerischen Aufwand zu machen, zu verurteilen, und Sie müssen tatsächlich Ihre Absicht den Brüdern erklären, um das Ärgernis, das sie genommen haben, aus der Welt zu schaffen. Haben sie dann den wahren Sachverhalt gehört, so können sie, glaube ich, zufrieden sein. Hätten Sie nämlich, wie einer von ihnen, im Sinn gehabt, an Ihrem Wohnort zu bleiben, so hätten Sie das Kind nicht ohne Beleidigung Gottes und Ihrer Nächsten ungetauft aufziehen können. Nicht, als ob ich die entschuldigen wollte, die ihre Kinder darbringen zur Befleckung mit papistischem Aberglauben, sondern einfach, weil man das Kennzeichen der christlichen Religion nicht zurückweisen kann, ohne Gott verächtlich zu machen. Ihre Absicht war ja aber eine ganz andere; denn eben, weil Sie diesen Übelstand voraussahen, wollten Sie vor der Niederkunft Ihrer Frau sich in eine christliche Gemeinde zurückziehen, oder wenigstens, wenn das nicht mehr möglich wäre, wollten Sie gleich nach der Niederkunft das Kind mit ihr hierher bringen, um es nach dem Gebote Gottes taufen zu lassen. Das wäre sogar eine offene Erklärung gewesen, dass Sie die Taufe nicht verachten, sondern gerade aus Ehrfurcht davor sie rein und ganz nach der Einsetzung unseres Herrn Jesu haben wollten. Da also die Verzögerung der Taufe in Ihrem Falle ein Teil Ihres Glaubensbekenntnisses war, so darf sie die Guten nicht ärgern. Denn wenn es nach Ihrer Hoffnung gegangen wäre, so wäre ein solches Vorgehen so wenig tadelnswert gewesen, wie Ihre Auswanderung. Ich glaube wohl, dass es solche geben kann, die es ärgert, wenn man das Land verlässt, in dem sie wohnen, weil sie sich durch ein solches Beispiel verurteilt fühlen. Wenn sie aber unrichtig handeln, so ist das noch kein Grund, dass sie die andern nötigen, es ihnen gleich zu tun, noch dass sie ihren Fehler zum Gesetz erheben. Unter denen, die das Gute billigen und dem Falschen nicht beipflichten, halte ichs für ausgemacht, dass, wenn es einem Christenmenschen erlaubt ist, sich aus dem Schmutz des Papsttums zurückzuziehen, so darf er auch, und muss sogar, ein ihm geborenes Kind mitnehmen, um es Gott rein darzubringen und es ohne Aberglauben zu taufen. Nun hat es freilich Gott gefallen, Sie dieser Freude zu berauben. Er weiß warum. Jedenfalls wollte er Sie demütigen in dieser Hinsicht, deshalb ist aber die Tatsache selbst nicht verdammenswert, da Ihre Absicht ja fromm und löblich war. Wendet jemand ein, Ihr Kind sei nun der Taufe beraubt, die das Zeichen der Seligkeit ist, so antworte ich: vor Gott ist es darum in keiner schlimmern Lage. Denn wiewohl die Taufe unsere Annahme als Gotteskinder versiegelt, so sind wir doch ins Buch des Lebens eingetragen ebenso wohl durch die freie Gnade unseres Gottes, als durch seine Verheißung. Also: durch was anders werden unsere Kinder selig, als weil gesagt ist: Ich bin der Gott deiner Nachkommenschaft? Ja, ohne das könnten sie gar nicht getauft werden. Ist nun ihre Seligkeit uns zugesichert durch die Verheißung, und ist diese Grundlage fest genug an sich, so darf man nicht glauben, alle Kinder, die ohne Taufe sterben, gingen verloren. Denn indem man das sichtbare Zeichen damit ehren wollte, täte man Gott großes Unrecht und Unehre an und schmälerte seine Wahrheit, als wäre unsere Seligkeit nicht wohl genug begründet auf seiner einfachen Verheißung. Da also von Ihrer Seite keine Verachtung des Sakraments vorliegt, so tut es der Seligkeit Ihres Kindes keinen Eintrag, dass es verschieden ist, bevor Sie Zeit und Gelegenheit fanden, es recht taufen zu lassen. Es ist also auch klein Grund zum Ärgernis da für Leute, die sich nicht ohne Ursache aufregen wollen. Das können Sie allen Gläubigen zeigen zu ihrer Beruhigung. Nun will ich schließen, indem ich mich Ihnen herzlich empfehle, wie auch Ihrer lieben Ehehälfte, und meinerseits unsern lieben Gott bitten, er wolle Sie in seiner heiligen Hut halten, Sie stärken durch seinen heiligen Geist und Sie in allem Guten Fortschritte machen lassen mehr und mehr.

Den 6. September 1554.
Ihr untertäniger Bruder
Johannes Calvin.