Calvin, Jean – An die Gefangenen in Lyon (365).

Letzte Tröstung vor dem Tod.

Sehr liebe Brüder, wir haben schließlich erfahren, warum der Berner Herold nicht über Lyon zurückreiste. Weil er keine Antwort brachte, wie wir sie gewünscht hätten. Denn der König hat kurz und glattweg alles abgeschlagen, was die gnädigen Herrn von Bern baten, wie Ihr aus der Kopie des Briefes sehen könnt, so dass von dieser Seite nichts mehr zu erwarten ist. So überall, wohin wir hienieden blicken, hat uns Gott unsere Waffen zerbrochen. Da ists nur gut, dass wir nie um die Hoffnung betrogen werden, die wir auf ihn und seine heiligen Verheißungen setzen. Ich habt Euch darauf gegründet zu der Zeit, da es schien, Ihr könntet noch Menschenhilfe finden, und wir es auch dachten. Und so sehr es auch den Anschein hatte, als könnet Ihr durch menschliche Mittel davon kommen, so hat das doch Eure Augen nie so verblendet, dass Euer Herz sich abgewandt und Euer Vertrauen sich hierhin und dorthin gerichtet hätte. In dieser Stunde mahnt Euch nun die Notwendigkeit, mehr als je all Euer Sinnen gen Himmel zu richten. Wir wissen ja noch nicht, wie es ausgehen wird, aber da es scheint, Gott wolle Euer Blut brauchen zur Versiegelung seiner Wahrheit, so ist nichts besser, als Ihr bereitet Euch auf dieses Ende vor und bittet ihn, Euch so seinem Wohlgefallen untertan zu machen, dass nichts Euch hindert, ihm zu folgen, wohin er Euch ruft. Denn Ihr wisst, liebe Brüder, wir müssen [uns selbst] so abgestorben sein, dass wir uns für ihn zum Opfer bringen können. Ihr müsst auf jeden Fall noch harte Kämpfe bestehen, damit sich an Euch erfüllt, was dem Petrus gesagt wurde: man wird Euch führen, wohin Ihr nicht wollt [Joh. 21, 18]. Aber Ihr wisst, in welcher Macht Ihr streiten sollt. Wer sich darauf stützt, kann nie überrascht und noch weniger verwirrt werden. So baut darauf, liebe Brüder, dass Ihr in der Not gestärkt werdet durch den Geist unseres Herrn Jesu, nicht zu fallen unter der Bürde der Versuchung, so schwer sie auch ist, so wenig wie er, der über die Versuchung so glorreichen Sieg davontrug, der uns ein unfehlbares Pfand auch unseres Triumphes inmitten unseres Elends ist. Da es nun ihm gefällt, Euch bis in den Tod zu brauchen zur Verteidigung seiner Sache, so wird er Euch auch seine starke Hand bieten zum tapfern Kampf und nicht leiden, dass ein Tröpflein Eures Blutes unnütz bleibe. Und wiewohl man die Frucht davon nicht gleich bemerkt, so wird mit der Zeit doch mehr daraus erwachsen, als wir sagen können. Aber je mehr er Euch das Vorrecht gegeben, dass Eure Gefangenschaft berühmt geworden ist und das Gerücht davon überallhin gedrungen, umso mehr soll, dem Satan zum Trotz, auch Euer Tod weithin Widerhall finden, damit der Name unseres lieben Gottes verherrlicht werde. Ich für mein Teil zweifle daran nicht, dass wenns dem lieben Vater gefällt, Euch heimzuholen, so hat er Euch bisher aufbewahrt, damit Eure lange Gefangenschaft eine Vorbereitung sei, um die besser aufzurütteln, die er durch Euer Ende zu erbauen beschlossen hat. Denn, was die Feinde tun mögen, sie können das nie begraben, was Gott an Euch leuchten lässt, dass mans von ferne sieht.

Ich will Euch nun nicht mehr lang trösten und ermahnen, da ich wohl weiß, dass der Vater im Himmel selbst Euch hat spüren lassen, was sein Trost vermag, und Ihr schon eifrig genug darauf bedacht seid, zu betrachten, was er Euch in seinem Worte bietet. Er hat schon so sehr durch die Tat gezeigt, wie seine Kraft in Euch wohne, dass wir sicher sein dürfen, er wird’s auch vollenden bis zuletzt. Ich wisst, wenn wir aus dieser Welt scheiden, so gehen wir nicht auf ungewisses Abenteuer: nicht nur, weil Ihr gewiss seid, dass es ein Leben im Himmel gibt, sondern auch, weil Ihr sicher seid, dass unser Gott Euch aus Gnaden als seine Kinder angenommen hat, so geht Ihr ein wie in Euer Erbgut. Dass Gott Euch verordnet hat zu Märtyrern seines Sohnes, sei Euch noch ein Zeichen mehr dafür. Bleibt noch der gegenwärtige Kampf, in den uns der Geist Gottes nicht zu gehen, sondern zu laufen heißt. Es sind harte, betrübende Versuchungen, den Stolz der Feinde der Wahrheit so gewaltig groß zu sehen, ohne dass er von oben her unterdrückt wird, und ihre Wut so überschäumend, ohne dass Gott für die Seinen zu ihrer Erleichterung sorgt. Fällt uns dann aber ein, dass geschrieben steht, unser Leben sei verborgen [Kol. 3, 3] und wir sollten sein wie Gestorbene (das ist keine Lehre für einen Tag, sondern für alle Zeit), so finden wirs nicht so seltsam, dass die Trübsal anhält. Wenns Gott gefällt, den Feinden solange den Zügel schießen zu lassen, so ist es unsere Pflicht, uns stille zu halten, wiewohl die Zeit unserer Erlösung sich verzögert. Übrigens da er versprochen hat, Richter sein zu wollen über die, die sein Volk geknechtet haben, so dürfen wir nicht daran zweifeln, dass er auch denen eine fürchterliche Strafe bereitet hat, die seine Majestät in so maßlosem Stolz verachtet und so grausam die verfolgt die verfolgt haben, die seinen Namen rein anrufen. Handelt, liebe Brüder, nach dem Satze Davids: Ich vergesse des Gesetzes des Herrn nicht, wiewohl ich meine Seele immer in den Händen trage [Ps. 119, 61, 109, 135], sie aufzugeben in jedem Augenblick. Da er Euer Leben braucht zu einer so großen Sache, wie es das Zeugnis für sein Evangelium ist, so seid gewiss, dass ihm Euer Leben wertvoll ist. Denn die Zeit ist nahe, dass die Erde aufdecken wird das Blut, das verborgen lag, und dass wir entkleidet werden dieses hinfälligen Leibes und vollständig wiederhergestellt werden. Indessen sei durch unsere Schmach der Name des Sohnes Gottes gepriesen, und wir wollen damit zufrieden sein, dass das uns sicher bezeugt ist, dass wir nur verfolgt und geschmäht werden, weil wir hoffen auf den lebendigen Gott. Darin haben wir Grund genug, alle Welt in ihrem Stolz zu verachten, bis wir versammelt werden in das ewige Reich, in dem wir die Güter voll genießen werden, die wir jetzt erst in der Hoffnung besitzen.

Liebe Brüder, ich empfehle mich von Herzen Eurem Gebet und bitte den lieben Gott, Euch in seiner Hut zu halten, Euch mehr und mehr zu stärken in seiner Macht, Euch spüren zu lassen, wie er für Euer Wohl sorgt, und in Euch die Gaben seines Geistes zu mehren, damit sie zu seinem Ruhme dienen bis ans Ende. Ich empfehle mich den andern Brüdern nicht insbesondere, weil ich denke, dieser Brief soll Euch allen gelten. Ich wollte Euch bisher nicht schreiben, wie unsicher Eure Lage sei, aus Furcht, Euch umsonst damit zu betrüben. Nochmals bitte ich den lieben Gott, seine Hand über Euch auszurecken zu Eurer Erhaltung.

Ende April 1553.
In Demut Euer Bruder
Johannes Calvin.

Calvin, Jean – An die Gefangenen in Lyon.

Der durchreisende Herr ist wahrscheinlich der St. Galler Kaufmann Leyner (vgl. 344), der für die Gefangenen in Bern Hilfe suchte. Der Inquisitor, der die Verhöre leitete, hieß Orry. Der „kleine Verächter Gottes“ ist ein Genfer Schulmeister, Jean Colin, der an einen der Gefangenen geschrieben und dabei die Genfer Pfarrer Heuchler gescholten hatte.

Von der Herrlichkeit des Martyriums.

Meine Brüder, wir waren diese Tage in größerer Sorge und Traurigkeit als je zuvor, da wir von dem Beschluss hörten, den die Feinde der Wahrheit gefasst haben. Während der Euch bekannte Herr hier durchreiste und in aller Eile zu Mittag speiste, um jede Verzögerung zu vermeiden, setzte ich ihm einen Brief auf in der Form, wie ich ihn zu schreiben gut fände. Gott hat Euch soviel gegeben, dass den Seinen allen noch etwas davon zu gut kommt: so erwarten wir das Ende, das ihm gefällt, bitten ihn aber stets, Euch seine starke Hand zu bieten und Euch nicht fallen zu lassen, überhaupt Euch in seiner Hut zu halten. Ich bin ganz sicher, dass nichts die Kraft ins Wanken bringt, die er in Euch gelegt hat. Schon seit lange habt Ihr den letzten Kampf voraus erwogen, den Ihr aushalten müsst, wenn es sein Wohlgefallen ist, es bis dahin kommen zu lassen. Ja, Ihr habt bisher so gekämpft, dass Euch die lange Erfahrung gestählt hat, auch das Übrige noch zu bestehen. Freilich kanns nicht anders sein, als dass Ihr auch noch einige Schwächen spürt, aber verlasst Euch darauf, der, in dessen Dienst Ihr steht, wird seinen Geist so in Euch herrschen lassen, dass seine Gnade über alle Versuchungen weghilft. Wenn er verheißen hat, die mit Geduld zu stärken, die im ihrer Sünde willen Züchtigung erleiden, so wird er doch noch viel weniger die verlassen, die seine Sache führen und die er braucht zu einem so herrlichen Amt, Zeugen seiner Wahrheit zu sein. So erinnert Euch an den Spruch: Der, der in Euch wohnt, ist stärker als die Welt [Jak. 4, 5? Joh. 16, 33]. Wir wollen hier unsere Pflicht tun und ihn bitten, er möge sich mehr und mehr verherrlichen in Eurer Standhaftigkeit, und durch den Trost seines Geistes möge er versüßen und lieb machen, was dem Fleische bitter ist, und Eure Sinne so an sich ziehen, dass Ihr im Blick auf die Krone im Himmel bereit seid, ohne Bedauern alles, was von der Welt ist, zu verlassen.

Ich habe ein Blatt Papier erhalten, auf dem die sehr spitzfindigen Gründe stehen, mit denen diese unglückselige Bestie Orry beweisen will, es sei erlaubt, Götzenbilder zu machen. Ich weiß nicht, habt Ihr es mir gesandt und erwartet Ihr, dass ich antworte. Ich wollte nicht daran gehen, da ich daran zweifelte, und tatsächlich glaube ich, Ihr habt es Eurerseits nicht sehr nötig. Wünscht Ihr es aber, so sollt Ihr mit dem ersten Boten eine Antwort darauf erhalten. Etwas möchte ich von Euch fordern; Ihr habt neulich einen Brief erhalten von einem kleinen Verächter Gottes hier, der nichts tut, als die Kirche verwirren, und dieses Handwerk nun schon fünf Jahre durch unaufhörlich treibt. Ich möchte nun, Ihr ließet mir mit dem nächsten Boten ein aufklärendes Wort darüber zukommen, um seine Bosheit aufzudecken; sonst fährt er ohne Ende so fort. Ich bitte Euch darum, weil Ihr die Ruhe dieser Kirche wollt, die mehr, als man glauben sollte, von Feinden im Innern beunruhigt wird. Und nun, liebe Brüder, bitte ich unsern lieben Gott, Euch zu behüten, Euch in allem und überall beizustehen, und Euch erfahren zu lassen, wie er ein Vater ist und wie er für das Wohl der Seinen besorgt ist, und empfehle mich auch Eurer Fürbitte.

Den 7. März 1553.

Calvin, Jean – An die Gefangenen in Lyon.

Am 1. April wurden fünf südfranzösische Studenten, die in Lausanne evangelische Theologie studiert hatten, Marcial Alba, Pierre Ecrivain, Bernard Seguin, Pierre Navieres und Charles Favre, auf der Heimreise in Lyon als Ketzer verhaftet und eingekerkert; dazu kamen später noch der in Genf wohnende Pastetenbäcker Pierre Bergier und der Student Louis Corbeil. Weggelassen ist eine theologische Erörterung über eine Frage, die sie an Calvin gerichtet hatten.

Lob der Treue und Festigkeit.

Meine lieben Brüder, ich schob es bisher auf, Euch zu schreiben, da ich fürchtete, wenn mein Brief in böse Hände käme, so könnte das den Feinden neuen Anlass bieten, Euch noch härter zu bedrücken. Auch war ich davon unterrichtet, dass Gott durch seine Gnade so an Euch wirkte, dass Ihr meines Schreibens gar nicht sehr bedurftet. Doch haben wir Euch nicht vergessen, weder ich noch all die andern Brüder hier, so wenig wir im Ganzen für Euch tun konnten. Sobald Ihr gefangen genommen waret, erhielten wir Nachricht davon und erfuhren, in welcher Weise es geschehen ist. Wir sorgten dafür, dass man Euch rasch zu Hilfe kam und warten nun auf Antwort, ob dadurch etwas erreicht worden ist. Die, die etwas vermögen bei dem Fürsten, in dessen Hände Gott Euer Leben gegeben hat, haben sich redlich Mühe darum gegeben; aber wir wissen noch nicht, wie viel ihr Vorgehen genützt hat. Doch beten alle Kinder Gottes für Euch, wie es ihre Pflicht ist, sowohl um des gegenseitigen Mitleidens willen, das bestehen muss unter Gliedern eines Leibes, als auch weil sie wissen, dass Ihr für sie leidet, indem Ihr die Sache ihrer Seligkeit verfechtet. Wie es auch sei, wir hoffen, dass Gott Eurer Gefangenschaft einen glücklichen Ausgang gibt, so dass wir uns darüber freuen können. Ihr seht, wozu er Euch berufen hat; zweifelt nicht daran, dass er Euch, wie er Euch brauchen will, so auch Kraft geben wird, sein Werk zu vollenden, denn er hat es versprochen. Und wir haben es genugsam erfahren, dass er noch nie die im Stich gelassen hat, die sich von ihm leiten ließen; ja Ihr habt dafür schon Gewähr an Euch. Denn darin hat er seine Kraft gezeigt, dass er Euch solche Standhaftigkeit gegeben hat, den ersten Angriffen zu widerstehen. Vertraut ihm also, dass er das Werk seiner Hand nicht unvollendet lassen wird. Ihr wisst, was uns die Schrift vorhält, um uns Mut zu machen, den Kampf des Sohnes Gottes zu kämpfen; denkt an das, was Ihr davon früher gehört und gesehen habt und setzt es jetzt in die Tat um. Denn alles, was ich Euch sagen könnte, nützte Euch nichts, wenns nicht geschöpft wäre aus diesem Quell. Es braucht ja tatsächlich viel mehr als Menschenhilfe, um uns siegen zu lassen über so starke Feinde wie Teufel, Tod und Welt es sind; aber die Festigkeit, die in Jesu Christo ist, genügt dagegen und gegen alles, was uns erschüttern könnte, wenn wir nicht in ihm gegründet wären. Da Ihr nun wisst, an wen Ihr geglaubt habt, so zeigt nun, welche Ehrfurcht er verdient.

Weil ich hoffe, Euch später wieder schreiben zu können, so will ich jetzt meinen Brief nicht länger werden lassen. Ich will nur kurz auf die Punkte antworten, auf die Bruder Bernard meinen Bescheid verlangt. Was die Gelübde angeht, so ist unsere Regel die, dass man Gott nichts geloben darf, als was er selbst billigt. Nun ists aber so, dass die Mönchsgelübde auf eine Befleckung seines Dienstes hinauslaufen. Zweitens müssen wir es für eine teuflische Anmaßung halten, wenn ein Mensch mehr gelobt, als wozu er berufen ist. Die Schrift erklärt uns aber, dass die Virginität eine besondere Gnadengabe ist, sowohl im 19. Kapitel des Matthäus-Evangeliums, als im 7. des ersten Korintherbriefes. Daraus folgt, dass die, die sich diesen Zwang und die Pflicht, lebenslänglich auf die Ehe zu verzichten, auferlegen, von Vermessenheit nicht freigesprochen werden können, und Gott versuchen, wenn sie es tun. Der Gegenstand könnte noch viel weiter ausgeführt werden, indem man sagt, es sei zu beachten der Empfänger des Gelübdes, der Inhalt des Gelübdes und drittens der Gelobende selbst. Denn Gott ist ein zu großer Meister, als dass er seiner spotten ließe, und der Mensch muss erwägen, ob er fähig ist; denn Opfer zu bringen ohne Gehorsam ist nichts als Befleckung. Doch kann Euch schon der eine Punkt genügen, nachzuweisen, dass es eine besondere Gnadengabe ist, keusch bleiben zu können, und zwar so besonderer Art, dass sie für manchen nur zeitweilig gilt. Wer sie also wie Isaak gehabt hat bis zum dreißigsten Jahr, hat sie vielleicht für sein übriges Leben nicht mehr. Daraus könnt Ihr schließen, dass die Mönche mit ihrem Gelübde ewiger Ehelosigkeit ohne Glauben versuchen, zu geloben, was ihnen nicht gegeben ist. Was ihre Armut betrifft, so ist sie ganz verschieden von der, die unser Herr Jesus den Seinen gebot. – – – –

So will ich schließen und bitte unsern lieben Gott, er möge Euch in jeder Weise spüren lassen, was sein Schutz über die Seinen vermag, er möge Euch erfüllen mit seinem heiligen Geist, der Euch Klugheit und Tapferkeit gebe und Frieden, Freude und Ruhe bringe, dass der Name unseres Herrn Jesus verherrlicht werde durch Euch zur Erbauung seiner Kirche.

Genf, 10. Juni 1552.