Letzte Tröstung vor dem Tod.
Sehr liebe Brüder, wir haben schließlich erfahren, warum der Berner Herold nicht über Lyon zurückreiste. Weil er keine Antwort brachte, wie wir sie gewünscht hätten. Denn der König hat kurz und glattweg alles abgeschlagen, was die gnädigen Herrn von Bern baten, wie Ihr aus der Kopie des Briefes sehen könnt, so dass von dieser Seite nichts mehr zu erwarten ist. So überall, wohin wir hienieden blicken, hat uns Gott unsere Waffen zerbrochen. Da ists nur gut, dass wir nie um die Hoffnung betrogen werden, die wir auf ihn und seine heiligen Verheißungen setzen. Ich habt Euch darauf gegründet zu der Zeit, da es schien, Ihr könntet noch Menschenhilfe finden, und wir es auch dachten. Und so sehr es auch den Anschein hatte, als könnet Ihr durch menschliche Mittel davon kommen, so hat das doch Eure Augen nie so verblendet, dass Euer Herz sich abgewandt und Euer Vertrauen sich hierhin und dorthin gerichtet hätte. In dieser Stunde mahnt Euch nun die Notwendigkeit, mehr als je all Euer Sinnen gen Himmel zu richten. Wir wissen ja noch nicht, wie es ausgehen wird, aber da es scheint, Gott wolle Euer Blut brauchen zur Versiegelung seiner Wahrheit, so ist nichts besser, als Ihr bereitet Euch auf dieses Ende vor und bittet ihn, Euch so seinem Wohlgefallen untertan zu machen, dass nichts Euch hindert, ihm zu folgen, wohin er Euch ruft. Denn Ihr wisst, liebe Brüder, wir müssen [uns selbst] so abgestorben sein, dass wir uns für ihn zum Opfer bringen können. Ihr müsst auf jeden Fall noch harte Kämpfe bestehen, damit sich an Euch erfüllt, was dem Petrus gesagt wurde: man wird Euch führen, wohin Ihr nicht wollt [Joh. 21, 18]. Aber Ihr wisst, in welcher Macht Ihr streiten sollt. Wer sich darauf stützt, kann nie überrascht und noch weniger verwirrt werden. So baut darauf, liebe Brüder, dass Ihr in der Not gestärkt werdet durch den Geist unseres Herrn Jesu, nicht zu fallen unter der Bürde der Versuchung, so schwer sie auch ist, so wenig wie er, der über die Versuchung so glorreichen Sieg davontrug, der uns ein unfehlbares Pfand auch unseres Triumphes inmitten unseres Elends ist. Da es nun ihm gefällt, Euch bis in den Tod zu brauchen zur Verteidigung seiner Sache, so wird er Euch auch seine starke Hand bieten zum tapfern Kampf und nicht leiden, dass ein Tröpflein Eures Blutes unnütz bleibe. Und wiewohl man die Frucht davon nicht gleich bemerkt, so wird mit der Zeit doch mehr daraus erwachsen, als wir sagen können. Aber je mehr er Euch das Vorrecht gegeben, dass Eure Gefangenschaft berühmt geworden ist und das Gerücht davon überallhin gedrungen, umso mehr soll, dem Satan zum Trotz, auch Euer Tod weithin Widerhall finden, damit der Name unseres lieben Gottes verherrlicht werde. Ich für mein Teil zweifle daran nicht, dass wenns dem lieben Vater gefällt, Euch heimzuholen, so hat er Euch bisher aufbewahrt, damit Eure lange Gefangenschaft eine Vorbereitung sei, um die besser aufzurütteln, die er durch Euer Ende zu erbauen beschlossen hat. Denn, was die Feinde tun mögen, sie können das nie begraben, was Gott an Euch leuchten lässt, dass mans von ferne sieht.
Ich will Euch nun nicht mehr lang trösten und ermahnen, da ich wohl weiß, dass der Vater im Himmel selbst Euch hat spüren lassen, was sein Trost vermag, und Ihr schon eifrig genug darauf bedacht seid, zu betrachten, was er Euch in seinem Worte bietet. Er hat schon so sehr durch die Tat gezeigt, wie seine Kraft in Euch wohne, dass wir sicher sein dürfen, er wird’s auch vollenden bis zuletzt. Ich wisst, wenn wir aus dieser Welt scheiden, so gehen wir nicht auf ungewisses Abenteuer: nicht nur, weil Ihr gewiss seid, dass es ein Leben im Himmel gibt, sondern auch, weil Ihr sicher seid, dass unser Gott Euch aus Gnaden als seine Kinder angenommen hat, so geht Ihr ein wie in Euer Erbgut. Dass Gott Euch verordnet hat zu Märtyrern seines Sohnes, sei Euch noch ein Zeichen mehr dafür. Bleibt noch der gegenwärtige Kampf, in den uns der Geist Gottes nicht zu gehen, sondern zu laufen heißt. Es sind harte, betrübende Versuchungen, den Stolz der Feinde der Wahrheit so gewaltig groß zu sehen, ohne dass er von oben her unterdrückt wird, und ihre Wut so überschäumend, ohne dass Gott für die Seinen zu ihrer Erleichterung sorgt. Fällt uns dann aber ein, dass geschrieben steht, unser Leben sei verborgen [Kol. 3, 3] und wir sollten sein wie Gestorbene (das ist keine Lehre für einen Tag, sondern für alle Zeit), so finden wirs nicht so seltsam, dass die Trübsal anhält. Wenns Gott gefällt, den Feinden solange den Zügel schießen zu lassen, so ist es unsere Pflicht, uns stille zu halten, wiewohl die Zeit unserer Erlösung sich verzögert. Übrigens da er versprochen hat, Richter sein zu wollen über die, die sein Volk geknechtet haben, so dürfen wir nicht daran zweifeln, dass er auch denen eine fürchterliche Strafe bereitet hat, die seine Majestät in so maßlosem Stolz verachtet und so grausam die verfolgt die verfolgt haben, die seinen Namen rein anrufen. Handelt, liebe Brüder, nach dem Satze Davids: Ich vergesse des Gesetzes des Herrn nicht, wiewohl ich meine Seele immer in den Händen trage [Ps. 119, 61, 109, 135], sie aufzugeben in jedem Augenblick. Da er Euer Leben braucht zu einer so großen Sache, wie es das Zeugnis für sein Evangelium ist, so seid gewiss, dass ihm Euer Leben wertvoll ist. Denn die Zeit ist nahe, dass die Erde aufdecken wird das Blut, das verborgen lag, und dass wir entkleidet werden dieses hinfälligen Leibes und vollständig wiederhergestellt werden. Indessen sei durch unsere Schmach der Name des Sohnes Gottes gepriesen, und wir wollen damit zufrieden sein, dass das uns sicher bezeugt ist, dass wir nur verfolgt und geschmäht werden, weil wir hoffen auf den lebendigen Gott. Darin haben wir Grund genug, alle Welt in ihrem Stolz zu verachten, bis wir versammelt werden in das ewige Reich, in dem wir die Güter voll genießen werden, die wir jetzt erst in der Hoffnung besitzen.
Liebe Brüder, ich empfehle mich von Herzen Eurem Gebet und bitte den lieben Gott, Euch in seiner Hut zu halten, Euch mehr und mehr zu stärken in seiner Macht, Euch spüren zu lassen, wie er für Euer Wohl sorgt, und in Euch die Gaben seines Geistes zu mehren, damit sie zu seinem Ruhme dienen bis ans Ende. Ich empfehle mich den andern Brüdern nicht insbesondere, weil ich denke, dieser Brief soll Euch allen gelten. Ich wollte Euch bisher nicht schreiben, wie unsicher Eure Lage sei, aus Furcht, Euch umsonst damit zu betrüben. Nochmals bitte ich den lieben Gott, seine Hand über Euch auszurecken zu Eurer Erhaltung.
Ende April 1553.
In Demut Euer Bruder
Johannes Calvin.