Der durchreisende Herr ist wahrscheinlich der St. Galler Kaufmann Leyner (vgl. 344), der für die Gefangenen in Bern Hilfe suchte. Der Inquisitor, der die Verhöre leitete, hieß Orry. Der „kleine Verächter Gottes“ ist ein Genfer Schulmeister, Jean Colin, der an einen der Gefangenen geschrieben und dabei die Genfer Pfarrer Heuchler gescholten hatte.
Von der Herrlichkeit des Martyriums.
Meine Brüder, wir waren diese Tage in größerer Sorge und Traurigkeit als je zuvor, da wir von dem Beschluss hörten, den die Feinde der Wahrheit gefasst haben. Während der Euch bekannte Herr hier durchreiste und in aller Eile zu Mittag speiste, um jede Verzögerung zu vermeiden, setzte ich ihm einen Brief auf in der Form, wie ich ihn zu schreiben gut fände. Gott hat Euch soviel gegeben, dass den Seinen allen noch etwas davon zu gut kommt: so erwarten wir das Ende, das ihm gefällt, bitten ihn aber stets, Euch seine starke Hand zu bieten und Euch nicht fallen zu lassen, überhaupt Euch in seiner Hut zu halten. Ich bin ganz sicher, dass nichts die Kraft ins Wanken bringt, die er in Euch gelegt hat. Schon seit lange habt Ihr den letzten Kampf voraus erwogen, den Ihr aushalten müsst, wenn es sein Wohlgefallen ist, es bis dahin kommen zu lassen. Ja, Ihr habt bisher so gekämpft, dass Euch die lange Erfahrung gestählt hat, auch das Übrige noch zu bestehen. Freilich kanns nicht anders sein, als dass Ihr auch noch einige Schwächen spürt, aber verlasst Euch darauf, der, in dessen Dienst Ihr steht, wird seinen Geist so in Euch herrschen lassen, dass seine Gnade über alle Versuchungen weghilft. Wenn er verheißen hat, die mit Geduld zu stärken, die im ihrer Sünde willen Züchtigung erleiden, so wird er doch noch viel weniger die verlassen, die seine Sache führen und die er braucht zu einem so herrlichen Amt, Zeugen seiner Wahrheit zu sein. So erinnert Euch an den Spruch: Der, der in Euch wohnt, ist stärker als die Welt [Jak. 4, 5? Joh. 16, 33]. Wir wollen hier unsere Pflicht tun und ihn bitten, er möge sich mehr und mehr verherrlichen in Eurer Standhaftigkeit, und durch den Trost seines Geistes möge er versüßen und lieb machen, was dem Fleische bitter ist, und Eure Sinne so an sich ziehen, dass Ihr im Blick auf die Krone im Himmel bereit seid, ohne Bedauern alles, was von der Welt ist, zu verlassen.
Ich habe ein Blatt Papier erhalten, auf dem die sehr spitzfindigen Gründe stehen, mit denen diese unglückselige Bestie Orry beweisen will, es sei erlaubt, Götzenbilder zu machen. Ich weiß nicht, habt Ihr es mir gesandt und erwartet Ihr, dass ich antworte. Ich wollte nicht daran gehen, da ich daran zweifelte, und tatsächlich glaube ich, Ihr habt es Eurerseits nicht sehr nötig. Wünscht Ihr es aber, so sollt Ihr mit dem ersten Boten eine Antwort darauf erhalten. Etwas möchte ich von Euch fordern; Ihr habt neulich einen Brief erhalten von einem kleinen Verächter Gottes hier, der nichts tut, als die Kirche verwirren, und dieses Handwerk nun schon fünf Jahre durch unaufhörlich treibt. Ich möchte nun, Ihr ließet mir mit dem nächsten Boten ein aufklärendes Wort darüber zukommen, um seine Bosheit aufzudecken; sonst fährt er ohne Ende so fort. Ich bitte Euch darum, weil Ihr die Ruhe dieser Kirche wollt, die mehr, als man glauben sollte, von Feinden im Innern beunruhigt wird. Und nun, liebe Brüder, bitte ich unsern lieben Gott, Euch zu behüten, Euch in allem und überall beizustehen, und Euch erfahren zu lassen, wie er ein Vater ist und wie er für das Wohl der Seinen besorgt ist, und empfehle mich auch Eurer Fürbitte.
Den 7. März 1553.