Calvin, Jean – An die Evangelischen in Frankreich.

Nr. 672 (C. R. – 3485)

 

Lage und Pflichten der Evangelischen beleuchtet aus dem Buche Daniel.

Unser gemeinsames Vaterland, dessen Lieblichkeit viele Fremde aus den fernsten Gegenden anzieht, misse ich nun schon ganze sechsundzwanzig Jahre nicht ungern. Denn mir wäre es nicht lieb und erwünscht, in dem Land zu wohnen, aus dem Gottes Wahrheit, der reine Glaube und die Lehre der ewigen Seligkeit verbannt sind, und in dem das Reich Christi daniederliegt; auch zieht es mich heute noch nicht dahin; aber doch, wollte ich meines Volkes, dem ich angehöre, vergessen und mich seiner entschlagen, so wäre das unmenschlich und sündhaft. Ich glaube auch, mit einleuchtenden Beweisen bezeugt zu haben, wie ernst und heiß mein Wunsch ist, unserm Volke zu nützen, und vielleicht war gerade mein Fernsein ihm von Nutzen, da es dadurch reichere Frucht meiner Studien ernten konnte. Die Erwägung dieses Vorteils hat mir nicht nur alle Pein abgenommen, sondern mir mein Exil angenehm und erfreulich gemacht. Während ich nun in diesem ganzen Zeitraum sowohl dem französischen Volk als ganzem zu helfen suchte, als auch unablässig einzelne Schlummernde aufrütteln, Träge ermuntern, Ängstliche ermutigen, Unsichere und Schwache zur Beharrlichkeit auffordern wollte, gilt es jetzt, in diesem besonders wichtigen Augenblick, es nicht an einem besondern Liebesdienst an ihnen fehlen zu lassen, wozu mir Gott nun die beste Gelegenheit gibt. Denn da eben meine Vorlesungen über den Propheten Daniel erscheinen, kann nichts passender sein, als dass ich an diesem Beispiel Euch, von Herzen geliebte Brüder, zeige, wie der Gott, der in unsern Tagen den Glauben der Seinen in mannigfachen Kämpfen prüfen will, ihre Herzen nach seiner wunderbaren Weisheit durch die Vorbilder der alten Zeit stärken lässt, dass sie auch von stärksten Stürmen und Wettern getroffen nicht wanken, oder wenigstens, wenn sie etwa auch einmal schwanken, doch nicht ganz ablassen. Denn wiewohl die Bahn, die vor den Knechten Gottes liegt, gesperrt ist von vielen Hindernissen, – wer fleißig das Buch Daniel liest, der findet darin, was ein williger und nicht träger Läufer braucht, um vom Start zum Ziel zu kommen, und auch gute und energische Wettkämpfer werden erfahren und merken, dass sie damit gut genug zum Kampfe gerüstet sind.

Zuerst kommt eine zwar traurige, aber sehr nutzbringende Geschichte, wie Daniel und seine Genossen, als Reich und Priestertum in Juda noch bestand, in die Verbannung geschleppt wurden, als ob Gott die Blüte des auserwählten Volks zu ihrer Schmach und Schande ins Unglück stürzen wollte. Denn scheint es nicht auf den ersten Blick ganz ungerecht, dass die mit fast engelhaften Tugenden gezierten Knaben dem übermütigen Sieger als Sklaven unter der Beute folgen müssen, während die frevelhaftesten, heillosesten Verächter Gottes unversehrt zu Hause blieben? Ist das der Lohn der Frömmigkeit und Unschuld, dass, während die Gottlosen sich ruhig ihrer Straflosigkeit brüsten, die Heiligen die Strafe zahlen müssen, die jene verdient haben? Aber da wir darin wie in einem lebendigen Spiegelbild sehen, dass Gott, auch wo er die ganz Schlimmen zeitweilig schont und nachsichtig behandelt, seine Knechte wie Gold und Silber prüft, so darf es uns nicht hart erscheinen, wenn wir in den Schmelztiegel geworfen werden, während die Weltmenschen der sicheren Ruhe genießen. Weiter kommt dazu das Beispiel einer mehr als männlichen Klugheit und außerordentlichen Selbstbeherrschung. Denn mit wahrhaft heroischer Geistesgröße überwanden die frommen Jünglinge, die von allen Lockungen des Hoflebens versucht wurden, trotz ihrer zarten Jugend nicht nur durch ihre Enthaltsamkeit alle Lüste, sondern verachteten auch, um sich aus den Schlingen des Teufels zu befreien, tapfer und offen die mit Gift getränkten Ehren, weil sie sahen, dass man sie damit hinterlistig fangen und allmählich zum Abfall vom wahren Gottesdienste bringen wollte [Daniel 1].

Darauf folgt ein noch härterer, fürchterlicherer Kampf, der zugleich ein bemerkenswertes Beispiel geradezu unglaublicher Standhaftigkeit bietet: Daniels Freunde lassen sich auch durch grausame Drohungen nicht bewegen, sich durch Anbetung des Standbilds zu beflecken, und sind schließlich bereit, den wahren Gottesdienst nicht nur mit ihrem Blut, sondern auch in einer grässlichen Marter, die man vor ihren Augen vorbereitete, zu verfechten. Die Güte Gottes, die sich im Ausgang dieses Trauerspiels so leuchtend zeigt, vermag auch uns nicht wenig zu wappnen mit unüberwindlichem Vertrauen [Dan. 3]. Dazu kommt dann der ähnliche Kampf Daniels selbst mit dem gleichen Sieg: er ließ sich lieber den wilden Löwen vorwerfen, als nur drei Tage lang vom offenen Bekenntnis seines Glaubens abzustehen, um nicht durch charakterlose Heuchelei den heiligen Namen Gottes zu schänden zum Gespött der Gottlosen, und aus der Löwengrube wie aus dem Grab wunderbar gerettet, durfte er über den Satan und seine Gesellen triumphieren [Dan. 6].

Da kommen keine Philosophen vor, die in Muße und am Schatten geistreich über die Tugend disputieren, sondern die unermüdliche Standhaftigkeit heiliger Männer und ihr Eifer in der Frömmigkeit ruft uns mit lauter Stimme zur Nachfolge auf. Sind wir also nicht ganz unbelehrbar, so müssen wir von solchen Meistern lernen, wenn der Satan uns Schmeichelnetze aufstellt, uns klug vor dem Hineinfallen zu hüten, oder wenn man uns mit Gewalt angreift, durch unverzagte Verachtung des Todes und aller Übel ihre Angriffe abzuschlagen. Wenn jemand antwortet, Befreiungen, wie die beiden erzählten, seien aber doch höchst selten, so gebe ich zu, dass Gott tatsächlich nicht stets in derselben Weise seine Hand vom Himmel her ausreckt, die Seinen zu bewahren; aber das muss uns genügen, dass er bezeugt hat, er wolle ein treuer Hüter unseres Lebens sein, so oft es in irgendwelche Gefahr kommt, und dass wir nicht der Willkür der Gottlosen, ausgesetzt sind, sondern dass er ihre Wut und ihre wilden Anschläge zunichte macht, wenn er will. Auch darf man nicht nur auf den Ausgang schauen, sondern darauf, wie tapfer sich die heiligen Männer zur Verteidigung der Ehre Gottes dem Tode weihten, und ihre Bereitwilligkeit, mit der sie sich ihm zum Opfer darboten, verdient deshalb nicht weniger Lob, weil sie durch Gottes Gnade gerettet worden sind.

Es ist schon der Mühe wert, nachzurechnen, in wie vielen Unruhen der Prophet geriet in den siebzig Jahren, die er in der Verbannung lebte. Von keinem König ist er gerecht und menschlich behandelt worden als von Nebukadnezar, und von diesem musste er erleben, dass er ein wildes Tier wurde [Dan. 4]. Die andern waren noch grausamer, bis er nach Belsazars Untergang und der Eroberung Babels [Dan. 5] plötzlich unter neue Herren, die Perser und Meder, kam; da deren feindlicher Einfall jedermann Schrecken einjagte, so hat er auch zweifellos sein Herz erschüttert. Wurde er auch von Darius freundlich aufgenommen, so dass seine Knechtschaft einigermaßen erträglich war, so brachte ihn doch der Neid und die frevelhafte Verschwörung der Großen gerade damals in die größte Gefahr. Da er aber um das gemeine Wohl der Kirche noch mehr besorgt war als um seine persönliche Ruhe, so ist leicht auszudenken, welche Trauer ihn umfing und welche Angst ihn festhielt, da die Lage der Dinge kein Ende der kläglich harten Unterdrückung des Volkes absehen ließ. Zwar beruhigte er sich mit der Weissagung Jeremias [Dan. 9, 2; Jer. 25, 11], aber dass seine so lange in Spannung gehaltene Hoffnung nicht müde wurde, ja in den stürmischen Fluten, die sie umtrieben, nicht unterging, das zeugt von unvergleichlicher Geduld.

Nun zu seinen Weissagungen. Die ersten galten Babylon, teils weil Gott seinen Knecht mit bestimmten Merkmalen auszeichnen wollte, die auch das hochmütigste Siegervolk zwingen sollten, ihn zu respektieren, teils auch, weil es nötig war, dass sein Name auch bei den Weltmenschen der Verehrung wert erachtet wurde, damit er dann in solchem Ansehen sein Prophetenamt bei den Seinen umso freier ausüben könne. Nachdem er so bei den Chaldäern berühmt geworden war, vertraute ihm Gott wichtigere Weissagungen an, die nur dem auserwählten Volke galten. Dabei passt sie Gott so den Verhältnissen des damaligen Volkes an, dass sie seinen Schmerz mit guten Mitteln linderten und den wankenden Mut bis auf das Kommen des Messias aufrechterhielten, und doch ist dabei unserer Zeit nicht weniger Rechnung getragen. Denn was da prophezeit ist von dem flüchtigen, vergänglichen Glanz der Weltreiche und der ewigen Dauer des Reiches Christi, das ist heute nicht weniger wissenswert als damals. Gott zeigt darin nämlich, dass alle weltliche Macht, die ihren Grund nicht in Christo hat, hinfällig ist, und dass allen Reichen, die sich allzu hoch erheben und dadurch die Ehre Christi verdunkeln, der baldige Untergang droht. Auch die jetzt über weite Gebiete herrschenden Könige werden schließlich die furchtbare Erfahrung machen, dass dieses entsetzliche Urteil auch ihnen gilt, wenn sie sich nicht freiwillig der Herrschaft Christi unterwerfen. Was ist unerträglicher, als dass der um sein Recht betrogen wird, von dessen Schutz die Sicherheit ihrer Stellung abhängt? Wir sehen ja, wie wenige von ihnen den Sohn Gottes aufnehmen, wie sie vielmehr alles ins Werk setzen und zum äußersten greifen, um ihn nicht in ihr Land eindringen zu lassen, und wie auch viele ihrer Ratgeber all ihre eifrige Tätigkeit nur darauf richten, ihm sorgfältig jede Tür zu sperren. Dabei aber nehmen sie doch den Christennamen in Anspruch und rühmen sich, die besten Verteidiger des katholischen Glaubens zu sein, eine leichtsinnige Eitelkeit, die mühelos zu widerlegen ist, wenn man einen wahren Begriff vom rechten Reiche Christi hat. Denn sein Thron und Zepter ist nichts anderes als die evangelische Lehre, und nirgends hat seine Majestät den rechten Glanz und herrscht er wirklich, als wo alle, vom Höchsten bis zum Niedrigsten, sich ruhig belehren lassen und wie Schafe die Stimme des Hirten hören und ihm folgen, wohin er sie ruft. Diese Lehre aber, die den wahren Glauben und den rechten Gottesdienst enthält, auf der die ewige Seligkeit und das wahre Glück des Menschen beruht, wird nicht nur überall abgelehnt, sondern sogar mit Drohen und Schrecken, mit Feuer und Schwert ferngehalten, und man scheut keine Gewalttat, sie auszurotten. Welche wunderliche Verblendung ist das doch, dass die, die der eingeborene Sohn Gottes freundlich zu sich ruft, es nicht über sich bringen, ihn zu küssen [Psalm 2, 12]! Aber viele halten es eben in ihrem Hochmut für eine erzwungene Unterwerfung, wenn sie dem höchsten Könige die Herrschaft überließen; andere wollen ihren Gelüsten nicht einen Zaum anlegen lassen, und da die Heuchelei ihren Sinn gefangen hält, so suchen sie alle das Dunkel und scheuen das Licht. Nichts aber ist schlimmer als die Befürchtung des Herodes, Gott, der auch den Geringsten und Verachtetsten aus dem Volk das Himmelreich anbietet, wolle den Fürsten ihre weltliches Reich rauben [Matth. 2, 2.3]. Dazu kommt, dass, weil einer auf den andern Rücksicht nimmt, die gegenseitige Verpflichtung sie als ein verderbliches Band festhält unter dem Joch der Gottlosigkeit; denn wollten sie einmal ernstlich erforschen, was das Wahre und Rechte ist, ja täten sie nur einmal die Augen auf, so wäre es nicht schwer zu erkennen. Aber weil es eine Erfahrungstatsache ist, dass, wo sich Christus mit seinem Evangelium erhebt, gleich auch schwere Unruhen entstehen, so verwerfen sie die himmlische Lehre mit der guten Ausrede, sie müssten für die Ruhe des Staates sorgen. Nun gebe ich zu: mit Recht kann man eine Veränderung, die Unruhen hervorruft, für gefährlich halten; aber man tut doch Gott schweres Unrecht, wenn man ihm nicht einmal soviel zutraut, dass er den hitzigsten Aufruhr, der entstünde, beschwichtigen und seines Sohnes Reich festigen könne. Wenn auch Himmel und Erde durcheinander geraten, – der wahre Gottesdienst ist so wertvoll, dass auch seine kleinste Einschränkung zu teuer erkauft ist, man mag dafür erhalten, was man will.

Doch ist es überhaupt eine falsche Beschuldigung, wenn man das Evangelium als die Ursache der Verwirrungen bezeichnet. Freilich das ist wahr, es ist ein gewaltiges Donnerwort Gottes, das Himmel und Erde bewegt (Haggai 2, 7), aber da der Prophet mit solchem Lobe seiner Verkündigung Gunst erwerben will, so muss diese erschütternde Wirkung heilsam und wünschenswert sein. Da tatsächlich die Ehre Gottes erst dann den ihr gebührenden Rang einnimmt, wenn alles Fleisch gedemütigt ist, so muss der menschliche Übermut, der sich gegen sie auflehnt und immer nur widerwillig weicht, durch Gottes starke, mächtige Hand niedergeworfen werden. Wenn schon bei der Verkündigung des Gesetzes die Erde erbebte (2. Mose 19, 18), so ists nicht zu verwundern, wenn die Kraft und Wirksamkeit des Evangeliums noch herrlicher erscheint. Man sollte drum seine Lehre umso sanftmütiger annehmen, die darin ihre ungewöhnliche Kraft zeigt, dass sie die Toten aus der Unterwelt heraufführt, und solchen, die nicht wert sind, dass sie die Erde trägt, den Himmel öffnet [Matth. 27, 53; Luk. 23, 43], als ob alle Elemente mitwirken müssten zu unserer Seligkeit.

Wahrlich, aus einer ganz anderen Richtung kommen die Wetter und Stürme, nämlich daher, dass bald die Großen und Hohen dieser Welt das Joch Christi nicht gerne auf sich nehmen, bald auch das unerfahrene Volk von sich speit, was heilsam ist, ehe es davon nur versucht hat; manche wollen sich eben auch im Kote vergnügen wie die Schweine; andere greifen zum Mord, wie von Furien gehetzt. Vor allem aber wütet der Teufel und hetzt alle, die er ganz in seiner Hand hat, dazu auf, alles durcheinander zu bringen. Daher kommt das Trompetengeschmetter, daher Kämpfe und Kriege, dass der Heliogabal, der zu Rom Priester ist, mit seiner roten, blutdürstigen Kohorte und seinem bischöflichen Hornvieh kopfüber einher stürmt, gegen Christum wütet, und überallher Hilfe holt aus dem Haufen seines schmutzigen Klerus, der, wenn auch nicht gleich reichlich, doch Bissen schluckt, die aus demselben Topfe kommen. Auch sonst bieten allerlei Hungerleider ihre Dienste an. Die Mehrheit der Richter, gewöhnt mit üppigen Mahlzeiten ihren Bauch zu füllen, kämpft für Herd und Küche. Besonders sendet er aus den Mönchsklöstern und den Winkeln der Sorbonne seine Zungendrescher aus, die wie Brandfackeln das Feuer schüren sollen. Die heimlichen Ränke und frevelhaften Verschwörungen, für die die ärgsten Feinde des Evangeliums die besten Zeugen wären, will ich ganz beiseite lassen. Ich will auch keinen Namen nennen; es genügt, mit dem Finger auf die hingewiesen zu haben, die Ihr nur zu gut kennt. Wenn bei dem unordentlichen Hereinbrechen all dieser Bestien die Leute unentschieden bleiben, die alles auf den so oder so möglichen Ausgang der Dinge ankommen lassen wollen, so ist das nicht zu verwundern; aber ungerecht und verkehrt ist es, wenn sie die Schuld an dem, was ihr Misstrauen weckt, auf das heilige Evangelium Christi schieben. Angenommen, die Hölle mit allen Teufeln rücke aus zum Kampf, – wird Gott ruhig im Himmel sitzen und seine Sache verlassen und verraten? Und wenn er sich aufmacht, wird dann alle List der Menschen oder alles lärmende Anstürmen seinen Sieg aufhalten können? Man sagt, der Papst habe eine große Partei hinter sich. Das ist der rechte Lohn des Unglaubens, dass er zittern macht vor dem Rauschen eines welken, fallenden Laubes. Was wollt Ihr denn, Ihr allzu vorsichtigen Ratgeber? Soll etwa Christus müßig sein, damit ja keine Neuerung Unruhe errege? Ihr werdet es bald spüren, wie viel besser es gewesen wäre, einen gnädigen Gott zu haben und alles Drohen verachten zu können, weil man in seinem Schutze ruht, als ihn durch offene Gegenwehr zu reizen, um ja nicht die bösen Geister zu erzürnen. Wenn man wirklich alles prüft, so gilt auch den Verteidigern des Papstes der bisher herrschende Aberglaube nur als ein gut eingelebter Übelstand, an den man ihrer Meinung nach nicht rühren darf, da es nicht ohne Verlust abgehen könne. Wem aber Gottes Ehre am Herzen liegt und wer wirklich fromm ist, der muss ganz anders denken, nämlich er wolle sich in Gottes Dienst stellen, damit der Ausgang vor allem Gottes Vorsehung entspreche. Hätte er uns nichts versprochen, so könnte man vielleicht mit Recht sich fürchten und stets zittern; da er es aber so oft verheißen hat, seine Hilfe solle uns bei der Verteidigung seines Reiches nie fehlen, so ists das einzig richtige Verhalten, dass wir uns ganz darauf verlassen.

Eure Pflicht ist es nun, liebste Brüder, herzhaft zu handeln, ein jeder nach seiner Fähigkeit und seinem Beruf, dass der wahre Glaube ganz zur Geltung komme. Wie oft ich bisher bei jeder Gelegenheit versucht habe, ein gewaltsames Vorgehen zu verhindern, brauche ich hier nicht zu erzählen; ich will nur vor dem höchsten Richter die Engel und Euch alle zu Zeugen nehmen, dass es an mir nicht lag, wenn das Reich Christi nicht ruhig und ohne jede Gewalt vorwärts ging. Ich glaube auch, mit meinem Eifer wenigstens das erreicht zu haben, dass einfache Privatleute die Grenze des Erlaubten nicht überschritten. Jetzt da Gott in seiner wunderbaren Macht die Reformation seiner Kirche so gefördert hat, wie ich es nie zu hoffen wagte, so möchte ich Euch doch wieder ins Gedächtnis rufen, dass Christus den Seinen gebietet: Fasset Eure Seelen in Geduld (Luk. 21, 19). Darauf bezieht sich ja auch das Gesicht Daniels: der Stein, von dem die Reiche, die wider Gott Krieg führten, zerschmettert wurden, war nicht von Menschenhand gebildet (Dan. 2, 44), und wiewohl er rau und ungeschliffen war, wuchs er doch und wurde zu einem großen Berg. Daran wollte ich Euch mahnen, dass Ihr unter dem Donner der Drohungen ruhig warten sollt, bis die nichtigen Wolken durch Gottes Macht zerstieben und sich auflösen. Zwar ist mir nicht verborgen, welche Schändlichkeit Ihr im letzten halben Jahre erdulden musstet, von den ungezählten Scheiterhaufen in den letzten dreißig Jahren ganz zu schweigen; wie oft in verschiedenen Städten der unruhige Pöbel Euch gewaltsam überfiel, wie oft man Euch mit Steinwürfen, oft auch mit dem Schwerte angriff, wie Euch die Feinde Hinterhalte legten, um Eure friedlichen Zusammenkünfte plötzlich und unerwartet mit Gewalt zu verhindern. Einzelne wurden in ihren Häusern getötet, andere auf den Straßen; die Leichen wurden zum Hohn herumgeschleift, Frauen entführt, viele verwundet, einmal auch eine schwangere Frau samt ihrer Leibesfrucht durchbohrt, Häuser erbrochen und niedergerissen. Aber selbst wenn noch Schlimmeres drohte, müsst Ihr Euch mühen, Euch als Christi Jünger, die in seiner Schule ausgebildet sind, zu bewähren, dass nie die Wut der Gottlosen, die sie so maßlos hinreißt, Eure Mäßigung raube, durch die allein sie bisher besiegt und überwunden worden sind. Will es Euch verdrießen, dass es so lange dauert, so ruft Euch zuweilen die berühmte Weissagung ins Gedächtnis zurück, in der die Lage der Kirche so lebendig dargestellt ist [Dan. 9, 10]. Zwar zeigt Gott darin seinem Propheten, welche Kämpfe, Ängste, Mühen und Gefahren den Juden noch bevorstanden vom Ende des Exils und der fröhlichen Heimkehr ins Vaterland, bis zur Ankunft des Messias, aber die Ähnlichkeit der Zeit bewirkt, dass dasselbe auch auf uns passt, als ob es für uns gesagt wäre. Der armen Kirche, die lange in einer tiefen Flut des Unglücks versunken gewesen war, wünschte Daniel Glück, weil er aus der Berechnung der Jahre schloss, der von Jeremia verheißene Tag der Befreiung stehe nun bevor (Jer. 25, 12; 29, 10). Da erhielt er die Antwort, des Volkes Los werde noch härter werden, wenn es die Freiheit wieder habe, so dass es unter dauernder Last entsetzlichen Unglücks kaum werde aufatmen können. Nicht ohne bittern Schmerz und große Abneigung hatte er seine Hoffnung mit siebzig Jahren vertröstet, und nun versiebenfachte Gott die Zeit und schlug damit seinem Herzen eine tödliche Wunde. Und nicht nur verkündigt er, das Volk werde, wenn es erst seine Kräfte wieder gesammelt, Stadt und Tempel wieder gebaut haben werde, neuen Mühsalen ausgesetzt sein, sondern schon beim Beginn der Freude, wenn sie kaum die Süßigkeit der Gnade geschmeckt haben, verheißt er ihnen neue Angst. Allein das Unglück, das kurz darauf folgte, von dem er ein zahlreiches Verzeichnis aufstellt, so dass wir vom bloßen Anhören erschrecken, musste ja schon dem Volke unheilvoll und bitter sein. Den Tempel durch die frevelhafte Frechheit eines Tyrannen geschändet, die heiligen Geräte schändlich mit wüstem Schmutze besudelt, alle Gesetzbücher ins Feuer geworfen zu sehen, damit dadurch die ganze Religion vernichtet würde, – war das nicht ein entsetzliches Schauspiel? (2. Makk. 6, 16; 7). Und dass jeder, der offen und standhaft bekannte, beim Dienste Gottes beharren zu wollen, vom selben Feuer erfasst wurde, – konnten das die Schwachen und Zweifelnden ohne ungeheure Bestürzung sehen? Das war gerade die Absicht des Tyrannen, durch die Ungeheuerlichkeit seiner Verfolgung die weniger Beherzten zum Abfall zu bringen. Unter den Makkabäern schien sich eine gewisse Erholungszeit zu bieten, die aber doch, durch fürchterliche Niederlagen getrübt, nie ohne Trauer und Leid war. Denn da der Feind an Truppen und allem Kriegszeug weit überlegen war, so blieb allen, die zur Verteidigung der Kirche ihre Waffen ergriffen hatten, nichts übrig, als sich in den Schlupfwinkeln der Wildnis zu verbergen, oder in größter Armut, an allem Mangel leidend, durch die Wälder zu schweifen (1. Makk. 2 und 2. Makk. 8 ff.). Dazu kam noch eine andere Art Versuchung, nämlich, dass sich dem Juda und seinen Brüdern unredliche und treulose Leute angeschlossen hatten aus der Prahlerei eines falschen Eifers, wie Daniel sagt [11, 34]. Durch diesen Kniff brachte der Satan die von Juda gesammelte Schar in Schande, als ob sie eine Räuberbande wäre. Nichts aber war den Guten betrübender, als dass selbst Priester, jeder wie ihn sein Ehrgeiz hinriss, durch schmähliche Verträge den Tempel und den Dienst Gottes verrieten (Dan. 11, 34 ff.). Und nicht nur käuflich war die Würde des Priestertums, sondern sie wurde erkauft mit wechselseitigem Morden, ja mit Vatermord. So kams, dass die Menschen aller Stände, obwohl Beschneidung und Opfer im Brauche blieben, durch Verderbnis aller Art, die sich ungestraft ausbreitete, entweiht wurden, so dass es zur Zeit der Erscheinung Christi geradezu ein Wunder war, wenn jemand auf das Reich Gottes wartete; denn nur ganz wenige werden dieses Lobes gewürdigt.

Wenn in jener schmählichen Entstellung der Kirche, in mancherlei Spaltungen, unter furchtbaren Schrecknissen wie verwüstete Äcker, geplünderte Wohnungen, Todesgefahren, die Weissagung Daniels die frommen Herzen aufrecht hielt, da doch der Glaube noch in dunkelm Schatten lag, die Lehre fast erloschen war und die Priester selbst, entartet wie sie waren, alles Heilige zu Grunde richteten, wie müssten wir uns da unserer Schwachheit schämen, wenn uns nicht das lautere Evangelium, in dem uns Gott sein väterliches Angesicht sehen lässt, über alle Hindernisse weghöbe und uns mit unermüdlicher Festigkeit ausrüstete! Denn wie ohne Zweifel damals die Knechte Gottes auf ihre Zeit bezogen, was die Propheten über die babylonische Gefangenschaft gesagt hatten, und sich die Schmerzen der Gegenwart damit erleichterten, so ists auch unsere Pflicht, unser Auge auf die Leiden der Väter zu richten, damit wir uns nicht weigern, uns zu der Kirche zu versammeln, von der es heißt: Du Elende, über die alle Wetter gehen, und du Trostlose, siehe ich will dich aufnehmen (Jes. 54, 11 ff.); und anderswo klagt die Kirche, dass die Gottlosen ihren Rücken zerschlagen haben, nicht anders als ein Ackerfeld von der Pflugschar aufgerissen wird, – frohlockt aber gleich darauf, dass der Herr, der gerecht ist, ihre Seile abgehauen hat, so dass sie sie nicht übermochten (Psalm 129, 2 – 4). Aber nicht nur durch die Beispiele jener Zeit ermutigt uns der Prophet zu geduldiger Hoffnung, sondern er knüpft daran auch eine vom Geiste diktierte Mahnung, die sich auf das ganze Reich Gottes bezieht und uns zugehört. So darf es uns nicht hart sein, zur Zahl derer zu gehören, denen er prophezeit, sie würden im Feuer bewährt werden zu ihrer Läuterung [Dan. 11, 55; 12, 10], da alle Kreuzeslasten durch die unschätzbare Seligkeit und Herrlichkeit, die daraus hervorgehen, bei weitem aufgewogen werden. Den meisten gilt das als dummes Zeug; aber ihre Stumpfheit und Gleichgültigkeit darf uns nicht träge machen, sondern fest muss in unserm Herzen haften, was der Prophet gleich darauf sagt: (Dan. 12, 10 wie oben): die Gottlosen werden gottloses Wesen führen, weil sie es nicht verstehen; aber die Kinder Gottes werden mit Verständnis begabt sein, dass sie den rechten Lauf ihres göttlichen Berufes innehalten. Es ist der Mühe wert, auch die Ursache der gemeinhin bemerkbaren dumpfen Verblendung zu kennen, damit uns die himmlische Lehre weise mache.

Denn von nichts anderem kommt es, dass die Mehrheit der Menschen Christum und sein Evangelium für nichts achtet, als dass sie in Sicherheit sich selbst schmeicheln und durch keine Furcht, keine Empfindung ihrer Sünden, keinen Schrecken vor dem Zorne Gottes sich aufwecken lassen, ernstlich und heißen Herzens nach der Erlösung zu streben, die uns allein aus dem Abgrund ewigen Verderbens reißt. Indessen aber sind sie von Vergnügungen, Lüsten und andern Verlockungen gefangen oder besser bezaubert, und die Sorge um die ewige Seligkeit rührt sie nicht. Wenn auch unter ihnen mancherlei Richtungen sind und bei den einen mehr ihr Übermut, bei andern ihre Schwachheit, bei wieder andern eine Art geistiger Berauschung und wieder bei andern eine schläfrige Stumpfheit hervorsticht, so finden wir doch, dass die Verachtung Gottes stets aus weltlicher Sicherheit stammt, weil keiner in sich geht, sein Elend zu prüfen und nach Abhilfe zu trachten. Zwar ist es ein ganz verwunderlicher Wahnsinn, wenn Gottes Fluch uns droht und seine gerechte Strafe auf uns liegt, allen Ernst abzuschütteln und selbstgefällig zu meinen, wir hätten nichts zu befürchten, und doch ist es ein mehr als allgemeiner Fehler, dass Leute, die tausendmal gesündigt und tausendmal den ewigen Tod verdient haben, mit ein paar leichtsinnigen Zeremonien sich ihrer Pflicht gegen Gott entledigen und sich dann dem Schlaf, oder besser ihrer Schlafsucht, hingeben wollen. Wenn nun Paulus das Evangelium einen Geruch zum Tode nennt für alle, deren Sinn der Satan verblendet hat (2. Kor. 2, 16), so ist es nötig, wenn es uns ein Geruch zum Leben sein soll, dass wir uns vor Gottes Richterstuhl stellen und auch unser Gewissen dorthin zitieren. Denn wenn das einmal von rechtem Schrecken erschüttert ist, so schätzt es erst die Versöhnung, die uns Christus mit seinem teuern Blut erworben, nach ihrem rechten Wert und Preis. So predigt der Engel, um für Christi Lehre Ehrfurcht und Ansehen zu wecken, von der ewigen Gerechtigkeit, die er mit dem Opfer seines Todes verbürgt hat (Dan. 9, 24); damit drückt er zugleich Ziel und Weg aus, denn die Ungerechtigkeit ist eben dadurch gesühnt und aufgehoben.

Während also die Welt in ihrem Mutwillen rast, erschreckt uns die Verdammung, die wir verdient haben, und demütigt uns vor Gott; während dann aber die Weltmenschen sich übernehmen an ihren irdischen Lüsten, greifen wir begierig nach dem unvergleichlichen Schatz, in dem die rechte Seligkeit liegt. Es mögen unsere Feinde sagen, so viel sie wollen, auch sie wollten einen gnädigen Gott kriegen; solang sie meinen, man brauche ihn nur so halbwegs anzurufen, stürzen sie ganz sicher das Fundament des Heils um. Sie mögen unsern Glauben angreifen, so frech sie wollen, – wenn uns nur das klar feststeht, dass niemand anders als aus Gnaden das Vorrecht erhält, freimütig und in ruhigem Vertrauen auf Christi Schutz Gott Vater zu nennen. Natürlich wird aber unser frommer Eifer noch nicht die rechte Kraft haben, bis wir gelernt haben, unsern Geist, den es sonst nur zu sehr zur Erde zieht, zu erheben und ihn in beständiger Betrachtung des himmlischen Lebens zu üben. Darin verrät sich die menschliche Eitelkeit, dass jeder von der Kürze seines Lebens schön philosophisch zu reden weiß, und doch niemand nach dem ewigen Leben strebt. Nicht umsonst sagt deshalb Paulus, wenn er den Kolossern Glaube und Liebe ans Herz legt, dass diese ihr Leben empfangen durch die Hoffnung, die Euch beigelegt ist im Himmel (Kol. 1, 5). Und anderswo schreibt er von der in Christo uns erschienenen Gnade: sie züchtiget uns, dass wir sollen verleugnen das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste, und züchtigt, gerecht und gottselig leben in dieser Welt und warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilands Jesu Christi (Tit. 2, 12. 13). Diese Erwartung also soll uns von allem frei machen, was uns hindern könnte, und uns zu ihm ziehen. Je mehr alle Welt erfüllt ist von der Pest des Epikureismus, umso eifriger müssen wir uns bestreben, ans Ziel zu gelangen, damit die Ansteckung nicht auch uns erfasst. Ists nun auch traurig, dass eine solche Masse Menschen umkommen soll, so darf uns, da sie fast absichtlich ins Verderben rennen, doch ihr Wahnsinn nicht irre machen; dabei hilft uns eine weitere Weissagung Daniels, nämlich dass allen, die im Buche aufgeschrieben erfunden werden, ihre Seligkeit sicher aufgehoben ist (Dan. 12, 1). Wiewohl aber die Gnadenwahl nach dem geheimen Ratschluss Gottes, die allererste Ursache unserer Seligkeit, uns verborgen ist, so ist doch die Annahme aller, die durch den Glauben an das Evangelium in den Leib Christi aufgenommen sind, unzweifelhaft, und mit diesem Zeugnis zufrieden, könnt Ihr energisch fortfahren auf dem mit Glück betretenen Wege. Müsst Ihr auch noch länger kämpfen, (ich sage Euch, es stehen noch härtere Kämpfe bevor, als Ihr glaubt), mag auch die Wut der Gottlosen sich in Angriffen aller Art äußern, mögen sie die ganze Hölle aufbieten, – Ihr wisst, der himmlische Leiter des Kampfes hat Eure Laufbahn bestimmt, und seinen Geboten müsst Ihr umso freudiger folgen, als er Euch auch Kraft dazu gibt bis ans Ende. Da ich den Posten, auf dem ich nach Gottes Willen bleiben soll, nicht verlassen darf, soll Euch die Widmung dieses Werkes ein Pfand sein, dass ich Euch helfen möchte, bis mich nach Vollendung meiner Pilgerschaft der Vater im Himmel in seiner unendlichen Barmherzigkeit in sein ewiges Erbe heimholt. Der Herr leite Euch mit seinem Geiste, von Herzen geliebteste Brüder; er behüte Euch wider alle Ränke der Feinde und halte Euch aufrecht mit unüberwindlicher Kraft.

Genf, 18. August 1561.