Calvin, Jean – An Pfarrer Kaspar Lyser in Nürtingen.

Der Nürtinger Pfarrer hatte Calvin einen Brief geschrieben, in dem er sich ihm unter vielen Entschuldigungen wegen seiner Kühnheit als begeisterter Leser seiner Schriften vorstellte, die er wegen ihrer irenischen Tendenz, ihres knappen Stils und ihres vorzüglichen Lateins schätze; um den genauen Titel einer ihm noch unbekannten Schrift hatte er gebeten.

Freude über das Lob seiner Werke. Notwendigkeit der Kirchenzucht.

Ich wäre, bester Bruder, zu ungebildet und unhöflich, sollte ich es kühn und zudringlich schelten, dass du mir geschrieben hast; vielmehr da ich sehe, dass dies aus großem Wohlwollen gegen mich geschah, so muss ich es doch wohl erfreut und heiter aufnehmen. Ich vernahm es schon gerne, dass du mich zum Freunde begehrst (als solcher bekenne ich mich dir verbunden); aber noch andere Freude machte mir dein Brief, da du schreibst, viele zögen aus meinen Werken einen nicht zu verachtenden Nutzen, und auch du gehörest zu diesen. Denn dieser Segen Gottes hat mir nicht wenig Zuversicht gemacht, dass es in dieser bösen Welt doch noch fromme gelehrte Leute gibt, die nicht nur persönlich etwas von meinen Werken haben, sondern den Nutzen, den sie spüren, auch in treuem Wirken von Hand zu Hand, wie man sagt, weiter zu geben suchen. So lass uns denn weiterfahren in dieser Bahn, lieber Bruder, und unter uns stehe eine heilige Gemeinschaft an Gottes Gaben in Kraft, die Neid und Ehrgeiz den Abschied gebe zur Erbauung der Kirche. Es freut mich, dass auch deinen Beifall der Eifer findet, mit dem ich den Zwist zu stillen suche, der unglücklicher Weise gleich bei der Wiedergeburt des Evangeliums entbrannte. Herrschte doch überall die gleiche Mäßigung! Aber von neuem erheben sich ebenso unruhige, als ungelehrte Köpfe, die irgendeine Leidenschaft treibt, ganz grundlos den Krieg wieder zu beginnen. Es ist unsere Pflicht, solchen Brandstiftern ruhig entgegenzutreten, damit die Feuersbrunst nicht weiter um sich greife. Zu dem ruhigen Zustand Eurer Kirche wünsche ich Euch Glück; doch ist es bedauerlich, dass damit die Kirchenzucht als das Hauptmittel, diesen Zustand festzuhalten, noch nicht verbunden ist. Eine andere Art, dies zu bessern, weiß ich nicht, als dass die Pfarrer, die die Sorge um das Reich Christi ernstlich beschäftigt, sich dazu vereinigen. Denn dass du allein, ohne die andern zu Rate zu ziehen, irgendetwas in dieser Hinsicht versuchst, dazu möchte ich nicht raten. Rechne dazu, dass ich es nie für nützlich hielt, dass das Recht des Abendmahlsausschlusses dem einzelnen Pfarrer überlassen werde. Denn das schafft Gehässigkeit und ist kein gutes Beispiel; es artet leicht in Tyrannei aus, und die Apostel haben uns einen anderen Brauch überliefert. Dass du aber ernstlich daraufhin arbeitest, deine Kollegen dazu zu bringen, das rate ich dir nicht nur, sondern dazu ermahne ich dich energisch. An Brenz habe ich noch nicht geschrieben; doch wird sich hoffentlich bald eine günstige Gelegenheit dazu bieten, die ich nicht vorübergehen lassen will. Das Schriftchen über die Notwendigkeit der Kirchenreformation [nach dem du fragst] heißt: „Untertänige Mahnung an Kaiser und Stände des Reichs“, und du findest es unter meinen kleinern Schriften. Lebwohl, trefflicher Bruder. Der Herr leite dich mit seinem Geiste, halte dich aufrecht mit seiner Kraft und segne dein Wirken.

Genf, 27. August 1554.
Dein
Johannes Calvin.