Farel hatte seine Schrift gegen die Libertiner Viret und Calvin zur Kritik unterbreitet. Der Genfer Pfarrer Ferron (vgl. 264) war abgesetzt worden.
Scharfe Kritik an Farels Stil.
Dass die böse Sache mit Ferron wieder begonnen hat, wirst du von deinem Bruder hören. Bullinger macht, wie du siehst, obwohl er vor Empfang meines Briefes schrieb, gute Hoffnung auf Veröffentlichung des Consensus. Dass ich in der Vorrede dich ehrend erwähnte, mag die Bösen ärgern, sie müssens doch still hinunterschlucken. Über dein Buch habe ich dir nichts geschrieben, weil ich die ganze Last auf Viret abgewälzt hatte. Ich sagte gleich, was auch wahr ist, dass ich mir über Eure Schriften kein rechtes Urteil zutraue, weil unsere ganze Schreibart so verschieden ist. Du weißt, wie ehrfurchtsvoll ich z. B. von Augustinus denke, und doch mache ich sogar bei ihm kein Hehl daraus, dass mir seine Weitschweifigkeit missfällt. Indessen ist vielleicht auch meine Kürze zu knapp. Doch ich will jetzt nicht darüber streiten, was das Beste ist; denn ich habe so wenig Selbstvertrauen, dass ich mir lieber nur gestatte, meiner natürlichen Art nachzugeben, als andere zu tadeln. De Normandie, der ebenso sehr mit wie dir ein guter Freund ist, ist über meine Meinung von deinem Buch mein bester Zeuge. Ich fürchte nur das, dass der zuweilen etwas verworrene Stil und die ausführliche Behandlung die hellen Lichter etwas verdunkeln, die auch ich darin wohl wahrnehme. Dass von dir ja nur Ausgezeichnetes zu erwarten ist, weiß ich und anerkenne es gerne; ich sage das ohne Schmeichelei, und dein Buch scheint mir wirklich unter diesen Begriff zu fallen. Weil aber die Ohren unseres heutigen Geschlechts so empfindlich sind und dabei die Erkenntniskraft doch nicht sonderlich groß, so hätte ich die Ausdrucksweise gerne so gesehen, dass sie durch Leichtverständlichkeit anzöge und doch die Gelehrsamkeit verriete, die unter den schon erwähnten Hüllen versteckt liegt. Hier hast du nun mein ungeschminktes Urteil. Obschon ich mich lieber mit Virets Antwort zufrieden gegeben hätte, durfte ich jetzt, da du zum zweiten Male in mich drangst, nicht schweigen. Über unsere hiesigen Verhältnisse wird dir dein Bruder berichten. Lebwohl, bester Bruder und Freund, samt allen Kollegen, besonders Christophe, Faton und Michel. Der Herr leite und behüte Euch allzeit.
Genf, 1. September 1549.
Dein
Johannes Calvin.
Herr de Normandie lässt dich vielmals grüßen.