Luther, Martin – An Christoph Scheurl, Rechtsgelehrten zu Nürnberg.

Wittenberg, den 27. Jan. 1517

Heil! Ich habe deinen Brief empfangen, hochgelehrter und werthester Christoph, der mir sehr angenehm, aber auch sehr betrübend war. Warum bist du traurig? Was hättest du mir Lieberes schreiben können, als was du geschrieben, da du den ehrwürdigen Vater, ja Christum in seinem Werkzeug, nehmlich unsern Vicarius, mit so würdigem Lobe erhoben hast! Denn man kann mir nichts Angenehmeres erzählen, als daß die Stimme Christi gepriesen, gehört und angenommen, ja darnach gelebt, dieselbe empfunden und verstanden werde. Wiederum, was konntest du Bittereres schreiben, als da du meine Freundschaft suchtest, und mich mit so eiteln Titeln ehrtest? Ich will nicht, daß du mein Freund werdest: denn meine Freundschaft wird dir nicht zur Ehre, sondern zur Gefahr ausschlagen, wenn anders das Sprüchwort wahr ist: „Freunde haben Alles gemein.“ Wenn nun, was mein ist, durch Freundschaft das deinige wird, so wirst du nichts zum Besten haben, als Sünde, Thorheit und Schande. Denn das sind meine Sachen, die du doch an mir mit andern Namen (wie gesagt) geehrt hast. Doch ich weiß, daß du christlich gesinnt bist, und sagen wirst: ich bewundere nicht dich, sondern Christum in dir. Hierauf sage ich: wie kann Christus meine Gerechtigkeit sein in Sünden und Thorheit? Ja dieß ist eben die höchste Vermessenheit, sich einzubilden, daß man Christi Wohnung sei, und kann man solches Rühmen auch kaum dem apostolischen Stande gestatten. Ich preise dich also zwar glücklich, daß du in dieses Mannes, unseres Vaters, Freundschaft und Vertraulichkeit stehst: aber schone deine Ehre, daß du nicht zu meiner Freundschaft entartest, obwohl auch eben jener ehrwürdige Vater nicht ohne meine Furcht und Gefahr mich allenthalben rühmt und sagt: ich preise Christum in dir und ich muß es glauben. Es ist aber ein harter Glaube. Denn es ist dieses Leben so jämmerlich und elend, daß, je mehr man dergleichen Lobredner und Freunde hat, desto mehr sie schaden, wie geschrieben steht: „des Menschen Feinde werden seine Hausgenossen sein,“ und abermal: „die mich lobten verschworen sich gegen mich“, und: „meine Freunde und Verwandten haben sich wieder mich aufgemacht und sind gegen mich gestanden.“ Denn je mehr Menschengunst zu uns nahet, desto mehr Gottesgunst weicht von uns. Denn Gott will entweder der alleinige oder kein Freund sein. Zu diesem Uebel kommt auch vollends dieß, daß, wenn man sich demüthigt, und Lob und Gunst verweigert, desto mehr einem Lob und Gunst (das ist Gefahr und Verderben) folgt. O viel heilsamer ist demnach Haß und Schmach als Aller Lob und Liebe: weil der Haß blos einfache Gefahr, die Liebe aber zweifache ist. Nichts gleicht mehr einem liebenden, ja rasenden Weibe, welches das Versagte desto wüthender begehrt, als solch zeitlich Lob und Ehre. Von solchem ehebrecherischen schlimmen Weibe, siehe, schreckt mich Salomo so ernstlich ab Spr. 7 und anderwärts, da er sie als eine Fremde, Auswärtige und Verführerin der Jugend beschreibt.Ich schreibe das nicht, lieber Christoph, daß ich dein aufrichtiges und wohlwollendes Herz verachten wollte, sondern weil ich auch für mein Gemüth zu besorgen habe. Du thust, was einem frommen und christlichen Menschen zusteht, der niemand, als sich selbst verachten soll: ich muß mich aber auch bestreben, daß ich ein Christ wie du sei (wenn die Freundschaft nachhaltig sein soll) das ist, daß ich ein Verächter meiner selbst sei. Denn das ist kein Christ, der die Menschen wegen ihrer Gelehrsamkeit, Tugend, Heiligkeit und ihres Rufes achtet (denn das thun auch Heiden und die schwatzhaften Dichter, wie sie auch in unserer Zeit ihre Namen nennen), sondern der einen dürftigen, armen, thörichten und elenden Sünder liebt; wie auch der Psalm sagt: „wohl dem, der Einsicht hat,“ nicht über den Gelehrten, Gebildeten, Heiligen, Geförderten, sondern über den Armen und Dürftigen. Endlich bekennt Christus, daß ihm das geschehen sei, was einem seiner geringsten Brüder geschehen sei, da er hätte sagen können: seinen größten und höchsten. Denn was hoch ist bei den Menschen, ist bei Gott ein Gräuel. Zu solchem Gräuel nun bitte ich um Christi unsers Herrn willen mich nicht zwingen und nöthigen zu wollen, wenn du mein Freund sein willst. Das wirst du aber sehr leicht thun, wenn du mich weder ins Angesicht, noch vor Andern irgendwie lobst. Wenn du aber je meinst, daß Christus in mir zu loben sei, so nenne auch dabei seinen Namen und nicht meinen: weil Christi Sache durch meinen Namen befleckt, ja verkürzt und benachtheiligt wird. Wenn Jemand von Sachen redet, als mit den eigenen Namen derselben, warum preisen wir denn Christi Sachen ohne Christi Namen? Siehe, wie dein Freund so wortreich ist: lies es mit Geduld. Lebe wohl in Christo.

Aus der Clause zu Wittenberg.Br. M. Luther,
Eremit des Ordens St. Augustins.

Quelle:
Auserlesene geistvolle Briefe Der Reformatoren und sonstiger bedeutender Männer der evangelischen Kirche Zur christlichen Erbauung und Belehrung von C.E. Renner, evangelischem Pfarrer. Stuttgart. C. Cammerer (früher H. W. Beck’s Verlag.) 1862