Luther, Martin – An Johann Lange (1.3.1517)

Ich lese jetzt unsern Erasmus, aber täglich gefällt er mir weniger. Das ist schon recht, daß er die Mönche und Priester so beständig und gelehrt widerlegt und sie einer eingewurzelten und schlafsüchtigen Unwissenheit beschuldigt. Aber ich fürchte er breitet Christum und die Gnade Gottes nicht genug aus, von der er gar wenig weiß. Das Menschliche gilt mehr bei ihm als das Göttliche. Wir leben in gefährlichen Zeiten und ich sehe, daß nicht jeder deshalb weil er ein guter Grieche oder Hebräer auch ein wahrer Christ ist. Anders urtheilt wer menschlichem Willen und Willkür Alles einräumt, anders der nichts kennt als die Gnade Gottes. –

Aus unsrer Wüste Wittenberg, am Sonntag Invocavit (l. März) 1517.

Euer Bruder Martin Luther Augustiner.

Quelle:
Hase, Carl Alfred – Luther-Briefe in Auswahl und Uebersetzung für die Gemeinde herausgegeben Leipzig, Druck und Verlag von Breitkopf und Härtel 1867