Nr. 622 (C. R. – 3196)
Vgl. 620. De La Renaudie, den Calvin als windigen Gesellen bezeichnet, hatte sich in Wirklichkeit den Verschwörern nicht aufgedrängt, sondern war von ihnen zum Führer gewählt worden. Prinz Louis de Conde, der Bruder des Königs von Navarra, war Mitwisser der Verschwörung. Die Vorstadt St. Germain des Pres war der Hauptsitz der Pariser Evangelischen und galt als ein kleines Genf.
Nochmals über die Verschwörung von Amboise.
Du musst mein langes Schweigen verzeihen, hochberühmter Mann; denn volle sechs Monate habe ich, mit einem Herzen voll Kummer, nur gerade die Briefe geschrieben, die ich durchaus schreiben musste. Der Grund meines Schmerzes war die unbedachte Leidenschaft unserer Glaubensgenossen, die glaubten, mit Gewalt die Freiheit erringen zu können, die auf ganz andere Art zu suchen war. Schon vor acht Monaten fragten sie mich um meine Meinung; ich glaubte, sie mit meiner Antwort zur Vernunft gebracht zu haben. Kurz darauf erfuhr ich, (aber doch schon zu spät, denn ich konnte nicht mehr helfen), dass sie meinen Rat verschmähten und in ihren Plänen fortfuhren. Auch von hier sind trotz meines Widerspruchs etwas sechzig abgereist; man hätte wirklich meinen können, sie seien behext. Zwar bringen sie zu ihrer Entschuldigung vor, sie hätten nicht unbedacht zu den Waffen gegriffen, weil es nämlich einer der Prinzen erlaubt hatte, der nach altem Brauch in Frankreich und auch nach den schriftlichen Statuten des Kronrates, da sein Bruder abwesend ist, den höchsten Rang mit Recht für sich beansprucht. Es war so vereinbart, er sollte das bei uns erschienene Bekenntnis dem König überreichen; wenn dann die Guisen Gewalt anwendeten oder seine Tat als Verbrechen darstellten, so solle eine möglichst große Zahl der Unsern zu seiner Verteidigung bereitstehen. Aber selbst dieser scheinbar so einleuchtende Vorschlag gefiel mir von Anfang an nicht, wenn man nicht ganz sicher sein konnte, kein Blut vergießen zu müssen; denn ich sagte, es sei nicht anders möglich, als dass aus einem Tropfen bald Ströme würden, die ganz Frankreich überfluteten. Übrigens ist die unklug begonnene Sache noch unkluger weitergeführt worden. Tatsächlich hat ein windiger Gesell, der sich frech aufgedrängt hatte, alle zu Grunde gerichtet durch seine Dummheit. Wenn es nun auch nicht anders gegangen ist als ichs geahnt hatte, so kann mich das nicht trösten, dass ich den Misserfolg voraussah; es tut mir nur noch weher, dass die armen Leute so blindlings in ihr offenbares, ihnen vorher angesagtes Verderben gestützt sind.
Wäre man ihnen nicht in den Weg getreten, so hätte sich die Unsern überall mit Gewalt der Kirchen bemächtigt; in der Dauphine ist es sogar dazu gekommen. Doch ebenso so schnell wichen sie wieder zurück; diejenigen dagegen, die unserm Rat gehorchten, harren noch aus und bereiten sich mutig zum Tode vor. Indessen zeigt sich nicht überall das gleiche Temperament. In einer berühmten Vorstadt von Paris ist unter großem Zulauf der Menge neulich ein Bild des Kardinals gehängt worden, und, als auf Befehl des Parlaments Gardisten gesandt wurden, der schmählichen Verhöhnung ein Ende zu machen, flammte ein insgeheim angelegtes Feuer auf und verzehrte den Galgen samt dem Bild. Auch fliegen Schmähschriften gegen die Guisen durchs Land und werden Tag für Tag in den größten Städten angeschlagen.
Das ist nur der Anfang der Leiden, soweit es Frankreich angeht. Uns in Genf prophezeit man Schlimmes; doch warten wir ruhig ab, was Gott beschließt. Die Gefahr steht uns vor Augen; denn ringsum werden starke Truppenmassen gerüstet. Weil wir aber wissen, dass wir in Gottes Schutz stehen, so halten wir Wache, ohne großen Lärm zu machen.
Die jungen Leute, die du mir empfohlen hast, sollen erfahren, wie viel du und auch die andern unserer Kollegen in Zürich bei uns gelten. Sie haben Quartier gefunden, das ihnen hoffentlich zusagt. Lebwohl, stets verehrter Bruder. Der Herr sei stets mit dir, er leite, behüte und segne dich samt deiner Frau, die ich vielmals grüßen lasse, unsern Brüdern und allen übrigen.
Genf, 11. Mai 1560.
Dein
Johannes Calvin.