Simons, Menno – Brief an die Brüder zu Franeker, Provinz Friesland, Niederland.

Die Liebe Gottes ist die wahre Weisheit.

„Also hat Gott die Welt geliebet, daß er seinen eingebornen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben,“ Joh. 3,16

Mit einem bekümmerten und beschwerten Herzen schreibe ich an euch, weil mir ein von fünf in gutem ansehen stehenden Brüdern unterzeichneter Brief überreicht wurde, aus welchem ich ersehe, daß unter einigen von euch in Betracht des Bannes ein heftiger Streit entstanden ist (möge Gott ihn zum Guten wenden). Wenn ich recht verstanden habe, so verlangt ein Theil, daß keine Uebertretung mit dem Bann gestraft werden soll ehe denn der Uebertreter dreimal ermahnt worden ist. Ich kann mit dieser Auffassung der Lehre nicht übereinstimmen, denn es gibt mehrere Sünden, z.B. Mord, Zauberei, Brandstiftung, Diebstahl und andere ähnliche Verbrechen, welche eine summarische Bestrafung von Seiten der Obrigkeit erfordern. Wollten wir solche Verbrecher vor der Bestrafung dreimal vermahnen, dann würde das süße Brod der Gemeinde vor der ganzen Welt in Sauerteig umgewandelt werden. Handelt daher mit Klugheit, und betrachtet Criminal-Angelegenheiten, besonders wenn sie schon vor die Oeffentlichkeit gekommen sind, nicht so, wie ihr andere fleischliche Werke beurtheilen würdet, welche von der Welt nicht als einer entehrenden Strafe werth erachten werden.

Der andere Theil hingegen begehrt, wenn ich die Sache nicht etwa mißverstehe, daß alle Uebertretungen mit dem Bann bestraft werden sollen, ohne alle vorhergehende Vermahnung; und daß alle Bußübungen außerhalb der Gemeinde stattfinden sollen. Diese Lehre ist, nach meinem geringen Verständniß, irrthümlich und wider das Wort Christi, Pauli und Jacobi. Denn Geiz, Stolz, Haß, Zwietracht, Verleumdung und Zank sind fleischliche Dinge, die zum Tode führen, wenn sie nicht bereut werden, Gal. 5,19,20; Jac. 3,16; dessenunerachtet werden sie nicht bestraft, ehe eine dreimalige Ermahnung der Bestrafung vorausgegangen, wie solches die heilige Schrift befiehlt. Ich wünsche, daß man in Betrachtugn ziehen möchte daß, gleichwie der Tod der Sünde Sold ist, so auch das bußfertige, bekehrte Herz Leben hervorbringt, wie wir solches in den Fällen Davids, Petri, des Schächers, Zachäi und anderer sehen können.

Ich entnehme ebenfalls, daß dieselben Brüder der Meinung sind, daß, so ein Bruder im Geheimen sich einer oder der anderen Uebertretung schuldig gemacht habe und in der Betrübniß seines Herzens zu einem Bruder erwähnen sollte, daß er wider Gott gesündigt, dieser Bruder es vor die Gemeind bringen sollte; und, falls er solches zu thun unterließe, er dann mit dem Uebertreter gleich gestraft werden müsse. Diese Meinung ist nicht allein ungereimt, sondern sie lautet auch in meinen Ohren als eine erschreckliche Maßregel, welche, wie klar zu ersehen, gegen alle Schrift und Liebe verstößt, Matth. 18; Jac. 5,19,20.

Der Bann wurde, in einer Hinsicht, der Buße halber eingeführt. Wie kann daher dort, wo Buße sichtbar ist, nämlich ein zerknirschtes, bekümmertes Herz, – wie kann in diesem Falle, der Bann über einen solchen Bruder ausgesprochen werden? O, meine Brüder, bringt diese Maßregeln nicht zur Ausführung, denn solches würde zur Sünde und nicht zur Reformation dienen.

Wollten wir auf diese Weise mit armen, reuevollen Sündern umgehen, deren Vergehen im Geheimen geschehen, wie viele würden wir durch Scham von der Buße abhalten. Gott verhüte, daß ich jemals mit solcher Lehre übereinstimmen, oder auf Grund derselben handeln sollte! Schließlich entnehme ich noch ihre Ansicht, welches die ist, daß, sollte irgend einer der Brüder in seiner Schwachheit sich vergangen haben, und hierauf sein Vergehen öffentlich bekennen, er als ein Weltkind angesehen werden sollte.

Dies ist wiederum ein ungereimter Grundsatz; denn, geschah das Vergehen aus Schwachheit, so lasset uns nicht zu anmaßend und streng mit solchen armen Seelen umgehen, damit wir selbst nicht etwa einen größeren Fehler begehen.

Nicht die Schwachen, sondern die verderbten Glieder werden abgeschnitten, damit sie nicht etwa andere verderben. Mit solchen unschriftmäßigen Lehren und Gebräuchen will ich nichts zu thun haben. Es ist mein Begehren, daß der Bann in einem aufrichtigen, väterlichen Geiste und treuer Liebe gebraucht werde, in Uebereinstimmung mit der Lehre Christi und seiner Apostel, wie ich dies in meinen Schriften seit mehr denn fünf Jahren so vielfältig erklärt habe.

Meine auserwählten Brüder, hütet euch vor Neuerungen, für welche ihr keine gewisse Schriftgründe habt. Seid nicht zu strenge noch auch zu gelinde. Lasset ein väterliches, mitleidvolles, kluges und verständiges Herz, und des Herrn heiliges Wort eure Triebfeder sein.

Folget meiner brüderlichen Ermahnung in dieser Hinsicht, welche einundzwanzig Jahre lang bethätig worden ist. Ich vermag euch keinen andern und bessern Rath zu ertheilen. Ich fühle mich gedrungen der vorerwähnten Ursache halber an euch zu schreiben. Mit aufrichtigem Herzen habe ich meinen geliebten Brüdern ohne irgend welche Parteilichkeit gedient, wie es uns in Christo geziemt. Ich wurde ersucht die Gründe für meine Lehre zu geben, welches zu thun ich jederzeit willig und bereit bin; nicht nur den Frommen, sondern der ganzen Welt, gleichwie des Herrn Wort mich zu thun befiehlt. Ich lehre und lebe nicht kraft des Glaubens anderer, sondern vermöge meines eigenen Glaubens. O, daß Alle mit mir einer Meinung wären! Wie väterlich, und mit welcher Besonnenheit würde der Bann dann gebraucht werden, ohne Anstoß zu geben; während derselbe jetzt zuweilen in so anstößiger Weise ausgeübt wird.

Ich bitte alle Frommen um Gotteswillen Frieden zu suchen. Und habt ihr einander im mindesten beleidigt, dann reiniget eure Herzen und seid versöhnt in Christo Jesu. Bedenkt, daß ihr des Herrn Volk seid, zum Frieden berufen, unter das Kreuz gestellt, von der Welt getrennt und bis in den Tod gehaßt. Seid ihr in demselben Geist getauft, dann erfüllt mein aufrichtiges Verlangen und seid mit mir einer Meinung in Christo. Erbauet, und brechet nicht nieder. Unterweiset einander in Liebe und verhindert Spaltungen, auf daß der göttliche Friede mit allen Kindern Gottes sei, und bei uns vollständig bleibe bis ins ewige Leben.

Möge der friedliche Geist Christi euch alle beschützen. Möget ihr heilsam in der Lehre, brünstig in der Liebe, und ohne Anstoß im Leben sein, zur Auferbauung seiner Gemeinde, und zum Preis seines heiligen Namens. Euer unwürdiger Bruder und Diener.

13. November A. D. 1555

Menno Simon

Quelle:
Die vollständigen Werke Menno Simon’s, 
übersetzt aus der Originalsprache, dem Holländischen.
Funk Ausgabe 1876