Calvin, Jean – An Farel in Neuchatel (469).

Auf Anregung zu einer neuen schweizerischen Bekenntnisschrift hatte Bullinger geantwortet, eine solche sei wohl möglich, wenn Calvin darauf verzichte, seine Prädestinationslehre darin wiederzugeben. Farel hatte Calvin das Gerücht mitgeteilt, zur Hochzeit des sächsischen Kronprinzen sollten Vertreter aller evangelischen Kirchen, auch der schweizerischen, eingeladen werden, und Karl V. wolle ins Kloster gehen. Über Calvins alten Gegner Marcourt vgl. 30.

Von abenteuerlichen Gerüchten und Geschichten.

Was Bullinger neuerdings von mir verlangt, hörst du aus seinem Brief, den ich mitschicke. Du siehst dann auch, was ich auf die Schnelle antworten muss, in der er meint, es sei gefährlich, die Prädestinationslehre zu erwähnen. Dass er glaubt, eine Zusammenkunft dürfe man nicht wagen, ist mir weder neu noch unerwartet; schon ehe ich schrieb, war ich auf diese Antwort gefasst. Doch siehst du zugleich daraus, wie kühl und zögernd er mir jetzt auf sein und der Zürcher Kirche Eintreten für uns Hoffnung gibt, das er doch anfangs so großartig versprochen hatte. Da ich aber die Sache nicht bloß im Vertrauen auf fremde Hilfe begonnen habe, so gebe ich sie auch nicht auf, möge man mich auch im Stich lassen. Ja, um dir die Wahrheit zu gestehen, jetzt habe ich freies Feld vor mir und dadurch wächst meine Kampfesfreudigkeit. Denn du weißt, wie sehr man bisher auf ihren Hochmut Rücksicht nehmen musste.

Von unsern Genfer Verhältnissen habe ich dir eben nichts Bestimmtes zu berichten. Denn eher als in zwei Wochen reist die Gesandtschaft zur Erneuerung des Burgrechts nicht ab. Über die jetzigen Verhandlungen hat dich unser lieber Roset ohne Zweifel aufgeklärt. Die sächsische Hochzeit kommt mir, obwohl ich noch nichts näheres davon gehört habe, doch wie eine recht fabelhafte Geschichte vor; aus demselben Mehl ist das bei Euch umgehende Gerücht gemacht, der Kaiser wolle Mönch werden. Um dies mit etwas ebenso Abenteuerlichem zu vergelten, will ich dir erzählen, dass Marcourt, von plötzlicher Begeisterung ergriffen, zum Dichter geworden ist, – um mich preisend zu besingen. Ich weiß nicht, welche Händel er jetzt wieder, wie schon öfter, mit jener Bande bekommen hat. Kurz, er wollte sich von ihnen scheiden und versuchte, sich bei mir durch ein Distichon wieder in Gunst zu bringen. Größer als Herkules nennt er mich, weil ich über zwei Ungeheuer den Sieg davon getragen habe; dann nennt er die beiden Ungeheuer, den Löwen und den Drachen, (er gibt nämlich gleich zu seinen Worten einen Kommentar) und was Augustin von der Kirche schreibt, sie trete Löwen und Drachen nieder, weil sie Tyrannen und Ketzern tapfer widerstehe, das wendet unser Dichter nun auf mich an, indem er sagt, mit Servet sei die Ketzerei, mit Perrin die Wut der Verfolger überwunden. Es ist gut, dass er gerade bei zunehmendem Monde so von mir zu reden begann, so kann ich doch wenigstens etwa zwanzig Tage lang solches Lob genießen. Unser Humbert ist jetzt angekommen, später zwar, als ich gewollt hatte, doch früh genug, da er seine Reise doch jetzt hinter sich hat. Denn dass er nach Neuchatel zurückkehre, ist jetzt nicht tunlich, und ich habe es ihm bereits gesagt, ich werde es nicht zugeben. Lebwohl, bester, trefflichster Bruder. Der Herr erhalte dich lange gesund und leite dich auch fernerhin mit seinem Geiste. Meine Kollegen und sehr viele Freunde lassen dich grüßen, die ich nicht mit Namen aufzähle, um nicht noch die ganze zweite Seite voll schreiben zu müssen. Sage auch in Neuchatel viele Grüße, dem Statthalter, den Ratsherrn und den Kollegen. Nochmals lebwohl.

Genf, 23. November 1555.
Dein
Johannes Calvin.