Nr. 420 (C. R. – 2032)
Pfarrer Toussaint hatte sich bei Calvin verteidigt: obwohl er gewünscht hätte, Servet wäre das Leben und damit Gelegenheit zur Buße gelassen worden, so sei er doch bei weitem nicht dessen Anhänger; in Montbeliard sei es auch nicht deswegen zu Streitigkeiten unter den Pfarrern gekommen, sondern wegen der Sakramentsfrage; der anticalvinische Diakon war Gerard Guillemin; dagegen ist ungewiss, wer der mit N. bezeichnete Theologe ist.
Über mancherlei Meinungsverschiedenheiten.
Ich bin, lieber Bruder, nicht so verdrießlicher Natur, dass ichs nicht auch einem Freunde leicht verzeihen kann, wenn er mir ein ganzes Jahr nicht schreibt; weil ich in dieser Freundespflicht selbst nicht gar eifrig bin, oder doch wenigstens, während ich mich mit Fremden abgeben muss, zuweilen den besten Freunden nicht leisten kann, was ich ihnen schulde. So genieße ich denn ganz gern die gegenseitige Erlaubnis zum Nichtschreiben. Hätte mich also nicht ein Verdacht in andrer Beziehung gequält, so hätte ichs ruhig hingenommen, keinen Brief von dir zu erhalten. Übrigens gab es manches, was mich ärgerte, das will ich nicht verschweigen. Über Eure Zwistigkeiten hatte keiner deiner Brüder mir persönlich geschrieben; von andern wurden Klagen darüber vor mich gebracht. Ich habe mich auch nicht weiter ins Mittel gelegt, als dass ich durch dieselben Boten anriet, was zu Frieden und Eintracht dienen konnte. Meine Ratschläge waren sicherlich der Art, dass darin ebenso wohl unserer Freundschaft Rechnung getragen, als Christo und der Kirche ein treuer Dienst geleistet war. Deshalb brauche ich sie weder zu bereuen, noch darfst du mich deswegen schelten. Frage doch bitte nach; es ist nichts von mir ausgegangen, was du nicht durchaus billigen müsstest. Wäre ich doch nur mit deinen Kollegen vertrauter gewesen! Die Sache wäre, glaube ich, sofort erledigt gewesen. Indessen las ich deinen Brief an Farel, aus dem ich merkte, dass du gegen mich aufgebracht bist, oder doch von schlimmem Verdacht angesteckt. Er war voll Zorn und Ärger über diejenigen, die du, wie du jetzt schreibst, von mir unterstützt wähntest. Weshalb hast du denn, wenn du meintest, ich hätte unsere Freundschaft verletzt, dich nicht gleich bei mir beklagt? Doch das habe ich alles still für mich behalten und ließ nicht das geringste Zeichen von Beleidigtsein merken. Nur tat es mir weh, dass du dich unserer brüderlichen Gemeinschaft entzogest. Was deine Meinung über die Duldung von Ketzern ist, erfuhr ich von verschiedener Seite. Du urteilst so, weil du ruhig im Schatten sitzest. Hättest du selbst ernstlich kämpfen müssen, du hättest vielleicht deine Ansicht geändert. Doch wissen es die Freunde, wie ruhig und freundlich ich es damals entschuldigte, dass du uns wenig gnädig warest. Wiewohl N. heute anderer Meinung ist als wir, so hat er doch, weil er sonst ein aufrichtiger Diener Christi, von wirklich warmer Frömmigkeit beseelt, und ein rechtschaffener, maßvoller Mann ist, nicht aufgehört, unser Freund zu sein. Ich werde ihm also deswegen nicht lästig fallen. Dass du aber, nachdem du unsere Rechtfertigung gelesen, – wenn du nämlich geruht hast, sie zur Hand zu nehmen, – in deinem Urteil nicht milder geworden bist, wundert mich etwas.
Freilich, dass du ein Schüler Servets seiest, wer hat je davon nur geträumt? Alles andere wäre mir glaublicher, als dass du von solchem Wahnsinn ergriffen wärest. Ich glaube gar nicht, dass dein Ruf in dieser Hinsicht nur durch ein Wörtlein angetastet war. Wer sollte es dir aber nicht auch schon als Fehler anrechnen, dass du deinen Diakon nicht nur mir und der reinen Lehre widersprechen, sondern offen die wahnwitzigen Ideen Servets lärmend verteidigen ließest? Ja, um es offen zu gestehen, es wurde mir auch schon gesagt, über die ewige Prädestination Gottes denkest du nicht richtig. Wenn ich auch fürchtete, es sei etwas daran, so habe ich doch stets von dem Gerede weniger geglaubt, als ich zu meinem bittern Schmerz hören musste. Obschon ich nun so glaubte, es geschehe mir von dir in mancherlei Weise Unrecht, so habe ich doch keinen Lärm gemacht; vielmehr zog ich es vor, in stillem Gram diese Schmach hinunterzuwürgen, als das Band unserer alten Freundschaft oder amtsbrüderlichen Gemeinschaft zu zerreißen.
Und nun bitte ich dich, lass mich wenigstens schweigen [dir gegenüber], da ich sonst schon ebenso schmählich wie feindselig geplagt werde. Wüsstest du nur ein Zehntel von dem, wie ich mit furchtbaren Beschuldigungen geschmäht werde, so beweintest du in deiner Menschlichkeit mein Elend, gegen das ich ganz abgehärtet bin. Von allen Seiten bellen mich die Hunde an. Überall schilt man mich einen Ketzer. Was sich an Verleumdung nur erdenken lässt, wird auf mich gewälzt. Schließlich befehden mich die Neider und Hasser aus unserm Lager noch feindseliger, als die offenen Feinde aus dem Papsttum. Das habe ich aber weder um die Kirche Gottes, noch um sie verdient, dass sie mir so ungerechten Lohn auszahlen müssten. Dass nun von Euch her noch mehr dazu käme, das habe ich nicht befürchtet. Deinen Diakon meine ich, den du durch deine Nachsicht doch eigentlich nicht hättest unterstützen dürfen, da er ebenso gottlos gegen die reine Religion sich auflehnte, als falsch einen Unschuldigen verlästerte. Und doch, ich verlange nicht mehr, als dass du mir erlaubst, seine Schmähung einfach still hinzunehmen [ohne antworten zu müssen]. Wie treu und makellos du Christo gedient, wie tapfer du dein Amt verwaltet, wie standhaft du Leiden und Kämpfe, mit denen dich der Herr heimsuchte, ertragen hast, dafür bin ich dir Zeuge, und ich vertraue auf dich, dass du auch zukünftig dir stets gleich bleibst. So wünsche ich nichts mehr, als dass das Wohlwollen zwischen uns gewahrt bleibe und wir umso munterer, ehrlicher und eifriger fortfahren, uns gegenseitig zu helfen. Lebwohl, trefflicher Mann und verehrter Bruder. Der Herr sei stets mit dir, er leite dich und segne dein Wirken. Meine Kollegen lassen dich vielmals grüßen.
Genf, 15. Oktober 1554
Dein
Johannes Calvin.