Nach Zürich hatten sich seit Beginn der Verfolgung eine ganze Reihe Engländer, meistens Studenten der Theologie, gewendet. Auch Thomas Lever, bisher in Frankfurt a. M., reiste dorthin.
Trost und Mahnung.
Obschon ichs für beinahe überflüssig hielt, da unser bester Bruder, Herr Lever, zu Euch reist, in einem Brief zu schreiben, was er Euch selbst mündlich viel besser und ausführlicher sagen kann, so wollte ich doch lieber auf seine Bitte hin, wenn auch unnötiger Weise, an Euch schreiben, als meine Freundespflicht versäumen. Zweierlei möchte ich in Kürze versuchen: Euern Schmerz über die Verbannung mit einigem Troste zu lindern und Euch zu ermuntern im weitern Studium der reinen Lehre, dem Ihr Euch widmet. Traurig ist es schon an sich, aus der Heimat verbannt zu sein, ein bitterer Schmerz ist das Unglück Eures Vaterlands, aber der Gipfel des Unglücks ist die klägliche Zerstörung der Kirche Christi, besonders, da kein Ende abzusehen ist. Kindern Gottes aber, die sich die Erben der Welt wissen, ist die Verbannung nicht gar so hart; ja es ist sogar nützlich, sich durch Erfahrung an die Lehre zu gewöhnen, Fremdlinge auf Erden zu sein. Als vor kurzem England allen, die kamen, ein Asyl war, da hat Euch der Herr durch ihr Beispiel ermahnt, es auch Euch nicht verdrießen zu lassen, dasselbe zu erfahren. Die Ursache der Verbannung, aus der man sonst etwa einige Linderung schöpft, verdoppelt Euer Leid gewissermaßen, weil Christus vertrieben ist und eine teuflische Tyrannei in Euerm Vaterlande wütet, und die Wölfe den Rachen aufreißen gegen zitternde Schäflein. Aber Ihr wisst, das ist nichts neues, dass Christus unter dem Kreuze regiert, um sich und den Seinen aus der Schmach der Welt herrlichen Triumph zu erwerben, und so ist es Eure Pflicht, in dieser Prüfungszeit Euer Herz zu sammeln zur Standhaftigkeit, bis er seine Hand ausreckt vom Himmel her. Gewiss wird er schließlich die Seinen, deren Zahl nicht gering ist, gnädig ansehen und den Übermut der Feinde dämpfen, die nur deshalb so hochmütig sind, damit die Wut nicht lange erträglich sei. Wir müssen uns indessen eifrig mühen, dass er unser Seufzen erhöre. Nun glaube ich, ich brauche Euch nicht mit vielen Worten zu mahnen, dass Ihr in diesem heiligen Bestreben eifrig fortfahrt. Eins wird genügen, Euch anzuspornen, wenn ich Euch sage, zu welchem Zweck Euch Gott in Eure jetzige Lage gebracht hat. Denn ohne Zweifel will der Herr in seinem wunderbaren Rat, dass Ihr in Eurem Studium der heiligen Lehre im Dunkel geübt werdet, damit er Euch dann bald ans Licht und in ernstlichen Kriegsdienst führen kann. Strebt also ebenso eifrig danach, Euer Wissen zu vervollkommnen, wie wenn in Eurem Vaterland alles in bester Ordnung wäre und man sehnlich Eure Mitarbeit erwartete. Denn obgleich jetzt den Dienern Christi die Tür verschlossen ist, so wird man doch in Bälde Euch brauchen, hoffe ich. In diesem Bestreben wird Euch ein zuverlässiger, guter Helfer sein unser lieber Bruder und Kollege, Herr Lever, dessen Gelehrsamkeit und Frömmigkeit Euch ja längst bekannt ist, uns aber für so bewährt gilt, dass ich Euch von Herzen Glück wünsche dazu, dass Ihr nun in Eurem Hause ein solches Beispiel zur Nachahmung bekommt. Lebtwohl, von Herzen geliebte Brüder. Der Herr behüte und leite Euch mit seinem Geiste und segne Eure Studien. Amen.
Genf, 13. Juni 1554.
Euer
Johannes Calvin.