Jans uyt den Briel, Anneken – Brief an David Joris

Der Herr, der in der Ewigkeit wohnt, dessen Augen über Alles erhoben sind, dessen Thron unantastbar, dessen Ruhm unbegreiflich ist, dem das Heer der Engel mit Zittern dient, wie viel mehr wir; der in Wind und Feuer mächtig ist, dessen Wort wahrhaftig und dessen Rege sicher, dessen Befehle stark und dessen Gestalt furchtbar ist, dessen Anblick die Thäler austrocknet und dessen Zorn die Berge weichen läßt, dessen Zukunft wir mit Verlangen erwarten, – der möge in Dir vermehren und vollbringen, was er in Dir begonnen hat, zu seinem Preise. Ich danke meinem Vater und rühme meinen Heiland wegen der Gabe seiner Gnade in Deiner Weisheit, die von oben kommt durch einen wunderlichen Geist und Rathschluß Gottes, zur Ehre und zum Ruhm seines allerheiligsten Namens, und zur Säuberung und Reinigung seines Volkes.

Gebenedeit mögest Du dem Herrn sein, mein Bruder, deine Hände mögen nicht aufhören und nicht müde werden, um so fortzufahren wie Du begonnen hast zu arbeiten in dem Bau des Herrn. Sei Du die Wanne in der Hand des Herrn; bereite dem Herrn ein angenehmes Volk, damit er sich beeile zu eseinem Tempel zu kommen; denn Alles was befleckt ist, ist ihm ein Gräuel, wie geschrieben stehet: Verflucht ist der Mensch, der dem Herrn ein beflecktes Opfer opfert. Darum, o du ritterlicher Führer Israels, Du Geliebter des Herrn, besorge eifrig Deinen Weinberg, beschneide seine Schößlinge, und thue weg was das Wachsthum verhindert, und wodurch er dem Herrn mißfällig werden kann. Der Herr wird Deine Kraft vermehren und Dir noch mehr Weisheit geben; denn er hat Lust an Dir, den er zu einem Wächter in seinem Hause bestellt hat und zu einem Hirten seiner Heerde, dem Frommsten unter Denen, die angeschrieben sind, dem Vornehmsten unter den Dreien um des Königs LLust zu sättigen, wie Du mit Deinem Blute bewiesen hast, durch die ernstliche Liebe zu Deinem Gott, durch welchen Du viele Gaben un d Gunst bei dem Könige erlangt hast, wie es sich täglich zeigt.

Denn wie der Regen das Erdreich und der Thau die Blumen des Feldes erfrischt und sie den Menschen die Süssigkeit ihres Duftes geben lässt: so gibt Deine ERmahnung, Lehre und Unterweisung ebenfalls Erfrischung und Nahrung, wenn die Leser auch von kleinem Verstande sind, indem ist ihnen den Weg der vollkommenen Weisheit Gottes zeigt, durch die sie aufwachsen zu einem vollkommenen Mann in Christo Jesu unserm Herrn. O wie viel Schönes und Gutes hast Du für die Andern; die so sind, die nehmen immer mehr und mehr zu in den Tugenden, so lange bis sie zu Gott selber kommen und öffentlich in Zion bei ihm gesehen werden, wonach wir mit Seufzen verlangen, daß wir das Ende unseres Glaubens sehen und beschauen. O ich freue mich, daß das Kreuz offenbart ist und daß der Streit anhebt, und hoffe, ob der Herr mich erhören will und mich von diesem irdischen Tabernakel meiner Wohnung erlösen, um das Trauerkleid abzulegen, damit ich den herrlichen Triumphschmuck meines Herrn empfangen und zum Beschauen Gottes kommen möge.

Nun, ich will wie auch andere seine Zukunft geduldig erwarten; aber es ist beschwerlich, daß er noch verzieht; ich bin ihm wol noch nicht behaglich und rein genug. Deßhalb arbeite ich Tag und NAcht, um mich vor dem Herrn, meinem Gott, rein zu erweisen und meine Hände unbefleckt vor ihm aufzuheben; auch er selbst greift mich bei dem Haar der Augenbraunen, als Einer der mich liebt, damit ich nicht mit Gefahr schlafen und ruhen möge. Fürwahr, die Erwägung seiner Gnade und Freundlichkeit gegen uns macht das Verlangen nach ihm übermäßig groß. Freilich haben wir große Lust an seinem Gesetze, durch welches uns das Leben wohl gefallen würde, um die Anderen zu belehren und den Menschen bekannt zu machen, wer er ist und wie achtsam man leben müsse um ihn nicht zu erzürnen; aber wir müssen es lassen und unsern Mund mit Schweigen füllen.

Und siehe, wir wohnen ja immer in der Mitte unserer Feinde, wie er sagt, das diese Häuser von Verdruß und Belästigung der Feinde nicht frei sind. Also geht es mit den Aufrichtigen, die doch nimmermehr ohne Furcht und Zittern im Anschauen Gottes wandeln; denn sie merken und bekennen die Hoheit ihrer Berufung und wie heilig sie sein und wie scharf sie sich vor aller Befleckung hüten müssen, und sie wollen nichts Unreines leiden, und dennoch wird es ihnen häufig zu bange gemacht.

Aber von all dem abgesehen, so ist unser Herz, Seele und Geist an der Stelle, von wo aus wir unsern König und Erlöser erwarten; darum wollen wir nicht aufhören uns zu reinigen, so wie Du in allen Deinen Briefen ermahnest. Ja wahrlich wahrlich, es beginnt zu nahen; ich habe Acht auf die Erscheinungen; seine Zukunft zeigt sich sehr klar, darum lasst uns zusehen, daß wir uns in Allem rein erweisen.

O Du Geheiligter des Herrn, handle männlich, laß Dich nicht irre machen; es ist noch um ein Kleines zu thun, bis er kommen wird um einen Beweis seiner Herrlichkeit in uns darzustellen, zu einem Urtheil über die Welt, und zu seinem und unserem Ruhm.

Quelle:
Zeitschrift für die historische Theologie In Verbindung mit der von C. F. Illgen gegründeten historisch-theologischen Gesellschaft zu Leipzig Herausgegeben von Dr. theol. Christian Wilhelm Riedner in Berlin Dreiunddreißigster Band Gotha Friedr. Andr. Perthes 1863
I. Rippold: David Joris von Delft Anneken Jans uyt den Briel und ihr Brief an David Joris (1536)