An Herrn Thomas Tescher, Prediger in Milau, meinen im Herrn vielgeliebten Bruder.
Gnad und Friede im Herrn. In Betreff dessen, was Ihr mir, mein lieber Mann Gottes, von jenen gottlosen Verächtern geschrieben habet, bin ich dieser Meinung: gleichwie niemand zur Annehmung des Evangeliums zu zwingen ist, so darf doch kein Magistrat dulden, daß sich jemand freventliche Lästerungen erlaube; sondern er lade sie vor sich, mache ihnen Vorstellungen, und höre ihre Gründe an. Wissen sie keine anzugeben, so lege man ihnen ein gänzliches Stillschweigen auf, damit nicht etwa der Saamen der Unordnungen unterhalten werde. Denn, der widersprechen will, der thu es öffentlich; Privatdisputen muß der Magistrat mit allen seinem Ansehen vorbeugen. So machen auch wirs, und rathen es andern. Hieraus werdet Ihr von selbst abnehmen, daß die Obrigkeit in alle Wege nicht zugeben darf, daß sie sich so was, wie Ihr schreibet, in der Gemeine heraus nehmen. Denn dieses ist lichtscheuer Schlangen Gezisch. Fordert sie also heraus ans Tagelicht, damit sie entweder überwinden, oder überwunden werden. Da übrigens die Gebothstafeln und der Catechismus auch bürgerliche und häusliche Tugenden lehren, und diese am öftesten der Stoff der Predigten seyn sollten, so muß man sie zwingen denselben beyzuwohnen, damit sie die Pflichten eines Unterthans und des gesellschaftlichen Lebens erlernen, sie mögen dem Evangelium Beyfall geben oder nicht; auf daß sie nicht andern zum Aergerniß sind, da sie sich über alle politischen Gesetze hinweg setzen. Denn wenn sie in einer bürgerlichen Gesellschaft leben wollen, so sollen sie auch die Gesetze derselben lernen, und ihnen auch wider ihren Willen gehorchen; und dieses nicht nur ihrer Haabe, sondern auch ihrer Kinder und Familie wegen. Das übrige wird Euch Christus lehren, der Euch erhalte.
Den 26ten August 1519.
Euer
Martin Luther
Quelle:
D. Martin Luthers bisher grossentheils ungedruckte Briefe. Nach der Sammlung den Hrn. D. Gottf. Schütze, aus dem Latein übersetzt. Erster Band. Leipzig, in Kommission bey Christian Friderich Wappler. 1784.