Nr. 612 (C. R. – 3133)
Vgl. 585.
Wider die Weltklugheit.
Da ich aus deinem Brief, edler, erlauchter Herr, merke, dass es dir gefallen hat, wenn ich dir schrieb, so sehe ich darin eine Verpflichtung, dich auch fernerhin eifrig zu ermahnen, und es macht mir auch Mut, diese Pflicht in allem Freimut auszuüben. Darum dreht sich alles, worin ich mit deiner Exzellenz uneins bin, dass du es nicht für deine Aufgabe hältst, etwas zu versuchen und zu tun zur Reinigung der polnischen Kirche vom Kote des Papsttums. Denn so gerecht bist du, dass du nicht nur unsern Eifer in der Reformation des Glaubens billigst, sondern auch anerkennst, dass wir das Amt haben, laut dazu zu rufen; aber dass auch für dich und die andern Vornehmen Polens, denen obliegt, für die Ruhe des Staatswesens zu sorgen, genau dieselbe Pflicht besteht, was willst du nicht gelten lassen. Ich antworte: Keine kleinere Strafe ist den tauben Hörern angedroht als den stummen Propheten; denn Gott will nicht, dass wir mit unserm Rufen umsonst die Luft erschüttern, sondern dass wir wirklich die Ohren treffen und die Herzen tief erfassen. Auch müssen Eure Hände ebenso bereit sein zu handeln, als nach Gottes Gebot unsere Zunge willig sein muss zu lehren und ermahnen. Denn wenn du behauptest, die Staatslenker müssten vor allen Dingen auf Ruhe und Frieden schauen, so irrst du dich, wenn du das für ihre einzige Pflicht hältst. Höre vielmehr auf Pauli Wort, der da sagt, Könige und Obrigkeiten erfüllten dann ihre Pflicht recht, wenn sie uns die Möglichkeit gäben, ein ruhiges und stilles Leben zu führen in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit (1. Tim. 2, 3). Was Gott hier mit heiligem Bande verbunden hat, dürfen wir doch nicht voneinander trennen. Freilich gebe ich dir gar nicht zu, dass durch unsere Tätigkeit die Staatsordnung vernichtet und der Friede gestört werde. Es ist auch hart, wenn du schreibst, so viele Wirren, die bei Euch und auswärts alle Welt aufregten, hätten ihren Grund in der Religion. Denn wenn auch viele freche, ehrgeizige Menschen einen Anlass zum Zank daraus machen, und andere ihr Trotz und ihre Gottlosigkeit zum Schwerte greifen lässt, so ist es doch ganz falsch, die Schuld auf die göttliche Lehre schieben zu wollen; auch lässt sich Gott nicht ungestraft solche Schmach antun, dass man ihn für einen Unruhestifter hält, wenn er die Menschen mit sich versöhnt und sie zur Eintracht untereinander einladet. Aber selbst wenn Himmel und Erde durcheinander gerieten, müsste uns die reine Verehrung Gottes und seine hochheilige Wahrheit, in der unsere ewige Seligkeit liegt, mehr wert sein als hundert Welten. Dass viele undankbare, böse Menschen Lärm schlagen und mit frevler Wut gegen sie anstürmen, das zu verhindern ist unsre Sache nicht. Aber wird Gott deshalb schweigen, weil die Mehrheit sich leidenschaftlich seiner Rede widersetzt? Dass du Gott bittest, er möge dich in diesem Dunkel leiten und mit seinem Geiste erleuchten, ist löblich, und es ist auch ganz wahr, was du dazusetzest: wo der Herr das Haus nicht baue, da werden aller Menschen Bemühungen umsonst sein [Psalm 127, 1]. Aber der gnädige Gott verlangt nicht, dass die zum Werke Berufenen träge liegen bleiben. Denn wenn du unsere Zuversicht spöttisch belächelst, als ob wir Gottes Werk für uns in Anspruch nähmen, indem wir versuchen, der Menschen Herzen zu bekehren, die doch in seiner Macht und Hand stünden, so wird solcher Hohn keinen tapferen Verkündiger des Evangeliums rühren; denn in jedem wurzelt tief und fest der Spruch: wir sind Gott ein guter Geruch, diesen zum Tode, jenen zum Leben [2. Kor. 2, 15. 16]. Das freilich will ich zugeben: wir dürfen nicht meinen, alle Welt von dem Glauben, den wir verteidigen, überzeugen zu können; aber der Unglaube und die Verstocktheit der Welt hat die Apostel nicht abgehalten, fortzufahren auf dem Wege ihrer Berufung. Sie hielten fest, was einer von ihnen sagt: eine fürchterliche Strafe sei bestimmt für die Verächter, die die angebotene Gnade verschmähten (Hebr. 10, 29). Wenn du zum Spaß sagst, wer den Himmel suche und darüber die Erde außer acht lasse, müsse fürchten, beides miteinander zu verlieren, so sei es ferne von mir, deiner Exzellenz mehr zu glauben als dem Sohne Gottes, der uns sagt: Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes, so wird Euch alles andere zufallen (Matth. 6, 33). Du behauptest, du wolltest Eure Landsleute nicht in Uneinigkeit stürzen. Sie sind ja aber schon uneins und bekennen offen ihren Zwist. Da bleibt dir kein anderes Mittel, als dass du suchest, sie zu versöhnen, und das kann nicht geschehen, ohne dass die Frage recht gründlich untersucht wird. Schließlich gehst du noch weiter und beschuldigst unsere Sache (mit Verlaub zu sagen) ebenso ungerecht wie gehässig. Die Verteidigung gegen diese Vorwürfe wäre sehr leicht und nahe liegend, wenn deine Hoheit ihr unparteiisch Gehör schenken wollte. Denn weder haben wir je versucht, Zucht und Sitte umzustoßen, noch uns bemüht, die staatliche Ordnung aufzulösen. Dass unsere Pläne und Interessen durchaus auf anderes abzielen, ist durch viele Erfahrungstatsachen klar bewiesen. Sagst du, dass daraus Sekten und Spaltungen entstanden seien, so wird das Christo, unserm einzigen Richter, auch vor, da doch auch kurze Zeit nach der Ausbreitung des Evangeliums plötzlich viele wunderliche Irrlehren auftauchten. Du tadelst uns wegen unserer Schriften voll Bitterkeit, unserer heftigen Kämpfe, unserer sich widersprechenden Meinungen. Es wäre gewiss zu wünschen, dass alle ein Herz wären und sich wie mit einer Zunge ausdrückten. Aber wir kannst du verlangen, dass menschlichen Zwistes und Streites wegen Gottes Wahrheit unterdrückt werde? Ich musste auch mit vielen harten Köpfen kämpfen und stehe auch jetzt noch im selben Streit. Wäre es erlaubt, die fromme, gesunde Lehre unverteidigt zu lassen, – ich möchte auch gerne Ruhe haben; aber wenn man ankämpft gegen das Heil der Menschen und Gottes Ehre, so ists ungerecht, mir meine Gegenwehr zum Vorwurf zu machen. Muss man jedem Kampfe ausweichen so muss Christus, der ein Stein des Anstoßes ist, sich selbst davon machen. Es ist ganz gut, vorsichtig die Verhältnisse von Ort und Zeit in Betracht zu ziehen, nur darf nicht menschliche Schlauheit an Stelle der Vorsicht treten. Freilich, mag Himmel und Erde durcheinander geraten, Christo darf das Tor nie verschlossen werden, dass er nicht mit dem heiligen Zepter des Evangeliums zu uns dringen könnte. Es wundert mich sehr, wie du zugibst, es sei die Pflicht der Fürsten, diesem höchsten König die Tore zu öffnen, und dann gleich darauf sagst, was dem diametral entgegensteht. Meine scharfe Sprache könnte dich vielleicht verletzen, wenn deine Hoheit mir nicht verziehe, weil ich so reden muss. Entweder musste ich ganz schweigen oder ehrlich schreiben, wie ichs meine; denn ich will nichts anderes, als deiner Hoheit nützen. Du sagst, du haltest es nicht für geraten, etwas zu tun zur Abschaffung des Aberglaubens und zur Einführung der wahren Verehrung Gottes; glaubst du denn, du seiest klüger als Gott? Zwar wundert es mich eigentlich nicht, dass ein sehr kluger Mensch, der in den wichtigsten Dingen der Welt große Erfahrung hat, so denkt und redet; denn es gibt keine schlimmere Pest als die menschliche Vernunft; die hat dich sicherlich übers Ziel hinaus schießen lassen, so dass du unbedenklich deine Pläne dem Plan Gottes entgegenstellst. Wenn du einwendest, Gott offenbare uns vielleicht seinen Willen noch gar nicht, so verstehe ich nicht, was das bedeuten soll, da doch Euch die Klarheit des Evangeliums schon so umleuchtet hat, dass Ihr nicht mehr am hellen Tag im Dunkeln tappen dürft. Doch ich habe die Überzeugung, deine wirkliche Herzensmeinung sei ganz anders, als dein Brief lautet. Hätte deine Exzellenz nur einen andern Schreiber gebraucht, der wirklich genau zu Papier gebracht hätte, was dir gut schien, ihm anzugeben; denn soviel ich sehe, hat dieser Sekretär mehr seine Meinung als die deinige zum Ausdruck gebracht. So muss ich einiges weglassen, damit es nicht scheint, ich überschreite das Maß des Geziemenden, wenn ich, allen höfischen Anstand außer acht lassend, auf seine vielen höhnischen Späße die gebührende Antwort geben wollte. Freilich schmeicheln kann ich nicht und es stünde auch meinem Amte sehr schlecht an; aber obwohl ich gelernt habe, auch die gröbsten Gesellen aus dem niedersten Pöbel ruhig zu hören, so bin ich doch nicht so ungeschlacht und zänkisch, dass ich so scharf vorgehen möchte, ohne Rücksicht auf deine erhabene Würde. Doch wird mir deine Exzellenz verzeihen, wenn es mich erzürnt, den heiligen Namen Gottes und damit allen religiösen Eifer so scherzhaft und spöttisch behandelt zu sehen. Ich verlasse mich darauf, dass Gott, unser Vater, mir verleihen wird, seinem Auftrag gemäß meine Pflicht treu und standhaft zu erfüllen und allem Beifall der Welt und allen schönen Redensarten den Abschied zu geben. Ihn bitte ich auch, er möge deine Exzellenz, erlauchter Herr, gesund erhalten, mit seinem Geiste leiten und reich machen an allem Segen. Amen.
15. November 1559.
Dein
Johannes Calvin.