Luther, Martin – An Johann Reuchlin (14.12.1518)

Der Herr mit euch, mein tapfrer Held! Ich preise die Barmherzigkeit Gottes, die in euch ist, mein Hochgelehrter und Hochwerther Herr, dadurch ihr endlich die Mäuler derer zu stopfen vermocht, die unbillig wider euch geredet haben. Gewiß ihr seid ein Werkzeug des göttlichen Rathschlusses, wenn euch selbst unbewußt, doch Allen, welche die reine Gottesgelehrtheit lieben, sehnlichst erwünscht: so ganz anders hatte Gott es vor, als was durch euch zu geschehen das Ansehen hatte. Ich war einer von denen, die mit euch zu sein begehrten, aber die Gelegenheit fand sich nicht. Doch bin ich allezeit mit meinem Wunsch und Gebet an eurer Seite gewesen; was aber damals dem Gesellen nicht beschieden war, das ist dem Nachfolger aufs reichlichste gediehen.

Nun setzen die Zähne des Behemoth an mich, ob sie etwa die Schande, die sie an euch erfahren, einigermaßen an mir auswischen möchten. Zwar begegne ich ihnen mit viel schwächerem Witz und Gelehrsamkeit, aber doch mit eben so großer Freudigkeit und Muth. Sie wollen sich mit mir nicht einlassen, mir nicht stehen noch antworten: nur mit Macht und Gewalt wollen sie wider mich fahren. Aber Christus lebt und ich kann nichts verlieren, da ich nichts zu eigen habe. Auch sind die Hörner dieser Stiere an eurem Muth nicht wenig abgelaufen. Denn das hat Gott durch euch gethan, daß der Herr der Sophisten endlich hat lernen müssen der rechten Gottesgelehrtheit sanfter und glimpflicher zu begegnen, so daß Deutschland durch die Lehre der heiligen Schrift, die ach soviel hundert Jahre erdrückt und erstickt gewesen, endlich einmal wieder zu athmen angefangen hat. –

Aber bin ich nicht allzu kühn, daß ich mit euch so vertraut und ohne Umstände und Ehren rede? Das macht mein Herz, das euch ganz ergeben ist, um eurer selbst und um eurer Bücher willen. Dazu kommt, was mich endlich zum schreiben bewogen hat, daß Philipp Melanchthon, dieser trefflichste, unvergleichliche Mann und doch mein Freund ja Herzensfreund, mich dazu gefordert und gut gesagt hat, ihr würdet es nicht übel nehmen, sondern gern sehen, auch wenn es nichts Schickliches wäre. Ihm rechnet es zu, wenn ihr überhaupt anders rechnen wollt, als daß ich euch in diesem Brief meine herzliche Aufrichtigkeit an den Tag legen wollte. Gehabt euch wohl im Herrn mein allverehrtester Meister.

Wittenberg am 14. December 1518.

Martin Luther, Augustiner.

Quelle:
Hase, Carl Alfred – Luther-Briefe in Auswahl und Uebersetzung für die Gemeinde herausgegeben Leipzig, Druck und Verlag von Breitkopf und Härtel 1867