Eure lange Schrift habe ich empfangen, bin lustig und fröhlich darüber worden: Ich bitte euch, ihr wollet oft und viel an mich schreiben.
Ich vernehme und merke wohl, was euch bewegt und anficht des Glaubens halben, weil euch noch im Sinne liegt St. Augustini Meinung, der so fern kommen ist, daß er vermeinet, daß die Gerechtigkeit der Vernunft vor Gott nicht gerechnet werde zur Gerechtigkeit. Diese Meinung ist recht.
Weiter ist seine Meinung, daß wir für gerecht gerechnet werden, des Gesetzes Erfüllung halben, die der heil. Geist in uns wirket. Also gedenkt ihr auch, daß der Mensch durch den Glauben in so fern gerecht werde, weil wir durch den Glauben den heil. Geist empfahen; daß wir also gerecht seyen durch Erfüllung des Gesetzes, aus Hülfe des heil. Geistes.
Dieser Verstand setzt und gründet die Erfüllung auf unsere Reinigkeit oder Vollkommenheit. Die Erneuerung, so der heil. Geist in uns wirket, soll zwar dem Glauben folgen, wir werden aber dadurch vor Gott nicht gerecht. Darum sehet gar nicht auf die Erneuerung noch auf’s Gesetz, sondern habt nur Achtung auf die Verheißung, und halt’s für gewiß, daß wir um Christi willen gerecht, das ist, angenehm vor Gott sind, und Frieden des Gewissens finden, und nicht um dieser Erneuerung willen. Denn diese Erneuerung ist nirgend gnugsam, darum sind wir allein durch den Glauben gerecht, nicht darum, daß er also glaubet, wie ihr schreibet, sondern daß er Christum ergreift, um welches willen wir angenehm sind, es stehe um unsere Erneuerung wie es kann. Wiewohl sie nothwendig folgen muß, sie vermag aber das Gewissen nicht zufrieden zu stellen.
Darum macht nicht die Liebe, welche des Gesetzes Erfüllung ist, sondern allein der Glaube gerecht, nicht daß er eine Vollkommenheit in uns ist, sondern allein daß er Christum fasset. Daß wir also nicht gerecht sind, von wegen der Liebe, noch Erfüllung halben des Gesetzes, auch nicht um unserer Erneuerung willen, ob sie wohl Gaben des heiligen Geistes sind; sondern um Christi willen, welchen wir allein durch den Glauben fassen und ergreifen.
Augustinus erlangt St. Pauli Meinung und Verstand nicht gnugsam, wiewohl er näher dazu kömmt, denn die Schul-Theologen. Und ich ziehe Augustin darum an, daß er bei allen ein groß Ansehen hat, wiewohl er nicht genugsam erkläret des Glaubens Gerechtigkeit.
Glaubet mir, lieber Brentz, es ist ein großer, darzu ein finsterer Zank und Hader über der Gerechtigkeit des Glaubens, welchen ihr alsdenn recht verstehen werden, wenn ihr allerdings die Augen wendet vom Gesetz und von Augustins Meinung, von Erfüllung des Gesetzes, und richtet euer Gemüth allein auf die bloße Verheißung, und gewiß haltet, daß wir um Christi willen gerecht, das ist, Gott angenehm sind und Frieden finden.
Dieses ist der rechte Verstand, welcher die Ehre Christi verkläret und hoch preiset, und die Gewissen über die Maaßen aufrichtet und tröstet. Ich versuchte zwar dasselbe in der Apologia klar darzuthun; aber es wollte sich nicht schicken um der Widersacher willen, die alles übel deuten und verkehren, also deutlich zu reden, wie ich jetzt mit euch rede, wiewohl ich eben diese Meinung angezeiget habe.
Lieber, wenn würde doch das Gewissen Fried und Hoffnung haben, wenn es halten sollte, daß wir alsdann erst vor Gott für gerecht gehalten würden, wenn die Erneuerung in uns vollkommen wäre? Was wäre das anders, denn durch das Gesetz, nicht durch die Verheißung, und aus Gnaden gerecht werden?
Droben habe ich gesagt: So die Rechtfertigung (wie man vor Gott soll gerecht werden), der Liebe zugeeignet wird, so werde sie unserm Werk zugeeignet. Hie verstehe ich das Werk, so der heilige Geist in uns thut oder wirket. Item, daß der Glaube allein gerecht macht, nicht derohalben, daß er ein neu Werk des heiligen Geistes in uns ist; sondern daß er Gottes Barmherzigkeit, in Christo uns angeboten und geleistet, ergreift und mit Freuden und Dank annimmt rc. Um welches willen wir angenehme sind, nicht um der Gaben willen des heiligen Geistes in uns.
Diese Sache werdet ihr leichtlich verstehen, wenn ihr des Augustini Verstand und Meinung fahren lasset; auch wird euch, als ich hoffe, unsere Apologia darzu dienen, und dazu helfen, wiewohl ich von so wichtiger Sache noch schlecht und furchtsam rede, welches auch nicht kann verstanden werden ohne Kampf des Gewissens.
Das Volk soll allerdings hören die Predigt des Gesetzes und der Buße, indeß soll gleichwohl dieser Verstand des Evangelii nicht verschwiegen bleiben. Ich bitte euch, ihr wollet mir wieder schreiben, was ihr beide von dieser meiner Schrift und Apologia haltet, und anzeigen, ob euch auf dießmal genugsam geantwortet sey auf eure Frage. Gehabt euch wohl!
Zusatz Doctor Martin Luthers, auf die vorhergehende Schrift Philipp Melanchthons.
Und ich mein lieber Brentz, daß ich die Sache besser verstehe und fasse, pflege also zu gedenken, als wäre in meinem Herzen keine Qualität oder Tugend, die Glaube und Liebe heiße (wie die Sophisten darvon reden und träumen); sondern ich setze es gar auf Christum, und sage: meine formalis Justitia, das ist, gewisse, beständige, vollkommene Gerechtigkeit, daran kein Mangel noch Fehl ist, sondern ist wie sie vor Gott seyn soll, die ist Christus mein Herr. Auf daß ich mich also frei mache, und herauswirke von dem Anblick des Gesetzes, und der Werke, ja auch von dieses Christi, der mir vorkömmt, und verstanden wird, als sey er entweder ein Lehrer oder Geber. Nicht also, sondern ich will, daß er selbst meine Gabe und Lehre sey, daß ich alles in ihm habe, wie er spricht: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben: Sagt nicht, ich weise oder gebe dir den Weg, die Wahrheit und das Leben, als würket er solches in mir, und wäre doch anderswo außer mir; nein, in mir soll er seyn, bleiben, leben, reden, 2. Kor. 5, auf daß wir würden in ihm, in Christo 1) die Gerechtigkeit die nur Gott giebt2).
Martinus Luther, Dr.
Quelle:
Der Menschenfreund Eine christliche Zeitschrift, redigirt von Pastor Sander in Wichlinghausen. Achter Jahrgang Gedruckt in der Rettungs-Anstalt zu Düsselthal 1832