Calvin, Jean – An Jean de l´ Epine in St. Germain.

Nr. 676 (C. R. – 3505)

Jean de l´ Epine, französischer Humanist, schloss sich nach längerem Schwanken 1561 der Reformation ganz an, nachdem er schon lange sich freundlich zu ihr gestellt und mit Calvin korrespondiert hatte.

Energische Mahnung zum offenen Übertritt.

Wenn ich deine Unentschlossenheit etwas schärfer tadle, als ich eigentlich wollte, so darfst du dich über meine Grobheit nicht beklagen, sondern musst vielmehr dich selbst anklagen, weil du mich dazu zwingst. Du weißt, was du mir längst versprochen hast, als ich dich drängte, nicht länger in dem alten Schmutz zu bleiben. Weil ich überzeugt war, dass du ein vertrauenswürdiger Mann seiest, so glaubte ich nicht nur, du werdest es tun, sondern verbürgte mich gewissermaßen auch dafür. Seither habe ich manchen indirekten Vorwurf deswegen hören müssen, und weil mir das verleidet war, so habe ich dir einige Male scharfe Rufe zukommen lassen. Auch jetzt fragt man mich wieder von allen Seiten, und ich weiß nicht, was antworten, wenn du nicht bald kommst, dein Versprechen einzulösen. Wann willst du endlich, von Herzen geliebter Bruder, deinen Ausflüchten ein Ziel setzen? Bisher hast du tatsächlich Christus um den ihm schuldigen Gehorsam und die Kirche um deine Arbeitskraft schmählich betrogen. Du wirst sagen, du seiest indessen auch nicht müßig gewesen; ich anerkenne gern, dass dein Wirken anderswo Nutzen gestiftet haben mag; aber wie, wenn deine Emsigkeit, so groß sie sein mag, von den Guten nicht gebilligt wird und den Lauf der Knechte Christi hindert und aufhält? Du magst erwidern, was du willst; allein die Furcht war in dieser Sache deine Ratgeberin, und das muss dir doch recht verdächtig sein. Es kann nicht anders sein, als dass allen beherzten, ehrlichen Leuten, die Christo offen die Ehre gegeben haben, dein schlaues Benehmen missfällt. Freilich stellen viele deine geheimnisvollen Umwege als viel schlechter dar, da sie vermuten, du wollest andere Lehren verbreiten, die die reine Glaubenseinheit schädigen müssten. Dem widerspreche ich zwar und werde nie dem beipflichten, dass du nicht eins mit uns seiest, wenn du es nicht offen zeigst, und das wirst du nicht, darauf baue ich. An dir aber ist es, zuzusehen, dass du nicht die Schwachen, denen dich Gott verpflichtet hat, durch deine allzu große Sicherheit verwirrst. Schon vor zwei Jahren mahnte ich dich, du möchtest dich zu den Versammlungen halten, in denen, wie du weißt, Gott rein angerufen wird. Nicht nur hast du die Zeit vorübergehen lassen, sondern dein Schweigen lässt mich auch den Schluss ziehen, dass du jene meine Mahnung verachtet hast. Nun aber bitte ich dich nicht bloß, sondern ich mahne und flehe, ja ich beschwöre dich, wenns nötig ist, nicht weitere Verzögerungen zu ersinnen und die Wünsche der Guten nicht länger unerfüllt zu lassen. Erreiche ich nichts bei dir, so überlege es dir reiflich, welches Urteil dich erwartet vor Gottes Richterstuhl, von den wir doch bald treten müssen. Denn wenn du auch noch im kräftigsten Alter stehst, so neigen sich deine reifen Jahre doch bereits dem Greisenalter zu, und du musst dich beeilen, dass dich die Nacht nicht unerwartet überfalle.

[August 1561.]