Nr. 631 (C. R. – 3222)
Die böhmischen Brüder hatten den Schweizern ihr Bekenntnis gesandt (vgl. 626); die Kritik, die diese daran geübt hatten, war unter den polnischen Evangelischen als Verurteilung der Böhmen aufgefasst worden; so schickte die Brüder-Unität nur einen Gesandten nach Genf, dem Calvin folgendes Schreiben mitgab. – Melanchthon war am 19. April 1560 gestorben.
Über den Zwist zwischen Böhmen und Polen und das Bekenntnis der Brüder-Unität.
Nachdem mir der Bruder, von dem ich Euren Brief erhielt, Euren Auftrag persönlich auseinandergesetzt hatte, und ich sah, dass die Sendung nicht an mich allein, sondern ebenso wohl an meine Kollegen ging, so redete ich ihm zu, das nämliche noch einmal in unsrer Versammlung vorzubringen. So enthält meine Antwort, was unser aller Meinung ist. Erstens danken wir Euch herzlich, dass Ihr es nicht verschmäht habt, die Brüder zu uns zu senden, um Eure Liebe zu uns und Euren Wunsch nach brüderlicher Einigung zu bezeugen und sozusagen zu verbürgen; wir nahmen diesen Liebesdienst umso lieber an, als er aus aufrichtigem Eifer für die evangelische Sache stammt. Es ist unser Wunsch, dass Ihr ebenso überzeugt seid von unserm Willen zur Pflege heiliger Einigkeit. Tatsächlich ist es ja bei unsrer weiten Entfernung voneinander und unsrer allseitigen Einkreisung durch die Feinde, die fast die ganze Welt in ihrer Macht haben, wohltuend und angenehm, uns damit über unsre Zersplitterung zu trösten. So bezeugen wir denn in gegenseitiger Übereinstimmung, dass wir einen Vater im Himmel haben und ein Leib sind, dessen Haupt Christus ist, und Ihr werdet es hoffentlich auch so halten; wir werden uns auch Mühe geben, dass Ihr es in der Tat spürt, wie Ihr uns am Herzen lieget. Nun wissen wir aber, dass es das beste Band zur Anknüpfung und Erhaltung brüderlicher Eintracht ist, wenn ein Teil nicht allzu leichtgläubig böse Gerüchte über den andern Teil annimmt, und wir meinen darin nicht gefehlt zu haben. Denn wenn Euer Abgesandter geglaubt hat, sich in Eurem Namen indirekt über einen an die Polen gerichteten Brief beschweren zu müssen, so sind wir uns keiner Schuld bewusst, und wenn Ihr es recht überlegt, so werdet Ihr selbst, gerecht, wie Ihr seid, finden, dass wir, von Euch um unsere Meinung in dieser Sache befragt, nicht freundlicher und maßvoller hätten antworten können. Wir haben sicher nicht bös von Euch geredet und waren, so weit es anging, besorgt, das bereits entstandene Ärgernis zu schlichten, schlimmerem Zerwürfnis entgegenzutreten und Euch miteinander auszusöhnen, damit Ihr gleich an Anfang an helfen könntet, in Polen das Reich Christi aufzurichten. Wir hätten an Euch geschrieben, wenn wir Gelegenheit gehabt hätten; es ist Euch ja aber wohlbekannt, wie schwer es ist, bei solcher Entfernung einen Briefverkehr miteinander aufrecht zu halten. Jetzt, wo wir die Möglichkeit haben, wollen wir Euch ehrlich sagen, wie wirs meinen. Wie wichtig es ist, dass Ihr den Polen die Hand bietet, damit die reine evangelische Lehre bei ihnen Fortschritte mache, das könnt Ihr Euch in Eurer Klugheit selbst zurecht legen, ohne dass wir es Euch sagen. Denn es wäre nicht zu bezweifeln, dass Eure Uneinigkeit, sobald die Feinde ihrer innewürden, die so gut und erfolgreich begonnene Bewegung hemmen müsste. Zwar hat Euer Abgesandter uns einleuchtende Gründe genannt für Eure Furcht, Euch den Polen zu nähern, nämlich dass sie selbst unter sich zerspalten seien durch böse Rotten. Aber diese Notlage müsste Euch umso mehr drängen, durch Eure Gemeinschaft den sich einschleichenden oder bereits um sich greifenden Übelständen abzuhelfen. Denn die tollen Köpfe, die bei den jetzigen zersplitterten Verhältnissen sich die Freiheit nehmen, Lärm zu machen und alles durcheinander zu bringen, würden durch das Machtgebot so vieler Gemeinden schon gebändigt werden, wenn diese einander helfen wollten. Nun leiden die frommen Brüder darunter umso mehr, dass sie Eurer Hilfe beraubt sind. Wenn der Satan die wilden Angriffe eines Stancaro, eines Giorgio Blandrata und anderer gegen Polen richtet, ists da nicht Eure Pflicht, zu Hilfe zu eilen? Unterlasst Ihr es, so sehet wohl zu, dass nicht auch Ihr einmal die Hilfe der Brüder entbehren müsst. Es wird auch nicht stets in Eurer Hand liegen, die Kämpfe zu vermeiden, vor denen Euch Gott bisher beschützt hat. Ein weiteres Hindernis Eurer Annäherung bildet der Streit um die Mitteilung von Christi Fleisch und Blut im Abendmahl. Um dieses Hindernis beiseite zu schaffen, rieten wir Euch, eine passende deutliche Erklärung der Frage zu suchen. Missfällt Euch dieser Rat, so wird Euch die Erfahrung lehren, dass er gut und heilsam war; doch halten wir Euch nicht für so eigensinnig, dass Ihr ihn verschmäht. Vielleicht haben Euch zwei Punkte Anstoß gegeben; erstens, dass wir schrieben, die Kürze Eures Bekenntnisses sei dunkel und zweideutig, und es sei eine bestimmtere Fassung der Lehre nötig, dass zweitens dass wir sagten, Eure Apologie sei zu heftig und hitzig gegen alle, die, nicht zufrieden mit einer so knappen Formulierung, eine richtige einleuchtende Erläuterung wünschen zu den Worten, in denen Ihr sagt: Das Brot ist Christi Leib. Wir wissen wohl, wie viel Beifall das Vorgehen derer findet, die, geschützt durch das Augsburgische Bekenntnis, Frieden und Ruhe haben und Belästigungen und Gehässigkeiten, kurz dem Kreuz, ausweichen wollen. Wie aber der Verfasser dieses Bekenntnisses, Herr Philippus Melanchthon, über die Abendmahlsfrage gedacht hat, ist auch Euch wohl bekannt, und wir werden es vielleicht der ganzen Welt kundgeben müssen, gezwungen durch die Unredlichkeit derer, die aus hellem Licht Finsternis machen wollen. Wir wollen freilich nicht, obwohl wir Melanchthons Andenken stets in Ehren halten werden, sein Ansehen benutzen, um uns Gegner zu belasten, sondern zu zeigen, dass die Leute das Augsburgische Bekenntnis mit Unrecht zu vertreten behaupten, die der Gesinnung seines Verfassers so durchaus fremd sind. Wir (mit Eurer Erlaubnis seis gesagt) bleiben der Meinung, es sei nicht ungefährlich, einfach den Wortlaut Eures Bekenntnisses anzunehmen, und wenn nicht eine rechte Erklärung beigefügt wird, so würde den Polen das Unterschreiben dieses Bekenntnisses Ursache und Grund zu vielem neuem Zank. Wegen der Heftigkeit fällt uns die Entschuldigung nicht schwer, auch wollen wir nicht übertreiben, was wir begraben sehen möchten. Es genüge, dass doch wirklich nicht geleugnet werden kann, dass der Verfasser Eurer Apologie das rechte Maß überschritten hat. Wenn mir Euer Bote, um Wiedervergeltung zu üben, seinerseits vorwarf, ich sei doch auch in einzelnen meiner Schriften allzu heftig, so will ich das ja im Ganzen nicht leugnen, aber doch passt der Einwand hier nicht. Denn wenn ich ein paar unreine Hunde angreife, so ist das ganz verschieden von der Art Eurer Apologie, die ohne Unterschied und Auswahl viele fromme, gelehrte Männer zu den Schlechtgesinnten rechnet. Denn wenn Euer Vorsatz war, den Irrtum einiger weniger Leute zu treffen, so musstet Ihr doch eine Unterscheidung machen und nicht Unschuldigen das gleiche Vergehen vorwerfen. Doch damit aller Streit aufhöre, bitten und beschwören wir Euch, haltet es nicht für eine Schmach für Euch, wenn wir freimütig auf das hingewiesen haben, was uns als die rechte Weise erscheint, allen Zank zu schlichten und alle bösen Stimmungen auszufegen. Wir sind auch nicht so eingenommen von uns selbst, dass wir uns nicht ruhig mahnen und tadeln ließen, wenn uns ein unbedachtes Wort entfahren ist. Lebt wohl, beste, verehrte Brüder. Wir bitten den Vater im Himmel, er wolle Euch stets mit seinem Geiste leiten, in seiner Hut halten, Euch reich werden lassen an seinen Gaben und Euer frommes Wirken segnen.
Genf, 30. Juni 1560.
Eure im Herrn euch sehr verbundenen Brüder die Pfarrer der Genfer Kirche:
Johannes Calvin, Pierre Viret
Francois Bourgoing, Raymond Chauvet
Michel Cop, Jean Macard, Louis Enoch
Nicolas Colladon, Francois de Morel
G. Carmel, Antoine Chevallier
Francois Berauld, Jean Tagaut.