Nr. 602 (C. R. – 3060)
Leonor, Herzog de Longueville, der Sohn der Marquise de Rothelin (vgl. 529, 537), war aus der Gefangenschaft losgekauft worden und lebte am französischen Hof; es wurde dort eben in wochenlangen Festen die Hochzeit der Prinzessin Elisabeth mit Philipp II. von Spanien gefeiert.
Warnung vor den Versuchungen des Hoflebens.
Monseigneur, ich danke unserm lieben Gott dafür, dass Sie meinen Brief so freundlich aufgenommen und an den Mahnungen, die er enthielt, Geschmack und Gefallen gefunden haben. Denn ich schätze es sehr hoch, dass mein Schreiben gut auf Sie gewirkt hat, vor allem des Einflusses wegen, den es hoffentlich auf Ihr Seelenheil hat, und auch der Früchte wegen, die es bringen wird für die Kirche Gottes und vor allem für die Förderung des Reiches unseres Herrn Jesu Christi. Deshalb nehme ich mir auch die Freiheit, Ihnen nochmals zu schreiben, da ich glaube, Sie wissen wohl, wie not es tut, unaufhörlich gewarnt zu werden im Blick auf das ausschweifende Leben, das Sie umgibt und das Sie leicht vom rechten Wege abbringen könnte, wenn Sie nicht von oben her zum Widerstand gewappnet sind. Der beste Same verdirbt, wenn er unter die Dornen fällt, die ihn ersticken. Nun haben Sie nicht nur viele Dornen um sich, die es hindern könnten, dass die Erkenntnis des Evangeliums unsres Herrn Jesu in Ihnen Frucht trage, sondern sogar viele Spießgesellen des Satans, die es gerne aus Ihrem Herzen reißen möchten. Deshalb müssen Sie, Monseigneur, umso sorglicher Hilfe suchen, sich davor zu schützen durch Gottesfurcht und reinen Gottesdienst, und ich will Ihnen ohne Weigern dabei helfen, so gut es mir möglich ist. Denn man kann sich nicht genug anstrengen, eine solche Sündflut von Verdorbenheit von sich fernzuhalten, wie man sie heutzutage in der Welt sieht. Sie müssen auch Ihre Jugend, Ihren Stand und die unzähligen Versuchungen in Betracht ziehen, denen auch Stärkere erliegen könnten. Das gewöhnliche Hofleben will ich Ihnen gar nicht schildern; ich will nur als einzelnes Beispiel die Hochzeitsfestlichkeiten herausgreifen, die in den letzten Tagen gefeiert wurden oder möglicherweise noch jetzt dauern. Ich bin nicht so strenge, die Festlichkeiten der Fürsten oder die Freude, der man bei ihrer Vermählung Ausdruck gibt, überhaupt zu verdammen. Aber ich bin überzeugt, Monseigneur, wenn Sie Ihren Geist sammeln aus all der Pracht, Eitelkeit und Überschwänglichkeit, durch die er sich für kurze Zeit verführen ließ, und in sich gehen, so wird Ihr eigenes Urteil sein, dass es nichts ist als abgründige Verwirrung. Ich lege meinen Finger nur auf diesen einzelnen, unwichtigen Punkt, um Ihnen zu zeigen, wie nötig es für Sie ist, dass unter soviel Versuchung Gott Sie stärkt zur Beharrlichkeit und Sie ihrerseits sich mühen, sich ganz unter seine Führung zu stellen, indem Sie Ihren Eifer darauf richten, stets weiterzukommen in seinem heiligen Wort, und ihn bitten, er wolle Ihnen die Gaben seines Geistes mehr und mehr schenken, damit Ihr Glaube siegreich bleibe bis ans Ende.
Ich wagte es nicht, Monsieur, Sie so freimütig zu ermahnen, wenn Sie zu denen gehörten, die sich um ihres hohen, irdischen Ranges willen schämen, sich Gott zu unterwerfen, und aller Zucht und Mahnung überhoben zu sein glauben. Aber ich hege das Vertrauen, dass aller Trug der Welt Ihnen nie die Augen verbinden wird, so dass sie nicht bereit wären, Leib und Seele dem Sohne Gottes, unserm höchsten König, zu opfern, und so trage ich kein Bedenken, Sie in diesem guten Vorsatz mehr und mehr zu bestärken. Weil ich fürchte, Sie mit einem langen Briefe zu belästigen, Monsieur, so will ich Sie nur bitten, lesen Sie täglich die heiligen Schriften, die Sie erbauen können in allem Guten, in jeder Tugend, so dass das Beispiel Ihres Lebens viele arme, unwissende Leute, die aber nicht unverbesserlich sind, rühre und herumbringe, den verstockten Feinden der Wahrheit Gottes aber den Mund stopfe. Indem ich mich, Monseigneur, Ihrer Gewogenheit ergebenst empfehle, bitte ich den Vater im Himmel, er wolle Sie in seiner Hut halten, Sie leiten mit seinem Geiste in aller Klugheit und Untadligkeit und Sie wachsen lassen in allem Guten.
26. Mai 1559.