Die Pest in Bern. Von der Abschaffung der Feiertage in Genf.
Wenn neulich an dich und Müslin kein Brief von mir kam, um Euch in Eurem häuslichen Leid zu trösten, so bitte ich dich, mein lieber Haller, meine Liebe zu Euch nicht danach zu beurteilen. Mit welcher Angst in an Eure Gefahr dachte, seit ich hörte, Eure Häuser seien von der Pest erfasst, das vermag ich nicht in vielen Worten auszudrücken. Obwohl nun freilich solches Denken aneinander frommen, rechtschaffenen Leuten nicht mehr gelten darf als die Pflicht des Briefschreibens, so hoffe ich doch, es werde dich und ihn völlig zufrieden stellen, sobald Ihr seht, dass ich nicht aus Nachlässigkeit geschwiegen habe. Dass ich das Schreiben unterließ, hatte den Grund, dass die Kunde erst spät hierher kam, so dass ich damals noch nicht sicher wissen konnte, wie weit das Unheil gekommen sei. So wollte ich, da ich über Eure Lage im Zweifel war, nichts aufs Geratewohl sagen und beschränkte mich aufs Beten, das für Euch nötiger war und, wie ich wusste, auch erwünschter.
Übrigens, da die Abschaffung der Festtage hier in Genf bei einigen Leuten in Bern so schweres Ärgernis erregt hat, so ist es leicht glaublich, dass dort darüber auch mancherlei gehässiges Gerede verbreitet wird. Dazu rechne ich auch, dass ich nicht nur von den Böswilligen, sondern auch von denen, die es nicht besser wissen, als der Urheber dieser Verfügung angesehen werde. Wie ich aber mit heiligem Eid bezeugen könnte, dass diese Sache ohne mein Wissen und sogar wider meinen Wunsch behandelt wurde, so habe ich von Anfang an beschlossen, lieber Vorwürfe still hinunterzuschlucken, als allzu ängstlich Entschuldigungen zu suchen. Bevor ich je in Genf gewesen war, hatte man hier keine Feiertage außer dem Sonntag. Die bei Euch üblichen Feste wurden durch denselben Volksbeschluss angenommen, der mich und Farel aus der Stadt vertrieb; doch wurde das eher durch die Gewalt der Bösen in der Aufregung erpresst, als in gesetzlicher Ordnung beschlossen. Seit meiner Rückkehr suchte ich folgende Vermittlung: Weihnachten sollte nach Eurem Brauch gefeiert werden; an den andern Tagen sollten außerordentliche Betstunden stattfinden und die Werkstätten morgens geschlossen sein; nach dem Mittagessen aber sollte jedermann an seine Arbeit und sein Geschäft gehen. Es waren aber einige Steckköpfe, die aus gewisser verkehrter, böser Absicht von der allgemeinen Sitte abwichen. Diese Verschiedenheit konnte in einer richtig geordneten Kirche nicht geduldet werden und musste auch nach außen den bösen Schein erwecken, als sei keine rechte Einigkeit unter den Bürgern. So mahnte ich den Rat, dieser Zwiespalt möge durch eine geeignete Maßregel in Zukunft beseitigt werden. Aber mit ausdrücklichen Worten und namentlicher Bezeichnung lobte ich dabei die bisher innegehaltene Mäßigung. Einige Zeit darauf erfuhr ich, nicht anders als irgendein neu angekommener Fremder, die Abschaffung der Feste. Hätte doch seinerzeit Kuntz den Kampf in dieser Sache nicht gar so ehrsüchtig geführt! Denn in dieser ganzen Gegend waren die Festtage schon abgeschafft. Dafür, dass jene vier Feste nachträglich wieder eingeführt würden, kämpfte er so hartnäckig gegen alle Pfarrer welscher Zunge, als obs ums Heil der Kirche ginge. Man hätte meinen können, es sei der Streit Papst Viktors gegen die morgenländische Kirche ums Osterfest! Als ich ihn einst fragte, mit welchem Recht denn der Tag der Beschneidung Christi mehr geehrt werde als sein Todestag, musste er doch schweigen. Doch lassen wir die Vergangenheit. Es genügt mir, dargelegt zu haben, woher diese rasche Änderung bei uns kam. Obgleich ich nun dazu weder geraten noch getrieben habe, macht es mir doch nichts, dass es so gekommen ist. Kenntest du den Stand unserer Kirche genau, so pflichtetest du ohne Zögern meinem Urteil bei. Aber das will ich doch bezeugt haben, dass, wäre mir die Entscheidung vorgelegt worden, ich nicht für den jetzigen Beschluss gestimmt hätte. Doch liegt nicht der mindeste Grund vor, dass Eure Leute sich so sehr aufregen, wenn wir von unserer Freiheit Gebrauch machen, wie es die Erbauung der Kirche erfordert; wie es andrerseits billig ist, dass unser Brauch nicht eine Entscheidung für Euch zu sein braucht. Ein undeutliches Gerücht wird hier verbreitet, wenn auch noch ohne fassbare Gestalt, es solle bald in Bern ein Edikt erlassen werden, dass, wer leichtsinnig schwört, ein auf den Boden gezeichnetes Kreuz küssen müsse. Ist das wahr, so hat es ja den Schein, als wolle man die Leute absichtlich zum Schwören reizen. Denn viele werden sich gierig nach dieser Strafe drängen, um ungestraft ein Götzenbild anbeten zu dürfen. Doch ich bin noch nicht davon überzeugt, dass Eurem Rat eine solche Unbedachtsamkeit passiert sein sollte, sondern denke, es sei ein von Schwätzern und Böswilligen ausgestreutes Gerede. Lebwohl, trefflicher Mann und von Herzen verehrter Bruder. Grüße bitte deine Kollegen und Herrn Nikolaus Zurkinden von mir. Meine Brüder lassen dich und sie vielmals grüßen. Der Herr leite Euch mit seinem Geiste, behüte Euch und segne Euch in allen Dingen. Amen.
Genf, 2. Januar 1551.