Luther, Martin – An Hans Luther (21.11.1521)

An Hans Luther, seinen lieben Vater, Martinus Luther, sein Sohn.

Dieß Buch, lieber Vater, habe ich dir darum wollen zuschreiben, nicht daß ich deinen Namen hoch vor der Welt berühmt machte, und also nach dem Fleisch wider die Lehre des Apostel Pauli Ehre suchte, sondern daß ich Ursach hätte durch eine kurze Vorrede die Sach, den Inhalt, und ein Exempel dies Buchs den christlichen Lesern anzuzeigen. Und daß ich damit anfange, will ich dir nicht bergen, daß dein Sohn so weit nun kommen ist, daß er nun ganz überredet und gewiß ist, daß nichts heiliger, nichts fürnehmer, nichts geistlicher sei zu halten, denn das Gebot und Wort Gottes. Aber hie wirst du sprechen: Hilf Gott der Unseligkeit, hast du denn hieran je gezweifelt oder das nun erst gelernt? Ich sage aber, daß ich nicht allein hieran gezweifelt, sondern gar nicht gewußt, daß dieses also wäre. Und das mehr ist, so du es leidest, bin ich bereit, dir anzuzeigen, daß du in solcher Unwissenheit gleich als ich gewesen bist.

Es geht jetzt fast in das sechzehnte Jahr meiner Möncherei, darein ich mich ohne dein Wissen und Willen begeben. Du hattest wohl Sorge und Furcht meiner Schwachheit, darum daß ich war ein jung Blut bei 22 Jahren, das ist (daß ich Augustinus Wort brauch) es war noch eitel heiß Jugend mit mir, und daß du an vielen Exempeln gelernt, daß Möncherei Vielen unseliglich gelungen; du warst auch wohl Willens, mir reich und ehrlich zu freien und also anzubinden. Und diese deine Furcht, diese Sorge, dieser dein Unwill auf mich war ein Weile schlecht unversöhnlich, und war aller Freunde Rath umsonst, die da sagten: „so du Gott willst etwas opfern, so sollst ihm das Liebste und Beste opfern.“ Indeß aber tönte dir wohl Gott diesen Vers aus’m Psalm in dein Herz: „Der Herr weiß die Gedanken der Menschen, daß sie unnütze sind“; aber du hörtest nichts. Dennoch zuletzt hast du gewichen und deinen Willen Gott anheim geben; aber dennoch nicht weggelegt deine Furcht und Sorge. Denn ich gedenke noch allzuwohl, da es wieder unter uns gut ward, und du mit mir redetest, und da ich dir sagte, daß ich mit erschrecklicher Erscheinung vom Himmel gerufen wäre. Denn ich ward ja nicht gern oder willig ein Mönch, viel weniger um Mästung oder des Bauchs willen; sondern als ich mit Erschrecken und Angst des Todes eilend umgeben war, gelobt ich ein gezwungen und gedrungen Gelübde. Und gleich daselbst sagtest du: „Gott geb‘, daß es nicht ein Betrug und teuflisch Gespenst sei.“ Das Wort, gleich als hätte es Gott durch deinen Mund geredet, durchdrang und senkte sich bald in Grund meiner Seele; aber ich verstopfte und versperrte mein Herz, soviel ich konnte, wider dich und dein Wort. Darzu war noch ein Andres: da ich dir, als ein Sohn sich vermag gegen einen Vater, vorwarf deinen Zorn, alsbald trafest du und stießest mich wieder also eben und gleich zu, daß ich mein Leblang kaum von einem Menschen ein Wort gehört hab, das kräftiger mir eingangen und behaftet wäre. Denn dieß waren deine Worte: „Ei hast du nicht auch gehört, daß man Aeltern soll gehorsam sein?“ Aber ich verstockte in meiner eigen Frömmigkeit, hörte und verachtete dich ganz als einen Menschen. Aber dennoch von Herzen konnt‘ ich das Wort nie verachten.

Hie siehe nun, ob dir nicht verborgen gewesen, daß man Gottes Gebot müßt‘ allen andern vorziehen. Denn ists nicht also? Hättest du gewußt, daß ich auf die Zeit noch in deiner Hand war, hättest du mich nicht aus väterlicher Gewalt aus der Kappen gerissen? Denn wahrlich, wo ich’s gewußt, hätte ich ohne dein Willen und Wissen solches nicht angefangen, und ob ich auch tansend Tode hätte leiden sollen. Denn eigentlich mein Gelübde war nicht einer Schlehen werth; denn ich zog mich damit aus Gewalt und Willen der Aeltern, die mir von Gott geboten waren; und das mehr, es war ganz ungöttlich. Daß es aber nicht aus Gott wäre, zeigt nicht allein das an, daß es wider deine Gewalt war, sondern daß es nicht von Herzen und williglich gethan war. Darzu war mein Gelübniß auf eitel Menschenlehre und Geistlichkeit der Gleißner, die Gott nicht geboten hat.

Aber Gott, deß Barmherzigkeit kein Zahl ist, und deß Weisheit kein End ist, hat aus solchen allen Irrthumen und Sünden Wunder viel größer Güter geschafft. Siehe, wolltest du nun nicht lieber hundert Söhne verloren, denn solch groß Gut nicht gesehn haben? Es dünkt mich, daß Satanas von meiner Jugend an zuvor gesehen hab die Dinge, die er nun leidet. Derhalb hat er, mich umzubringen und zu verhindern, geraset, und wüthet mit so viel Funden, daß ich mich oft verwundert und gedacht, ob ich’s gar allein wäre unter allen Menschen, den er antastet.

Es hat aber Gott gewollt, ‚wie ich nun sehe), daß ich der hohen Schulen Weisheit und der Klöster Heiligkeit aus eigener und gewisser Erfahrung, das ist, aus vielen Sünden und gottlosen Werken erführe, daß das gottlose Volk nicht wider mich, ihren zukünftigen Widerpart, zu prangen hält, als der unbekannte Ding verdammt. Darum bin ich ein Mönch gewesen und noch; aber nicht ohne Sünde, doch ohne Schuld oder Vorwurf. Denn Aberglaube und Gottes Verachtung werden in des Papstes Regiment nicht allein nicht gestraft, sondern auch für große Geistlichkeit geachtet.

Nun wohlan, was denkest du aber nun? Willst du mich noch aus der Möncherei reißen? Denn du bist ja noch Vater, so bin ich noch Sohn und alle Gelübde sind gewiß nichts: auf deinem Theil steht göttlich Gebot und Gewalt, auf meinem Theil steht menschlicher Frevel; denn die Jungferschaft, die die Papisten mit solchen Pausbacken aufblasen, ist nichts ohne Gehorsam des göttlichen Gebots; Jungferschaft ist nicht geboten, Gehorsam ist geboten. –

Lieber Vater, willst du mich noch aus der Möncherei nehmen? Aber damit du dich nicht darfst rühmen, ist dir Gott zuvorgekommen und hat mich selbst herausgenommen. Denn was thut’s darzu, ob ich ein Kappen und Platten trage oder ablege? Macht die Kappe und Platte Mönche? St. Paulus spricht: „Alle Dinge sind euer, ihr aber seid des Herrn Christi.“ Und ich sollt der Kappen eigen sein und nicht vielmehr die Kappen mein eigen? Mein Gewissen ist frei und erlöset, das dann die höchste und größte vollkommene Freiheit ist.

Darum bin ich nun ein Mönch und doch nicht Mönch, und eine neue Creatur nicht des Papstes, sondern Christi. Denn es hat der Papst auch Creaturen und ist ein Schöpser, aber eitel Docken und Götzen, das ist seines Gleichen, Larven und Potzmänner. Deren ich vor Zeiten einer gewesen, als ich verführt war mit mancherlei Brauch der Worte, dadurch der Weise, als er sagt, in Fährlichkeit gewesen bis an den Tod und erlöset durch die Gnade Gottes.

Nun schau her, beraub‘ ich aber dich deiner Rechte und Gewalt? Ich halt, nein, denn deine Gewalt bleibt gar in mir ganz, als viel es die Möncherei antrifft; aber die ist nun bei mir aus und nichts, wie ich gesagt. Aber der mich aus der Möncherei genommen hat, hat mehr Recht’s über mich, denn dein Recht ist. Derselbe hat mich, wie du siehst, gesetzt nicht in den losen, erdichteten gleisnerischen Gottesdienst der Möncherei, sondern in einen wahren Gottesdienst; denn daß ich sei im Dienst des Wortes Gottes kann ja Niemand leugnen, oder zweifeln.

Das aber ist der rechte Gottesdienst, dem weichen soll der Aeltern Gewalt. „Wer da liebt Vater oder Mutter mehr denn mich, sagt Christus, der ist meiner nicht werth.“ Nicht daß er der Aeltern Gewalt damit aufgehoben, so der Apostel so oft darauf dringt, daß die Kinder den Aeltern gehorsam sollen sein; sondern der Spruch hat Statt, so Christus und der Aeltern Gewalt wider einander ist: Christi Gewalt die soll allein herrschen und vorgehn.

Darum schicke ich dir dieß Buch, in welchem du erkennest, mit was Zeichen, Kräften und Wunderwerken Christus mich von dem Gelübde der Möncherei erlöset hat, und mit so großer Freiheit begnadet, daß ich, wiewohl er mich zu aller Menschen Knecht gemacht, dennoch Niemand unterworfen, denn allein ihm. Denn er ist, wie sie es nennen, allein ohne Mittel mein Bischof, Abt, Prior, Herr, Vater, Meister; sonst weiß ich keinen mehr. Und ich hoffe, er hab dir also deinen Sohn genommen, daß er vielen Andern ihren Söhnen durch mich jetzt anhebt zu helfen, das du nicht allein gern haben sollst, sondern auch hoch und groß dich freuen. Daß du aber nichts Anderes thun werdest, will ich mich ganz zu dir versehen. Ob mich aber der Papst erwürgt und verdammt und jenseit der Höllen wirft, wird er mich doch vom Tod nicht wieder können aufwecken, daß er mich mehrmal erwürge. Daß ich aber verbannt und verdammt bin, soll mein Herz und Wille sein, daß er mich nimmer mehr absolviere. Denn ich hoff, daß nahe sei der große Tag, da zerbrochen und niedergestoßen wird werden das Reich der Verdammniß und des Greuels.

Und wollte Gott, wir wären’s würdig vom Papst zuvor verbrannt oder erwürgt zu werden, daß unser Blut möchte schreien und drängen sein Gericht, daß sein bald ein End würde. So wir aber nicht werth, mit dem Blut zu bezeugen, so laßt uns allein ihn anrufen und bitten um die Barmherzigkeit, daß wir mit dem Leben und der Stimme mögen bekennen und zeugen, daß Jesus Christus allein ein Herr ist unser Gott, gebenedeiet in Ewigkeit, Amen.

Und in demselbigen sei gesegnet, lieber Vater, und die Mutter, deine Margariten, sammt unserm ganzen Geschlecht, grüß im Herrn Christo. Aus der Wüstenung1), 21.Novembris Anno 1521.

1) von der Wartburg

 

Quelle:
Hase, Carl Alfred – Luther-Briefe in Auswahl und Uebersetzung für die Gemeinde herausgegeben Leipzig, Druck und Verlag von Breitkopf und Härtel 1867