Calvin, Jean – An die Pfarrer von Neuchatel.

Nr. 582 (C. R. – 2966)

Farels Verlobung, die nach damaligem Brauch als förmlicher Eheschluss galt, erregte in Neuchatel solches Ärgernis, dass die andern Pfarrer sofortige Scheidung wünschten und disziplinarisch gegen Farel vorgehen wollten.

Ratschläge wegen Farels Verlobung.

Sehr liebe Brüder, ich bin solcher Bestürzung, dass ich nicht weiß, wie ich es anfangen soll, Euch zu schreiben. Wirklich war unser armer Bruder Mag. Guillaume diesmal so unbedacht, dass wir uns alle mit ihm schämen müssen. Aber soviel ich sehe, kann man dem so nicht abhelfen, wie man es schon versucht haben soll; denn da es kein Gesetz gibt, das eine solche Ehe hindert, so weiß ich nicht, ob es erlaubt wäre, sie zu trennen, wenn sie einmal geschlossen ist. Es gäbe nur noch mehr Ärgernis. Handelte es sich um irgendeinen Privatmann, so ginge die Sache wohl eher an; aber hier, sagten da nicht alle Böswilligen und dächten alle Einfältigen, die Pfarrer wollten ein Gesetz für sich haben und ihrem Stande zu lieb brächen sie das festeste Band der Welt? Denn wiewohl Ihr etwas ganz anderes bezweckt, so könnte man eben doch meinen, Ihr wolltet ein Vorrecht vor anderen, als ob Ihr nicht dem gewöhnlichen Gesetz und Recht unterworfen wäret. Wäre man von der Sache rechtzeitig unterrichtet gewesen, so hätte man das törichte Vorhaben hintertreiben müssen, wie das eines Menschen, der den Verstand verloren hat. Da er aber zu allem übrigen sich so in die Geschichte hineingestürzt hat, dass man ihn nicht einmal von seinem Fall wieder aufheben kann, so überlegt Euch doch sehr, ob das Mittel angeht, eine bereits geschlossene Ehe für null und nichtig zu erklären. Sagt man, ein solches Eheversprechen sei wider die ehrbare Ordnung der Natur und brauche deshalb nicht gehalten zu werden, so müsst Ihr eben doch bedenken, ob der Fehler nicht zu ertragen ist wie vieles andere, was man nicht ändern kann. Noch vor einem halben Jahr hätte der arme Bruder selbst kühnlich gesagt, man müsste den als kindisch gewordenen festnehmen, der in so hohem Alter ein so junges Mädchen nehmen wollte; nun aber, da die Sache einmal geschehen ist, ists nicht leicht, sie wieder ganz zu zerstören. Da ich dafürhielt, er könne sich nicht mehr frei machen, noch hätten wir ein Mittel es zu tun, habe ich ihm dann von mir aus gesagt, es sei besser rasch zu handeln, als durch Zögern noch mehr Geschwätz aufkommen zu lassen. Hätte auf der einen oder der andern Seite Betrug oder Umgarnung vorgelegen, so wäre ja gut und leicht abzuhelfen gewesen; da aber das einzige Übel in der Ungleichheit des Alters bestand, so hielt ich die Tat für eine unheilbare Krankheit, die durch alle ärztliche Behandlung nur verschärft und verschlimmert würde. Deshalb habe ich, nachdem ich mich über sein Vorgehen scharf und bitter beklagt hatte, ihm gegenüber geäußert, mehr wolle ich nicht sagen aus Furcht, ihn ganz in Verzweiflung zu stürzen; ich habe wirklich immer befürchtet, es könnte sein Tod sein, wenn ich die Folgen vorausbedachte, die es haben könnte. Hätte er wenigstens meinen Rat befolgt, sich nicht von Neuchatel zu entfernen, so hätte man ein sanfteres und maßvolleres Vorgehen gegen ihn eingeschlagen; nun ist seine Abwesenheit schuld, dass man viel gröber und heftiger mit ihm verfuhr, so dass er mir doppelt leid tut. Aber ich bin auch ganz verwirrt, umso mehr, als er selbst sich jeder Hilfe entziehen zu wollen scheint. Immerhin kann ichs nicht lassen, Euch zu bitten, Ihr wollet Euch daran erinnern, wie er mehr als sechsunddreißig Jahre lang sich redlich gemüht hat, Gott zu dienen und die Kirche zu erbauen, wie reichen Nutzen seine Wirksamkeit gestiftet hat, mit welchem Eifer er stets gearbeitet hat, ja wie viel Gutes Ihr schon von ihm erfahren habt. Das möge Euch doch zu einiger Milde stimmen, nicht so, dass Ihr dem Übel Eure Bestätigung gebt, aber doch, dass Ihr nicht zur äußersten Strenge greift. Da es aber nicht an mir ist, Euch Vorschriften zu machen, will ich nur Gott bitten, Euch so zu leiten in Klugheit und Takt, dass das Ärgernis, so gut es eben geht, gestillt werde und doch der arme Bruder nicht vor Traurigkeit umkomme. Ich bitte, mich den gnädigen Herren von Neuchatel ergebenst zu empfehlen, denen ich nicht besonders schreibe; denn ich bin ganz stumm vor Staunen. Indessen bitte ich nochmals unsern lieben Gott und Vater, er wolle Euch behüten, Euch reich werden lassen in allem Guten und stark in aller Tugend, damit sein Name allezeit verherrlicht werde unter Euch.

Genf, 26. September 1558.
Euer ergebener Bruder
Johannes Calvin.

Calvin, Jean – An die Pfarrer in Neuchatel.

Der Neuchateller Pfarrkonvent hatte einen Entwurf der Sittenzensur, die er an seinen einzelnen Gliedern übte, den Schweizerkirchen zur Begutachtung zugestellt, zugleich auch sechs Gegenthesen des Pfarrers Chaponneau, der ein solches Standesgericht unter Berufung auf Matth. 18, 15 – 17 verwarf. Er wollte alle Aufsicht über das sittliche Leben der Pfarrer der privaten Ermahnung überlassen und verlangte in der 6. These, dass ein Widerspenstiger nur bei seiner eigenen Kirche verklagt werden dürfe.

Über Sittenzensur im Pfarrstand.

Die Liebe Gottes und die Gnade Christi und die Gemeinschaft des heiligen Geistes mehre sich stets unter Euch, im Herrn geliebteste Brüder. Als unser Bruder Enard Euer Schriftstück über die Vollziehungsordnung der brüderlichen Sittenzensur brachte und zugleich den Gegenantrag eines gewissen Bruders, da war jedermann der Ansicht, man könne Euch sofort auf Beides antworten. Weil aber nicht alle anwesend waren, haben wir es auf unsere heutige Zusammenkunft verschoben. Die Sache wurde nochmals vorgelegt, und einstimmig wurde folgende Antwort beschlossen: Erstens, da die Diener am Wort einer gewissen bestimmten Rechtsordnung unter sich bedürfen, so braucht man nicht zu fragen, ob wir nicht auch ohne Gesetze leben könnten, sondern es ist besser, gleich auf die Art der Einrichtung und Anordnung der Sache einzutreten, die sich dazu am besten eignet, uns bei unserer Pflicht zu halten, und so der Erbauung dient. Denn die Verhältnisse werden unter uns Menschen nie so sein, dass man etwas Vollkommenes findet. Aber doch müssen wir stets nach dem Ziel trachten, dass wir in vereintem Eifer und, soweit es möglich ist, nach gemeinsamem Plan der Kirche dienen. Nun kann es aber unserer Schwäche nicht anders gehen, als dass allerlei bei uns zu wünschen übrig bleibt, weswegen es ziemlich und nützlich ist, dass wir daran erinnert werden, wenn man sie in Gefahr sieht, aus Unvorsichtigkeit zu fallen; wieder andere müssen zu größerm Eifer angespornt, wieder andere getadelt werden; und wieder bei manchen muss untersucht werden, wenn irgendein ungünstiges, aber noch unsicheres Gerücht über sie auftaucht. Nun ist die Frage, ob es immer genügend ist, dass die einzelnen sich untereinander privatim ermahnen; oder ob es zuweilen gut ist, dass nach einer gemeinsamen Beratung der Brüder die Ermahnung durch das ganze Kollegium erfolgt. Es treten oft Fälle ein, wo wir von vielen Kollegen ermahnt werden müssen einer Sache wegen, in der kein einzelner uns ermahnen kann. Z. B. es erhebt sich, wie eben gesagt, ein Geschwätz oder eine Anklage gegen irgendeinen Bruder; seine Nachbarn wissen, was daran ist. Da gibt’s kein besseres Mittel, als dass die Brüder, nachdem die Sache unter ihnen gemeinsam besprochen worden ist, dem Betreffenden eine Mahnung erteilen. Ist die Anschuldigung falsch, so wird durch dieses Vorgehen gesorgt, dass sie nicht weiter herumkommt. Ist sie aber wahr, so verdient der Schuldige nicht nur die Mahnung eines einzelnen, sondern die Zurechtweisung durch das ganze Kollegium. Ein anderes Beispiel. Es ist an einem Bruder allerlei, was einigen aus der Gemeinde, oder von seinen Kollegen missfällt. Da taucht nun die Frage auf, ob das, was man an ihm anders wünscht, wirklich als ein Fehler und als der Zurechtweisung bedürftig anzusehen ist. Man muss also gemeinsam darüber nachdenken. Derartige Dinge kommen täglich vor. Diesen Zweck hatten zum Teil auch die Provinzial-Synoden, die vor Zeiten zweimal im Jahr gehalten wurden. Denn nach den dogmatischen Verhandlungen wurden Klagen über die Fehler eines jeden angehört und Zensur geübt an den einzelnen.

So ist also Eure Einrichtung, wie Ihr sie beschrieben habt, nach unserm Urteil durchaus fromm und gesetzmäßig. Es wäre ja auch zu unverschämt, an Euch zu tadeln, was wir als gut und heilsam selbst im Gebrauch haben. Nur muss dabei erstens Billigkeit und Lauterkeit herrschen und zweitens Vorsicht und Mäßigung. Wenn wir Lauterkeit und Billigkeit fordern, so verstehen wir darunter, dass keiner böswillig danach trachtet, seinen Bruder zu verletzen. Vorsicht und Mäßigung aber fassen wir so auf, dass keiner einen verborgenen Fehler angebe, durch den einem Bruder ein Makel aufgebrannt würde, und dass keiner in übermäßiger Strenge aufbausche, was sonst als ganz geringfügig gilt. Wenn es also einmal vorkommt, dass von eigensinnigen, rücksichtslosen Brüdern Dinge hervorgezerrt werden, über die man besser schwiege, oder verborgene Fehler in angeberischer Absicht vorgebracht werden, so sind solche Ankläger und Angeber nicht nur nicht anzuhören, sondern sogar streng zu bestrafen. Auch ist es, um diesen Gefahren zu begegnen, nützlich, bei Beginn der Zensurverhandlungen angelegentlich zu betonen, man müsse sich vor allem hüten, was die heilsame Medizin der Zensur in Gift verwandle. Wir wenigstens schicken gleich von Anfang die Mahnung voraus, wenn heimliche Eifersüchteleien beständen, so solle man sie aufdecken; fühle sich ein Bruder von einem andern beleidigt, so solle er sich beschweren, bevor die Zensurverhandlungen beginnen, damit diese nicht mit solchen Dingen verwechselt werden. Diesen Fehlern ist also, so weit als möglich, der Zutritt zu versperren, dass sie nicht aufkommen können, und sind sie etwa doch aufgekommen, so muss man sie unterdrücken. Die ganze Zensur-Einrichtung aber, die wir nicht nur als fromm, sondern auch als notwendig aus Erfahrung kennen, darf [um dieser Gefahren willen] nicht vernachlässigt oder verworfen werden. Den Bruder aber, der bisher darüber andrer Meinung war als Ihr, beschwören wir beim Herrn, nicht in seinem hartnäckigen Widerstand fortzufahren. Er soll sich doch darauf besinnen, dass Paulus von einem Pfarrer nicht als Letztes verlangt, dass nicht eigenmächtig sei [Tit. 1, 7], d. h. nur auf sein eigenes Urteil eingeschworen. Und sicher ist es eine der Haupttugenden eines guten Pfarrers, den Zank so von ganzem Herzen zu scheuen, dass er nie, wenn er nicht wirklich dringende Gründe hat, sich von seinen Brüdern trennt. Er nehme sich auch in Acht, dass nicht alle, die von seiner Opposition hören, den Verdacht aufkommen lassen, aus Streitsucht oder aus Hass gegen jede Ordnung suche er es zu hindern, dass auch über unser sittliches Leben Zensur geübt wird. Nicht als wollten wir ihn mit einer so gehässigen Auslegung belasten oder irgendeinen Makel auf ihn bringen; wir urteilen vielmehr bloß deshalb so, weil wir wünschen, es möge seine Ehre wohl gewahrt bleiben. Zu seiner schriftlichen These, mit der er Euren Brauch zu bekämpfen sucht, ist mit seiner Erlaubnis zu sagen, dass, wenn er die brüderliche Zurechtweisung einen Liebesdienst nennt, von dem keiner entzogen werden dürfe, er dabei nach unserer Meinung das Allerwichtigste nicht bemerkt hat, nämlich, dass es doch verschiedene Arten brüderlicher Zurechtweisung gibt. Von anderm ganz abgesehen, hat die brüderliche Zurechtweisung, um die es sich hier handelt, ihre besondere und eigene Beschaffenheit. Denn sie ist ein Bestandteil der Kirchenverfassung. So darf sie nicht mit der allgemeinen Zurechtweisung verwechselt werden, die [im Evangelium] allen [Christen] ohne Unterschied geboten wird. Weiter können wir ihm nicht zugeben, dass sie einfach nur ein [dem einzelnen erwiesener] Liebesdienst sei; vielmehr ist sie ein Urteil, um der Zucht und Ordnung willen eingerichtet, und hat zum Zweck die Erbauung aller [nicht bloß des einzelnen]. Wir können auch den Satz nicht zugeben: Keiner dürfe diesem Liebesdienst entzogen werden. Freilich ist der Ausdruck unklar, weil von dem, der die Zurechtweisung erfährt, wie von dem, der sie erteilt, verstanden werden kann. Aber auf beide Arten behaupten wir, ist nicht jeder verpflichtet durch dieses Gesetz, das speziell für die Diener am Wort bestimmt ist. Denn wie Gesetze über den Geschäftsgang des Rates nur diesen, nicht das ganze Volk verpflichten, so ziemt es sich auch, dass wir in unserm Stand eine Ordnung wahren, der nur die Pfarrer unterstellt sind. Wenn in derselben These steht, die brüderliche Zurechtweisung falle unter die Vorschrift Gottes, so können wir das keineswegs zugeben, wenn er es so versteht, die Form jedes Zurechtweisungsverfahrens sei ausdrücklich im Worte Gottes enthalten. Das Wesen der Kirchenzucht betont die Schrift freilich in bestimmten Worten; die Form ihrer Ausübung muss, da sie vom Herrn nicht vorgeschrieben ist, von den Dienern am Wort zum Ausbau der Kirche aufgestellt werden. Deshalb behaupten wir auch, dass nicht bloß die Besserung des Fehlbaren der Zweck [der brüderlichen Zensur] ist, sondern es wird dabei auch Rücksicht genommen auf die öffentliche Ordnung und die Erbauung aller. Wir können dafür ein Beispiel aus der Schrift nehmen. Als Paulus nach Jerusalem kam [Ap. Gesch. 21], wurde er von Jakobus und den Ältesten daran erinnert, welch bösen Ruf er unter den Juden habe und zugleich, wie er sich vor ihnen davon reinigen müsse. Zweifellos ging eine Beratung unter den Brüdern voraus, und zwar wurde sie in Abwesenheit des Paulus gehalten. Warum das? Natürlich, weil die Frage die Erbauung aller anging. Ebenso lesen wir, als die Brüder den Petrus tadelten, dass er sich zu den Heiden gewandt habe [Ap. Gesch. 11], nichts davon, dass ihm vorher einer etwas heimlich ins Ohr gesagt habe; natürlich, weil das Ärgernis viele stieß, wars billig, dass er gemeinsam von den Brüdern gemahnt wurde. Und wenn er auch damals zu Unrecht beschuldigt wurde, so steht doch nicht da, die Brüder hätten in der Art ihres Vorgehens gefehlt, sondern nur in der Sache selbst; denn sie hielten den üblichen, gewöhnlichen Brauch ein. Die Vorschrift Christi im 18. Kapitel des Matthäus verstehen wir von verborgenen Fehlern, worauf auch die Worte hinweisen. Also, wenn ein Bruder etwas begangen hat, und du weißt es, aber andere Augenzeugen hat die Sache nicht, dann, befiehlt Christus, sollst du privatim ihn ermahnen. Freilich verbietet er das auch nicht, wenn auch noch andere außer dir um die Sache wissen. Denn es kann ja geschehen, dass du gar nicht weißt, ob auch andere Mitwisser sind, oder dass es dir besser scheint, ihn nicht in Gegenwart andrer zu mahnen. Wenn Jesus dann weiter sagt: Erreichst du damit nichts, so nimm zwei oder drei Zeugen zu dir, so ist das unseres Erachtens zu verstehen nicht von Zeugen des Vergehens, sondern der Ermahnung, um ihr dadurch mehr Gewicht zu geben; daher ist auch dieses Wort kein Hindernis für die Art der Zensur, um die sich jetzt der Streit dreht. Denn nicht darum handelt es sich, verborgene Fehler ans Licht zu ziehen, um den Brüdern Schmach anzutun, sondern nur um Fehler der Art, die irgendwelches Ärgernis erregt haben oder nahe daran sind, solches zu erregen. Ein Beispiel der Art haben wir in dem Tadel, den Petrus empfing [Gal. 2, 14]; denn Paulus entfernte die Zeugen nicht, um ihn allein ohne sie alle zu vermahnen, sondern er tat es vor der ganzen Gemeinde. Und doch war die Sache noch nicht allen bekannt; aber Paulus wollte der drohenden Gefahr [des Ärgernisses] zuvorkommen. Die fünfte These [Eures Gegners] können wir auch nicht ausnahmslos annehmen; denn er sagt darin, wir handelten weise, wenn wir auch einen Bruder, der ein notorischer Sünder sei, nur privatim ermahnten. Denn Paulus will, wo er sagt [1. Tim. 5, 19.20]: „Wider einen Ältesten nimm keine Klage auf außer zweien oder dreien Zeugen“, andrerseits auch haben, dass die Ältesten, die sündigen, vor allen gestraft werden, auf dass sich auch die andern fürchten. Wenn es also zuweilen gut ist, die Sündigen, auch Älteste, denen doch größere Ehrfurcht zukommt, öffentlich zu bestrafen, und das als Beispiel gelten soll, so würde doch nicht weise und klug handeln, wer sich einer solchen öffentlichen Zurechtweisung enthalten wollte. Was also? Sicher muss man nach unserm Urteil, jeweilen nach dem einzelnen Fall und seinen Verhältnissen Beschluss fassen. Immer aber sind zwei Dinge im Auge zu behalten; einerseits, dass der, der gesündigt hat, nicht in allzu große Traurigkeit versinke [2. Kor. 2, 7], andrerseits, dass es nicht scheint, wir seien zu nachsichtig mit der Sünde. Wir wundern uns, warum der Bruder die sechste These beigefügt hat; denn darüber ist man doch genügend einig, dass mit dem Wort Gemeinde in dem Spruch Christi [Matth. 18, 17] die Gemeinde bezeichnet wird, deren Glied der wegen Widerspenstigkeit Angezeigte ist. Übrigens müssen zwei Punkte dabei beobachtet werden. Erstens: die Widerspenstigkeit eines verhärteten Sünders muss von einer Gemeinde so öffentlich kundgetan werden, dass, wenn er diese Gemeinde verachtet und verlässt und anderswo hinzieht, er auch dort angezeigt wird. Das ist auch der Sinn der alten Rechtsvorschriften, die verbieten, einen Auswärtigen in die Abendmahlsgemeinschaft aufzunehmen, wenn er nicht ein Zeugnis beibringt. Denn wo bliebe die Gemeinschaft der Kirche, wenn ein von einer Gemeinde Verurteilter von einer andern einfach aufgenommen würde? wo die kirchliche Zucht, wenn ein Verächter einer Gemeinde seinen Hochmut durch Auswanderung in eine andere ungestraft zur Schau tragen dürfte? Zweitens ist auch darauf zu achten, dass wir alle uns ansehen als Diener einer Kirche, die wie zu einem Kollegium vereint, eine Körperschaft bilden. Denn wozu sonst ein Dekan und alles andere? Nur dazu, dass wir wie Glieder eines Leibes unter uns zusammenwachsen. Wir vertrauen darauf, dass das vom Verfasser der Gegenthesen gut aufgenommen werde, wie wir es in lauterm Sinn schreiben. Denn es ist sicher unser aller Pflicht, der Wahrheit nicht bloß Raum zu geben, sondern sogar sie, wie man sagt, mit offenen, ausgestreckten Armen aufzunehmen. Lebtwohl, im Herrn geliebteste Brüder. Der Herr mehre in Euch von Tag zu Tag den Geist der Weisheit und Klugheit zur Erbauung seiner Kirche, und lasse Euren Dienst die reichsten Früchte bringen.

Genf, aus dem Pfarrkonvent, am 8. November 1544.

Im Namen aller Brüder

Johannes Calvin.

Calvin, Jean – An die Pfarrer von Neuchatel.

Weggelassen sind in dem Brief aus der eigentlichen Verhandlung über das Wesen Christi eine Reihe Schulbeispiele und Kirchenväterzitate.

Verständigung mit Courtois und Empfehlung desselben nach Neuchatel.

Courtois ist zu mir gekommen, wie Ihr ihn geheißen hattet. Wir haben miteinander über das selbständige Wesen Christi verhandelt, und es gab etwas mehr Arbeit, als ich dachte. Nicht, weil Courtois sich auf einen Streit eingelassen hätte, denn er war während der ganzen Verhandlung recht geneigt, mich anzuhören, und in seinen Antworten ruhig und bescheiden; sondern weil er in einer geradezu durchsichtigen Sache immer wieder Bedenken hatte. Ich habe mich also darin getäuscht, dass ich dachte, wo mir die Wahrheit ganz klar und fertig erscheine, werde es auch bei ihm keine Schwierigkeit haben. Es wurde viel hin und her geredet. Als er mir die bekannte Regel der Schuldialektik von dem Sinn verstärkenden Vordersatz entgegenhielt, antwortete ich, der Sinn eines Satzgefüges dürfe nicht einfach nach der sog. Aussage, sondern müsse nach dem Zusammenhang des ganzen Gefüges verstanden werden; sonst trete eine täuschende Hervorhebung von etwas Nebensächlichem ein, wenn man von dem im einzelnen Satz Ausgesagten auf das ganze Gefüge schließe. Ich führte viele Beispiele an, die allein schon hätten genügen sollen, den Streit zu entscheiden. Beispiele wie diese: Wir sagen, Gott, sofern er in Christo uns gerecht macht, übt das Gericht gegen die Sünder nicht aus. Wollte nun jemand das so übertreiben: Gott übt überhaupt kein Gericht gegen die Sünder, so hätte er da ja auch einen Vorwand, [uns der Ketzerei zu beschuldigen]; aber jeder vernünftige Mensch sähe da ein, was richtig wäre. – – –

Dann kam man zu dem schwierigen Punkt, dass Courtois nicht begreifen kann, dass wir vom Wesen Christi reden, ohne seine Stellung als zweite Person der Trinität zu erwähnen. Ich hielt ihm zunächst die Autorität Augustins entgegen, der bezeugt, dass man von Christo, sofern er Gott sei, in zweierlei Weise reden könne: entweder von seiner Beziehung zu den andern Personen der Trinität oder einfach von ihm. Damit sich der Disput nicht unnötig in die Länge ziehe, führte ich weiter die Stellen [des Kirchenvaters] Cyrill an, in denen er mit deutlichen Worten unsere heutige Streitfrage im Voraus entscheidet. – – –

Es ist nicht nötig, alles der Reihe nach anzuführen oder jedes einzelne Wort zu berichten; nur die Hauptpunkte unseres Gesprächs wollte ich im Vorbeigehen angeben. Ist es nun doch zu unordentlich geschehen, so haltet es, bitte, meiner Eile zu gut. Zuletzt bezeugte Courtois von neuem, er habe die Frage überhaupt nicht aufgeworfen, um seine Auffassung hartnäckig festzuhalten, auch sei er in keiner andern Absicht nach Genf gekommen, als um sich belehren zu lassen, und er sei bereit, sich mit meiner Begründung zufrieden zu geben.

Darauf gingen wir zu anderm über. Ich mahnte ihn mit aller mir möglichen Milde, er habe jetzt erfahren, wie gefährlich es sei, in er Kirche Unruhe zu stiften, und solle deshalb jetzt danach trachten, Frieden zu halten. Ich sprach, wie es mir zur Sache zu passen schien. Hauptsächlich hob ich die sehr schlimmen Zeitverhältnisse hervor. Vor allem mahnte ich ihn, ernstlich Verzeihung zu suchen; das könne er aber erst, wenn er einsehe, dass er Christo nicht anders dienen könne, als wenn er Frieden und Eintracht mit seinen andern Knechten halte. Ich erinnerte ihn auch daran, was wahre Wissenschaft und Lehre sei, und zu welchem Zweck und Ziel man sie brauchen müsse. Er versprach, seine Pflicht fortan so zu tun, dass er keinen Anlass zur Klage mehr biete. Aber er bat auch, man möge einstweilen ihm Rechnung tragen und ihn, wenn man ihn nicht für ganz unnütz halte, doch für irgendeine Stellung bestimmen, wo er es besser habe. Er wies auf seine Armut hin. Kurz er beschwört uns alle beim Herrn, man solle ihm doch nicht diese Hoffnung abschneiden und ihn dadurch zwingen, sich in ein Land zu begeben, wo man Gott nicht nach dem reinen Evangelium diene. Wäre er mir nicht von Euch selbst schon empfohlen, so sollte ich seinetwegen noch mehr mit Euch reden. Nur das will ich Euch bitten, dass Ihr ins Auge fasst, wie man für sein Wohl sorgen kann. Der Herr hat ihn mit einigen guten Gaben geziert. Wenn er nun wirklich den Willen hat, diese Gaben zur Erbauung der Kirche zu brauchen – und ich glaube, das wird er tun, – so darf man ihn nicht vernachlässigen. Nehmt ihn also nach Eurer Liebe auf in Euern Kreis und begrabt alles vergangene Ärgernis. Lebt wohl, allerliebste Brüder. Der Herr erhalte Euch immer einmütig und lenke Euch mit seinem Geist.

Genf [Nov. 1543].
Euer
Calvin.

Calvin, Jean – An die Pfarrer von Neuchatel.

Farel nahm von seinem Besuch in Worms folgenden Brief mit:

Von der Untätigkeit in Worms.

Gnade und Friede sei mit Euch von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesu Christo, liebste und hoch verehrte Brüder. Da ich nicht eher ans Schreiben dachte, als bis sich unser bester Bruder Farel zur Abreise rüstete, und da ich ihm alles mündlich dargelegt habe, was ich von unsern gegenseitigen Verhandlungen berichten könnte, so will ich von einem längeren Schreiben absehen. Ich hätte es am liebsten ganz gelassen, wenn er nicht meine Trägheit mit strengen Worten getadelt hätte. Denn es komm mir vor, ich tue etwas nicht nur Überflüssiges, sondern geradezu Widersinniges, wenn ich einem solchen Boten noch einen Brief an Euch übergebe. Weil er mich meine Pflicht aber nicht versäumen lässt, so muss ich ihm wohl den Gefallen tun. Ihr dürft also von mir keine lange Geschichte der hiesigen Verhandlungen erwarten. Wir sitzen müßig im Lager, da uns die Feinde gar keinen Anlass zum Kampfe bieten. Wenn wir meinen, nun sei man allen ihren Ausflüchten entgegengetreten, so erdenken sie gleich neue Schliche. Wir hoffen aber, dass diese Kunststücke, in denen sie sich so wohl gefallen, zu großem Ruhm des Herrn ausfallen werden. Denn die Welt wird erkennen, wie es um ihr Gewissen stand, das das Licht so sehr scheuen musste. Wir haben mit Worten bezeugt und durch die Tat erwiesen, dass wir von Herzen bereit sind, Rechenschaft abzulegen über unsere Lehre, so schlecht wir dazu vorbereitet sind. Sie, nachdem sie uns oft durch täuschendes Ausweichen hingehalten haben, bekannten schließlich, ohne ein Hehl daraus zu machen, dass sie vor dem doch von ihnen angegebenen Plan des Vorgehens geradezu Abscheu hätten. Und das tun sie, obwohl sie uns in allem, abgesehen von der guten Sache, weit überlegen sind. Verteidiger haben sie, welche es ihnen gut schien, aus ihrer großen Schar auszuwählen. Der, den wir als Schiedsrichter anzunehmen genötigt wurden, ist ihnen offenkundig günstig. An Geld, Macht und allen andern Hilfsmitteln haben sie Überfluss und wir Mangel. Aber ihr böses Gewissen wirft sie nieder, dass sie fliehen, ohne dass sie jemand verfolgt. Ob nicht der Herr ihren Geist so geschlagen hat, dass sie sich nicht zum Kampf mit uns herbeilassen; nicht allein, um sie umso mächtiger und wunderbarer niederzuwerfen, sondern auch, um uns durch ihre Angst demütig zu machen? Denn wir sind nicht würdig, dass er unsern Eifer zu seiner Verteidigung braucht. Wie dem auch sei, wenn nur die Wahrheit geschont wird und seine Ehre immer strahlender aufleuchtet, so muss uns das über und über genug sein. Aber wenn wir auch nicht in offener Feldschlacht handgemein geworden sind, so denkt doch daran, beste Brüder, dass wir einen verborgenen Kampf zu führen haben gegen die krummen Ränke des Satans. Das sage ich darum, dass Ihr durch frommes Gebet mitarbeitet, damit der Herr die Einfalt der Seinen nicht ins Netz solchen Betruges fallen lasse. Die Sache der Brüder [in Frankreich], die von den Gottlosen grausam gequält werden, wollen wir mit geziemendem treuem Eifer auf uns nehmen. Wir können aber gegenwärtig nichts anderes versprechen, als dass wir uns Mühe geben werden, so dass Ihr merkt, dass unsere Bemühung zu ihrer Rettung nicht ausblieb. Von meinem Kommen zu Euch wage ich noch nicht Bestimmtes zu sagen. Farel weiß, welche Hindernisse mich zurückhalten. Ich wünsche aber den Tag zu erleben, da ich Euch alle zugleich im Herrn umfasse. Lebt wohl, trefflichste Brüder. Der Herr stärke Euch mehr und mehr zu seinem Werk.

Worms, 24. Dezember.

Euer Calvin.