Calvin, Jean – An die Evangelischen in Metz.

Nr. 605 (C. R. – 3087)

Über die Verhältnisse in Metz vgl. 580. Der Pfarrer Pierre de Cologne (van Ceulen) von Gent hatte sich bei Calvin über die Gleichgültigkeit der Metzer Evangelischen bitter beklagt.

Scharfe Mahnung zum offenen Bekennen des Evangeliums.

Sehr erfreulich war es uns, liebste Brüder, als wir Nachricht erhielten von der guten Hoffnung, die der Herr Euch gab auf Wiederherstellung der reinen, evangelischen Lehre bei Euch samt der Möglichkeit, ihn in reiner Art anzurufen, zu verehren und zu verherrlichen. Deshalb tut es uns nicht wenig leid, dass Eure Furchtsamkeit und Euer Kleinmut Euch so gefesselt hält, ja Euch so eiskalt lässt, dass Ihr nicht, wie es sich gehörte, bezeugt, wie hoch Ihr so unvergleichliche Dinge zu schätzen wisst. Weit entfernt Fortschritte zu machen, geht Ihr vielmehr zurück und verschließt geradezu der Gnade Gottes die Tür. Versammlungen kommen bei Euch nicht mehr zustande; den Psalmengesang unterlasst Ihr; die frommen Übungen zum Lobe Gottes gelten bei Euch nichts mehr, wie ich höre. Wir wissen, es kommt das von den Drohungen der Gegner; aber wenn Ihr Eure Lage vergleicht mit der so vieler Brüder an andern Orten, die unter dem drückendsten Joche stehen und doch nicht ablassen, das Brot des Lebens zu fordern, wer könnte da Euren schmählichen Kleinmut entschuldigen, wenn Euch das geringste Verbot so einschüchtert, dass Ihr ihm bei Euch gleich Glauben schenkt und Geltung verschafft? Es ist sehr zu befürchten, dass Ihr, wenn Ihr Euren Fuß zurückzieht, ganz vom Wege abirrt. Es ist freilich ein alter Übelstand, dass sich einzelne von der Gemeinde zurückziehen; nicht umsonst sagt der Apostel dagegen Hebr. 10, 25: Lasset uns nicht verlassen unsere Versammlungen, wie etliche pflegen. Da in dieser Mahnung gleich das Heilmittel gegen diesen Übelstand angegeben ist, für das auch wir sorgen müssen, so müssen wir umso mehr darauf achten, dass wir der Gemeinde angegliedert bleiben, mit der der Herr uns einmal in seiner unendlichen Güte verbunden hat. Leset auch, was derselbe Apostel Hebr. 12, 4 sagt: Ihr habt noch nicht bis aufs Blut widerstanden. Gebt Euch also Mühe, alle Hindernisse zu überwinden, die Euch der Satan in den Weg legt, um Euch von Eurer Pflicht abwendig zu machen. Bedenkt das Ziel Eurer Berufung durch das Evangelium, damit Ihr sie selbst schätzen lernt. Bedenkt auch, ob es wirklich der Mühe wert sein kann, dies hinfällige, vergängliche Leben so teuer zu erkaufen? Und schließt daraus, welche Verehrung der Sohn Gottes von Euch verdient, der sich Euch anbietet; wie Ihr nach dem Himmelreich trachten sollt, das Euch offen steht und was die geistigen Schätze wert sind, an denen teilzuhaben er Euch würdigt. Auch dürft Ihr ja nicht meinen, Ihr weichet keineswegs von Eurem evangelischen Bekenntnis ab, wenn Ihr Euch durch den Angriff der Gegner von Eurer bisherigen Art und Weise abbringen lasset. Der Herr hat doch nicht umsonst das regelmäßige Hören seines Wortes angeordnet und gewollt, dass es ständiger Brauch bliebe! Denn wäre es erträglich, wenn wir, die wir keinen Augenblick vorübergehen lassen, ohne uns für unsere Leibesnahrung zu sorgen und zu bemühen, da, wo es sich um Leben und Speise der Seele handelt, so nachlässig und vergesslich erfunden würden? Zu solcher Seelenspeisung bietet sich allen ja Gelegenheit, die Ihr umso weniger vernachlässigen oder auch nur unvollkommen benützen dürft, da Ihr sie ja so ganz deutlich zur Hand habt. Wie viele fromme Seelen hungern danach, und wenn ihnen einmal solche Gelegenheit geboten würde, so loderte in ihnen ein ganz anders heißer Eifer auf als bei Euch! Also wacht auf, Liebste, von Eurem Schlafe, wenns auch spät ist; fasst neuen Mut, den Werkzeugen Satans Trotz zu bieten, und lasst Euch in keiner Weise Eure Freiheit rauben. Der Herr, der uns eines solchen Vorrechts gewürdigt hat, dass wir ihn Vater nennen dürfen, heißt uns aber auch mit zuversichtlichem, hohem Mute dieses Vorrecht bekennen. Wir könnens auch nicht verschweigen, dass es scharfen Tadel verdient, wenn Eure Häuser sich dem Worte Gottes und seinen Dienern kaum öffnen. Ihr wendet ein, es sei doch verboten. Wenn aber der Herr Euch solche Ehre antut, dass er Eure Häuser zu seinem Tempel haben und sie zu so heiligem Gebrauch weihen will, darf dann diesem Willen Gottes gegenüber irgendein Mensch menschliches Verbot etwas gelten? Wenn es bei Todesstrafe verboten wäre, wäret Ihr dann etwa noch geneigter zum Abfall? Ihr sorgt ganz schlimm für Euch, wenn Ihr diesem Kunstgriff Satans nicht zuvorkommt, durch den er Euch Eure gute Gelegenheit zu entreißen gedenkt, und ist sie einmal Euren Händen entglitten, so bekommt Ihr sie nicht wieder. So werde denn die Erinnerung an Eure bisherige Schwäche begraben und dafür gesorgt, dass Ihr Euch nicht durch Undankbarkeit auch noch um das Gute bringt, was Ihr noch in der Hand habt. So fahret denn auf dem Wege fort, den Ihr nach Gottes Willen betreten hattet, und das stehe bei Euch allen fest: Gottes Wahrheit verdient es, allen Annehmlichkeiten dieses Lebens vorgezogen zu werden, und hinter seiner Ehre und seinem Dienst muss alles, was Euch davon abhalten könnte, weit zurücktreten. Wir hoffen, unsere knappe Schreibweise werde recht verstanden und gut aufgenommen von Euch; unsere Sorge um Euer Seelenheil hat sie uns diktiert, und die Notwendigkeit hat uns gezwungen, Euch etwas anzustacheln. Der Herr stärke Euch, Liebste, mit der unüberwindlichen Kraft seines Geistes; er führe Euch so, dass sein heiliger Name verherrlicht werde an Euch; er umfasse Euch in einzigartiger Weise mit seinem Schutze.

19. Juli 1559.

Calvin, Jean – An die Evangelischen in Metz.

Nr. 580 (C. R. – 2955)

Metz, obwohl in französischer Macht, gehörte nominell noch zum deutschen Reich; so suchte die trotz der Guisen entstandene evangelische Gemeinde ihren Schutz bei deutschen Fürsten. Sie hatte Calvin gefragt, ob sie es wagen dürfe, schon ehe sie dieses Schutzes sicher sei, offen aufzutreten. 1543 war den Metzer Evangelischen vertragsmäßig freie Religionsübung in einer Kirche der Stadt zugestanden worden. Antoine de Dommartin in Neuchatel (vgl. 569) interessierte sich für die Gemeinde in Metz und hatte ihr einen Prediger namens Pierre Villeroche gesandt. Über Pierre Alexandre, französischen Pfarrer in Straßburg, vgl. 457.

Eigenes Handeln besser als Verlass auf Fürstenhilfe.

Sehr geliebte Herren und Brüder, nachdem wir Herrn de Dommartin gehört und auch Eure schriftliche Darstellung der Verhältnisse gelesen haben, scheint es uns, Ihr tätet am besten, in Gottes Namen mit öffentlichen Versammlungen zu beginnen, sowohl zum Gebet als auch zur Belehrung in seinem Wort; denn nur so gelangt Ihr in den Besitz und gebt Anlass zu der Hilfe, die Ihr braucht, nämlich dass der Pfalzgraf und die anderen Fürsten sich der Sache annehmen. Denn tut Ihr nicht in Metz selbst etwas, so wird – glaubt mir – alle fremde Verwendung für Euch sehr kühl herauskommen, so sehr man sich darum bemüht. Erstlich wissen wir nicht, ob der Pfalzgraf dazu zu bringen wäre, beim König um Versammlungsfreiheit für Euch zu bitten; denn damit gäbe er sich den Schein, als anerkenne er die Usurpationspolitik Frankreichs Eurer Stadt gegenüber. Aber den Fall angenommen, es sei dies bereits erreicht, so seht, ob es nicht eher ein Rückschritt als ein Fortschritt wäre, denn ein solches Bittgesuch wäre bald abgeschlagen und irgendein Schreiber fände leicht allerlei Vorwände, dass man gar nicht darauf einträte. Dagegen zettelte dann der König in Metz selbst neue Ränke an, um Euer Vorhaben zu hintertreiben, und ihr wäret weiter vom Ziele als je. Deshalb ist es vor allem nötig, dass Ihr Euch einfach in Besitz des Versammlungsrechts setzt, damit Ihr dann von den Fürsten darin begünstigt und unterstützt werdet. Übrigens sind wir der Meinung, beides sollte zugleich geschehen, nämlich dass Ihr beginnt, durch Versammlungen in einem Privathaus den Wunsch nach der reinen, evangelischen Lehre zu äußern, und während dem bereits jemand wisst, der bei den Fürsten darauf hinarbeitet, dass sie Eure Sache an die Hand nehmen. Wir sehen wohl, dass das Versammlungsverbot, das man gegen Euch erlassen hat, dem Wagnis, etwas zu beginnen, ehe Ihr fremder Hilfe sicher seid, stark im Wege steht. Aber wenn möglich, müsst Ihr diese Versuchung überwinden; denn habt Ihr nicht den Mut, Euch offen zu erklären, so wird sich kein Fürst finden, der mit der Sache zu tun haben will, und wenn sie sich sogar für Euch verwendeten, würde es nichts nützen. Werdet Ihr übrigens wegen der Übertretung des Versammlungsverbots gescholten und bedrängt, so könnt Ihr Euch damit entschuldigen, dass Ihr es nicht verletzt zu haben glaubt, da Ihr ja die Staatsordnung nicht stört, sondern nur von der Freiheit Gebrauch macht, die Euch im Vertrag von 1543 gewährleistet worden ist. Dass dieser Vertrag Euch hilft, könnt Ihr ruhig behaupten, da ja, was seither unter den Ständen des deutschen Reichs beschlossen worden ist, ihm durchaus entspricht. Ihr könnt auch darauf hinweisen, dass der König, insofern er sich Protektor von Metz nennt, Euch an Eurer Freiheit nicht hindern darf und ebenso wenig sein Kronrat, da der König [als Protektor von Metz] Glied des deutschen Reiches ist. Immerhin wird es meines Erachtens das beste sein, als Prediger einen Mann zu wählen, der nicht seiner Herkunft nach Untertan des französischen Königs ist, damit man sich nicht so kühn an ihn wagt. Wäre es möglich, mit Erlaubnis der gnädigen Herren von Straßburg Mag. Pierre Alexandre zu erhalten, so wäre das das Beste; denn er ist Bürger ihrer Stadt, und sie hätten damit mehr Anlass, sich der Sache anzunehmen. Ihr dürft zwar glauben, dass auch jeder von uns bereit wäre, sich für Euch hinzugeben bis ans Ende; aber ein besonderer Grund hindert uns daran, nämlich dass einige Tollköpfe in Deutschland unter dem Vorwand, dass wir ihrer phantastischen Lehre von der leiblichen Gegenwart Jesu Christi im Abendmahlsbrot nicht beipflichten, uns heftigere Gegner wären als die Papisten. So wollen wir, da es für den Augenblick besser ist, sich ruhig zu verhalten, Euch nur raten, was wir an Eurer Stelle täten. Macht es Schwierigkeit, von den gnädigen Herren von Straßburg für Mag. Pierre Alexandre Urlaub zu erlangen zu einem solchen Versuch in Metz, so müsste man die Fürsten in diesem Fall ersuchen, die Straßburger heimlich zu ermahnen und aufzufordern; denn wir sind überzeugt, sie tun es, wenn sie sich dazu ermächtigt sehen. Das ist so im großen und ganzen das Vorgehen, das wir für das beste und praktischste halten, und da Euch seine Schwierigkeiten Bedenken machen könnten, so bitten wir Euch, zu erwägen, dass es Gottes Sache ist, in der man sich nicht feige zeigen darf. Vielmehr vertraut auf ihn, er wird in seiner Macht dahin wirken, dass es einen bessern Ausgang nimmt, als Ihr nur ahnen könnt; denn es handelt sich um die beiden Dinge, die ihm am meisten gelten, seine Ehre und das Heil seiner Kirche. Ihr dürft nicht zweifeln: wenn Ihr daran arbeitet, seinen Dienst wiederherzustellen und für seine Anbetung und für Verkündigung der Lehre des Lebens unter Euch zu sorgen, dann wird er seine starke Hand über Euch halten. Und hat Euch bisher Furcht gehindert, Eure Pflicht zu tun, und der heiligen Wahrheit Gottes die Tore von Metz verschlossen gehalten, so gebt Euch Mühe, die Fehler der Vergangenheit wieder gut zu machen. Da wir unsrerseits nicht mehr tun können, werden wir mit Euch kämpfen in unserm Gebet, wie wir den lieben Gott und Vater der Barmherzigkeit bitten, Euch in seiner Hut zu halten, Euch zunehmen zu lassen an allen Geistesgaben, Euch zu leiten durch seinen Geist und Euch zu stärken zu unüberwindlicher Standhaftigkeit, damit er verherrlicht werde.

Den 10. September [1558].