Martin Luther an den sehr gelehrten Theologen und Philosophen Johannes Eck, Prokanzler der Universität Ingolstadt und Kanoniker des Bistums Eichstätt, seinem besonderen Freund.
Es sind an mich gewisse »Obelisci« gelangt, in denen Du versucht hast, meine Thesen über den Ablaß zu widerlegen. Das ist der Beweis für Deine treue Freundschaft, die Du mir kürzlich angeboten hast, ja für Deine christliche Liebe, der zufolge wir gehalten sind, den Bruder zuerst zu ermahnen, ehe wir ihn verurteilen. Wie sollte ich als aufrechter Mensch glauben oder ahnen können, daß Du so hinter meinem Rücken vorgehen würdest, der Du mir so ins Angesicht hinein geschmeichelt hast? Du erfüllst somit das Wort der Schrift: »Wer dem Menschen den Friedensgruß entbietet, in seinem Herzen aber Böses sinnt.« Ich weiß, daß Du nicht willst, daß Dir so von meiner Seite geschieht; trotzdem tatest Du es und konntest es tun; sieh zu, was Dein Gewissen dazu sagt.
Vollends aber wundere ich mich, daß Du als einziger die Stirn hast, über meine Thesen zu urteilen, bevor Du sie kennengelernt und begriffen hast. Bester Beweis für Dein unüberlegtes Handeln ist, daß Du Dich allein für einen Theologen hältst und für so einzigartig, daß alle Deine Meinung allen anderen vorziehen sollen, daß darüber hinaus alles verdammt ist, was Du an Unverstandenem verdammt hast, weil es Eck nicht gefällt. Ich bitte Dich, laß wenigstens Gott leben und über uns herrschen.
Aber um nicht allzusehr mit Dir, der Du gänzlich erbittert über mich bist, zu streiten, habe ich Dir hier »Asterisci« gegen Deine »Obelisci« gesandt, damit Du Deine Unwissenheit und Unüberlegtheit erkennst; ich will mit diesen jedoch dadurch Dein Ansehen schonen, daß ich jene nicht im Druck herausgeben, sondern sie Dir nur privat zuleiten wollte, um Dir nicht das Üble, das Du mir angetan hast, zu vergelten. Nur für Wenzeslaus Link habe ich sie geschrieben, durch den ich die »Obelisci« empfangen habe, so daß Du die »Asterisci« aus seinen Händen erhältst.
Im übrigen hätte ich sorgfältiger und maßvoller oder auch entschiedener gegen Dich geschrieben, hätte ich das Ganze veröffentlichen wollen. Solltest Du an dem Glauben an Deine Nichtigkeiten weiterhin festhalten, schreib es nur nieder; ich werde Dir mit nicht geringerem Glauben entgegentreten. Vielleicht werde ich Dich dann nicht mehr schonen, obgleich, Gott weiß es, ich viel lieber wollte, daß Du zur Einsicht kommst und, wenn Dir etwas an mir mißfällt, Du zuerst vertraulich mit mir sprichst, wie es sich – das solltest Du wissen – für einen Theologen gehört. Eine ein wenig in Zorn geratene Dirne würde nicht in solcher Art und Weise ihre Schimpfworte und Ehrabschneidungen ausspeien, wie Du es mir gegenüber getan hast! Und bis jetzt bereust Du nichts, sondern rühmst Dich dessen und meinst, recht getan zu haben.
Du hast jetzt die freie Wahl: wenn Du willst, bewahre ich Dir meine Zuneigung und werde Deinen Angriff fröhlich herunterschlucken; jedoch weißt Du (wie ich sehe) von der Theologie wenig mehr als leere Hülsen von Meinungen der Scholastiker. Was Du gegen mich ausrichten wirst, sollst Du dann erkennen, wenn Du beginnst, dem Frieden Krieg und der Liebe blindes Wüten vorzuziehen.
Der Herr aber verleihe Dir und mir eine gute Gesinnung und lasse es uns beiden wohl ergehen! Ich lege für meine Person trotz der erlittenen Kränkung die Waffen nieder, nicht aus Furcht vor Dir, sondern vor Gott; danach werde ich keine Schuld auf mich laden, wenn ich gezwungen sein sollte, mich öffentlich zu verteidigen. Aber das sind gutgemeinte Worte.
Leb wohl!
Aus Wittenberg, 19. Mai 1518.