Calvin, Jean – An seine Anhänger in Genf.

Calvins Partei wollte trotz der Versöhnung ihrer neuen Pfarrer mit den Reformatoren nichts von ihnen wissen; Saunier unterhandelte in Straßburg mit Calvin wegen der Abendmahlsgemeinschaft und seinem Pfarramt.

Von der Würde des Dienstes am Wort, die auch den jetzigen Pfarrern von Genf gebührt.

Die Barmherzigkeit unseres Gottes und die Gnade des Herrn Jesu Christi erweise sich Euch vielfach durch die Gemeinschaft des heiligen Geistes.

Nichts hat mich, geliebteste Brüder, tiefer betrübt seit den Stürmen, die Eure Kirche so kläglich zerrissen und fast umstürzten, als da ich von Eurem Zank und Streit mit den Pfarrern, unsern Nachfolgern, hörte. Wenn das Unrichtige, das mit ihrem Amtsantritt verbunden war und auch jetzt noch darin liegt, Euch auch mit Recht ärgern könnte, so kann ich, es mag als Anlass vorliegen, was will, doch nicht ohne großen und mein Innerstes erschütternden Schrecken hören, dass immer noch eine Art Schisma in Eurer Kirche besteht. Deshalb war es mir schon schmerzlicher, als ich mit Worten sagen konnte, als ich von Eurem Streit hören musste, solange die Verhältnisse bei Euch noch unentschieden waren, da dadurch nicht allein Eure Kirche zerrissen wurde, ganz öffentlich, sondern auch das kirchliche Amt selbst der Schmach und Schande ausgesetzt, und das ist von allergrößter Bedeutung. Da ich nun jener Unordnung wegen, die auch jetzt noch in der Kirche Gottes herrscht, wenig Hoffnung auf eine Heilung des gegenwärtigen Krankheitszustandes hatte, erfuhr ich mit umso größerer Freude, der üble Zustand habe mit einer Art Vereinigung und Verständigung vertauscht werden können, und schloss daraus, es könne noch geschehen, dass alle wieder ins rechte Geleise kämen, und so das Reich unseres Herrn Jesu Christi gefördert werde. Denn wo Streit und Zwietracht ist, da ist kaum Hoffnung auf Fortschritte zum Bessern. Da ich mir also einen bestimmten Erfolg aus dieser Versöhnung versprach, war ich leicht dazu zu bewegen, zu ihrer Befestigung auch meinerseits behilflich zu sein. Denn wenn ich mitten in den schwersten Stürmen nach dem Urteil meines Gewissens und meinem bestimmten Vorsatz mich stets eifrig bemühte, Einigung in der Kirche zu erreichen und zu erhalten, so musste ich umso mehr meine Liebe für die Frommen zeigen, als sich dazu so gute Gelegenheit bot. Ich sah freilich damals Eure Verhältnisse für so verwirrt an, dass es mir gar nicht so leicht schien, sie wieder in Ordnung zu bringen und zu verbessern. Immerhin hielt ich jenen Anlass für die erwünschteste und günstigste, von Gott gebotene Gelegenheit zur Wiederherstellung Eurer Kirche. Jetzt aber höre ich, dass gegen meine Erwartung die Versöhnung Eurer Pfarrer mit den Nachbarkirchen, die Farel und ich für ganz gültig ansahen, noch nicht genügt hat, Euch durch das ehrliche Gefühl der Freundschaft und das Band gesetzmäßiger Zusammengehörigkeit mit Euren Pfarrern zu verbinden, denen doch Eure Seelsorge anvertraut ist. Daher sah ich mich genötigt, Euch zu schreiben, ich wolle nach Möglichkeit auf Heilung dieses Übels hinarbeiten, das ich nicht anders nennen könne, ohne schwere Sünde gegen Gott. Obwohl nun mein Brief von Euch damals nicht sehr liebenswürdig aufgenommen wurde, so wollte ich doch auch weiterhin meine Pflicht nicht versäumen, um, wenn ich nicht mehr erreichte, doch mein Gewissen zu entlasten. Auch ist mir nicht zweifelhaft, dass Ihr (ich habe es erfahren), geneigt seid, Gott und seinen Dienern zu gehorchen, so dass ich nicht fürchten muss, meine Mahnung habe für Euch gar kein Gewicht, und ebenso wenig ist mir Eure Treue gegen mich verborgen. Dass Ihr aber [bis jetzt] meinen Rat nicht angenommen habt, muss ich wohl mehr auf Rechnung der Zeitlage setzen, da die Verhältnisse zu verwirrt waren, als dass es leicht gewesen wäre, zu erkennen, was nützlich war. Jetzt da die Verhältnisse ruhiger und geordneter sind, traue ich Euch zu, Ihr werdet leicht einsehen, dass nichts anderes mein Vorsatz ist, als Euch wieder auf den rechten Weg zu führen. Dann könnt Ihr, mir vertrauend, an der Sache selbst zeigen, wie Euch die Liebe dazu führt, der Wahrheit zu gehorchen. Zuerst erwägt, bitte, absehend von aller Beurteilung der einzelnen Personen, wie der Herr die Leute, die er in seiner Kirche als Hirten und Diener am Wort einsetzt, mit Ehre angetan und was er ihnen verliehen hat. Denn nicht nur befiehlt er, wir müssten seinem Wort selbst, wenn es uns verkündet wird, mit Furcht und Zittern Gehorsam leisten, sondern er will, dass man auch die Diener am Wort ehre und hoch achte als geschmückt durch seinen Auftrag, ja er will sie anerkannt haben als seine Engel (Mal. 2, 7; 2. Kor. 5, 20; 1. Thess. 5, 13). Gewiss, solange wir bei Euch waren, haben wir nicht viel mit Euch disputiert über die Würde unseres Amtes, um nicht einem falschen Verdacht Tür und Tor zu öffnen; jetzt, wo ich außer dieser Gefahr stehe, kann ich frei heraus sagen, was ich meine. Hätte ich mit den Pfarrern zu reden, so würde ich ihnen zeigen, was ihres Amtes Sinn sei, und wozu sie Euch in ihrem Dienste verpflichtet seien. Da aber schließlich jeder, Pfarrer wie Laie, für sein eigenes Leben selbst wird Rechenschaft geben müssen, so ists besser, jeder schaue auf sich, was er Andern schuldet, als lange zu forschen, was ihm die Andern schuldig sind. Habt Ihr dieser Überlegung einmal Raum gegeben in Euch, so wird auch das als feste Regel bei Euch gelten, dass Ihr die im Amte stehenden Diener am Wort, solang die Sorge für Eure Seelen ihnen anvertraut ist, ansehen müsst wie Eure Väter, und sie wert halten und ehren um des Amtes willen, das sie an Euch verwalten nach der Berufung Gottes. Das zielt aber nicht dahin, als wollte ich Euch das Recht rauben, das Gott Euch wie all den Seinen gegeben hat, alle Pfarrer einer Prüfung zu unterwerfen, damit Gute und Böse unterschieden werden und die abgewehrt werden, die unter der Maske von Hirten sich als räuberische Wölfe zeigen. Nur das will ich, dass bei denen, die ihre Pflicht als Pfarrer so weit erfüllen, dass sie erträglich sind, auch Ihr Euch christlich aufführt und mehr in Rechnung zieht, was Ihr Andern schuldet, als was Andere Euch schulden. Das will ich offen und kurz erledigen. Zweierlei müsst Ihr dabei bedenken: erstens, dass die Berufung Eurer [jetzigen] Pfarrer auch nicht ohne Gottes Willen geschehen ist. Denn obgleich die Änderung, die durch unsern Weggang veranlasst wurde, den Ränken des Teufels zuzuschreiben ist, und deshalb alles, was daraus erfolgte, Euch mit Recht verdächtig sein könnte, so ist doch darin eine besondere Gnade des Herrn zu erkennen, dass er Euch nicht ganz zugrunde gehen ließ, noch zurücksinken unter das Joch des Antichrists, von dem er Euch einmal frei gemacht hat. Vielmehr wollte er, dass bei Euch die evangelische Lehre bestehen bleibe und bis heute eine Form der Kirche gelte, unter der man mit ruhigem Gewissen leben kann. Wir haben Euch immer gemahnt, den Umsturz Eurer Kirche anzusehen als eine Heimsuchung, die nötig war für Euch wie für uns, und nicht so sehr den Bösen und den Werkzeugen Satans anzurechnen, als vielmehr Euern eigenen Sünden, die keine leichtere Strafe, vielmehr eine noch viel schwerere verdient haben. Dasselbe rate ich Euch also auch jetzt. Denn ganz abgesehen davon, dass das ein ganz vorzügliches Heil- und Hilfsmittel ist, Barmherzigkeit zu erlangen vom Herrn und Befreiung von seinem gerechten Euch beschwerenden Urteil, so habt Ihr noch einen zweiten Grund, der Euch zu solchen Gedanken bringen sollte. Nämlich, es sollte nicht scheinen, als vergäßet Ihr die große Wohltat des Herrn an Euch, durch die es geschah, dass der Bau des Evangeliums bei Euch nicht ganz zusammenstürzte, da er ihn so unterstützte, dass man diesen Beweis seiner Macht wahrhaft für ein Wunder halten muss, durch das allein Ihr vor dem höchsten Unglück bewahrt bliebet. Was es auch sei, ein Werk der Vorsehung Gottes ist es gewiss, dass noch Pfarrer da sind, die das Seelsorgeramt und die Leitung Eurer Kirche innehaben. Dazu kommt noch, dass die Knechte Gottes, die den Dienst an seinem Wort in den Nachbarkirchen tun, zur Beschwichtigung Eures verderblichen Streitens selbst die Berufung [Eurer Pfarrer] anerkannten. Zu ihrer Meinung haben auch wir unsere Unterschrift gegeben, weil wir keinen besseren Weg sahen, für Euren Nutzen und Euer Heil zu sorgen. Dass Ihr unsere Ehrlichkeit aus Erfahrung kennt, glaube ich gewiss, so dass ihr feststellen musstet, dass wir das durchaus freiwillig und aufrichtig getan haben. Abgesehen von meiner Liebe [zu Euch], habe ich auch die Sache selbst ernstlich und offen geprüft, damit Ihr von mir da gar nichts Unklares denken könnt. Deshalb schaut ernstlich zu, dass Ihr nicht leichthin verwerft, was Gottes Knechte als notwendig zu Eurem und der Kirche Nutzen und Bewahrung erachteten. Zweitens müsst Ihr darauf sehen, ob sie gesetzmäßig ihr Amt verwalten, ihre Dienstpflicht der Gemeinde gegenüber zu erfüllen. Hier aber, das gebe ich zu, ist zu fordern, dass einfach abgelehnt wird (ich möchte nicht verursachen, dass irgendeine Tyrannei in der Kirche eingeführt werde), dass fromme Leute solche zu Pfarrern haben, die ihrem Beruf nicht nachkommen. Denn es ist eine unerträgliche Schande, wenn gewissen Leuten [als solchen] die Ehrfurcht und der Gehorsam entgegengebracht werden sollen, die der Herr selbst nur denen, die wirklich Diener seines Wortes sind, zuerkannt haben will. Das gebe ich ohne weiteres zu für jeden, der nicht das Wort unseres Herrn Jesu Christi predigt: er mag Titel oder Vorrecht beanspruchen, welche er will, unwürdig ist er, für einen Pfarrer zu gelten, unwürdig, dass man ihm den Gehorsam erweise, den man dem Dienst am Worte schuldig ist. Weil aber feststeht, dass von unsern Brüdern, die heute bei Euch im Dienste am Wort stehen, das Evangelium gepredigt wird, so sehe ich nicht ein, womit Ihr es vor Gott entschuldigen wollt, dass Ihr sie vernachlässigt oder verwerft. Antwortet etwa einer, dies und jenes in ihrer Lehre und ihrem Leben gefalle ihm nicht, so fordere ich zunächst von Euch durch unsern Herrn Jesum Christum, dass Ihr, was es auch sei, zuerst ernstlich überlegt, ohne Euer Urteil zu überstürzen. Denn wenn wir um der Liebe willen einer dem andern schuldig sind, nicht kühnlich ein Urteil über andere zu fällen, sondern, soviel wir können, mild und gerecht zu bleiben, um wie viel mehr müssen wir solche Mäßigung denen gegenüber beobachten, denen der Herr eine besonders hervorragende Stellung vor andern gegeben hat. Auch wenn genug wäre, was sie zu wünschen übrig ließen (ich kann darüber nicht reden, weil ich darüber nicht im Klaren bin), so muss Euch doch der Gedanke helfen, dass man keinen so vollkommen findet, an dem nicht noch vieles zu wünschen wäre. Deshalb kommen wir dem genannten Gebot der Liebe nicht nach, wenn wir unsere Nächsten nicht samt ihren Schwächen tragen, so wir nur Gottesfurcht an ihnen sehen und den ehrlichen Willen, nach der Wahrheit zu streben. Schließlich kann ich daran keinen Zweifel hegen (und das geht ihre Lehre an), dass sie Euch die Hauptartikel des christlichen Glaubens treulich verkünden, und was zum Heile nötig ist, und zugleich die Verwaltung der Sakramente des Herrn damit verbinden. Wo das stattfindet, da steht auch das eigentliche Wesen des vom Herrn Jesu Christo eingesetzten Amtes in Kraft und ist diesem Dienste auch die ihm gesetzmäßig gebührende Ehre zu geben und Gehorsam zu leisten. So bitte ich Euch nun, geliebteste Brüder, und mahne Euch im Namen und in der Vollmacht unseres Herrn Jesu Christi, lasst uns Sinn und Geist von den Menschen weg auf ihn, unsern einzigen Erlöser, richten und das bedenken, was wir schuldig sind, seinen heiligen Geboten darzubringen. Wenn er unter Euch etwas aufgerichtet hat, so muss das mit Recht unverletzt bleiben; kein Grund soll Euch von Eurer Pflicht abbringen, das Amt, das er Euch so ernstlich anempfiehlt, in gutem Stande zu halten.

Wenn Ihr aber mit Euern Pfarrern disputiert und streitet bis zu Händeleien und Schimpfreden, wie es geschehen sein soll, so ist sicher, dass dadurch ihr Dienst, in dem der Glorienschein unseres Herrn Jesu Christi leuchten sollte, dem Schimpf und der Schande ausgesetzt, ja fast mit Füßen getreten wird. Es ist deshalb Eure Pflicht, Euch sorgfältig zu hüten, dass Ihr nicht im Glauben, Menschen höhnen zu können, tatsächlich Gott selbst den Krieg erklärt. Und es darf Euch durchaus nicht unwichtig scheinen, ob in der Kirche Spaltungen und Sekten entstehen und gepflegt werden; ja kein Christenherz soll solches ohne Schrecken hören können. Dass solches aber wirklich der Fall ist, wo dergleichen Trennung ist und gleichsam ein Auseinandergehen von Pfarrer und Gemeinde stattfindet, das bezeugt Eure Lage selbst. Schließlich also vernehmt noch das. Wenn Ihr mich für Euern Bruder halten wollt, so sei unter Euch eine feste Verbindung, die auch diesen Namen verdient, dass Ihr nicht den Dienst verschmäht, den ich zu Eurem Nutzen und zum Wohl der Kirche anerkennen musste, ohne auf Gnade oder Ungnade der Menschen zu achten. Weil die ganze Zeit, da mein treuer und frommer Mitarbeiter im Herrn hier war, so weit meine gewöhnliche Beschäftigung es erlaubte, der Besprechung [Eurer Verhältnisse] gewidmet war, konnte ich Euch nicht ausführlicher schreiben, wie ich vorhatte. Es wurde deshalb unter uns abgemacht, ich solle Euch in kurzen Worten den rechten Weg anweisen, den Ihr hier gehen sollt, er aber, wie es ihm gut schiene, Euch persönlich an Eure Pflicht mahnen. Indem ich hier also meinen freundlichen Gruß an Euch beifüge, bitte ich den Herrn Jesus, er möge Euch mit seinem heiligen Schutze bewahren, Euch mit seinen Gaben mehr und mehr überhäufen, Eure Kirche wieder in den rechten Stand bringen, und vor allem Euch erfüllen mit dem Geist seiner Milde, damit wir Alle uns in wahrer Geistesgemeinschaft dem Fortschritt seines Reiches widmen können.

Straßburg, 25. Juni 1539.
Euer ganz ergebener
J. Calvin.

Calvin, Jean – An seine Anhänger in Genf.

Hirtenbrief über Einigkeit und Selbstprüfung.

An meine geliebten Brüder im Herrn, die übrig geblieben sind aus der Zerstörung der Kirche in Genf.

Die Barmherzigkeit Gottes unseres Vaters und die Gnade unseres Herrn Jesu Christi werde stets größer für Euch durch die Gemeinschaft des heiligen Geistes.

Liebe Brüder, ich unterließ es bisher Euch zu schreiben in der Hoffnung, die Briefe unsers Bruders Farel, der die Aufgabe für uns beide übernommen hatte, könnten Euch genügen. Auch wollte ich, soviel wie möglich, die Gelegenheit Übles zu reden denen, die sie suchen, nehmen, damit sie nicht verleumderisch sagen können, wir suchten Euch an uns zu ziehen und so Euch festzuhalten in Eurer Parteinahme. Trotzdem konnte ich mich schließlich doch nicht enthalten, Euch zu schreiben, um Euch die Liebe zu zeigen, die ich stets für Euch behalte, und die Sorge, mit der ich im Herrn Euer gedenke, wie es meine Pflicht ist. Auch die Befürchtung, die mich bisher etwas zurückhielt, soll mich jetzt nicht mehr hindern, denn ich sehe wohl, dass der Vorwand, den die Boshaften daraus nehmen, uns zu schmähen, nichtig und eitel ist. Gott ist uns Zeuge und Euer Gewissen vor seinem Gericht, dass, solange wir unter Euch lebten, unser ganzes Bestreben war, Euch alle in Einigkeit und Eintracht zusammenzuhalten. Die, die sich von uns getrennt haben, um eine Partei für sich zu bilden und als solche zu handeln, die haben erst eine Spaltung eingeführt in Eurer Kirche wie in Eurer Stadt. Sobald wir die Anfänge solcher Pest wahrnahmen, strengten wir uns getreulich an als vor Gott, in dessen Dienst wir standen, Heilung [für solche Krankheit] zu finden. Deshalb verteidigt uns unsere Vergangenheit gegen alle Verleumdung der Art. Wenn wir nun jetzt durch unsern Verkehr mit Euch Anlass geben, dass Ihr uns im Gedächtnis behaltet, so kann uns daraus kein Vorwurf gemacht werden; denn unser Gewissen ist ruhig vor Gott, weil wir durch seine Berufung einstmals mit Euch verbunden waren. Deshalb darf es nicht in der Macht der Menschen stehen, ein solches Band zu zerreißen, und wie wir uns früher benommen haben, so hoffen wir uns geleitet vom Herrn zu halten, dass wir nicht Ursache sind zu Unruhe und Spaltung, es sei denn für die, die so verschworen sind gegen Jesum Christum und all sein Volk, dass sie gar keine Einigkeit mit seinen Knechten leiden mögen. Denn wenn Leuten dieser Art der liebe Heiland selbst Ärgernis und Beleidigung ist, was könnten wir anders sein, die sein Malzeichen tragen sollen, tief eingeprägt in unserer Seele und an unserm Leibe? Aber unser Trost ist, dass wir ihnen keine Ursache geben, wie unser guter Meister nicht gekommen ist, die Menschen aufzuhalten, sondern vielmehr der Weg zu sein, auf dem alle ohne Anstoß wandeln sollen.

Nun geliebte Brüder, da die Hand des Herrn, soviel ich höre, immer noch ausgereckt ist, Euch heimzusuchen, und da nach Gottes gerechter Zulassung der Teufel sich bemüht, unaufhörlich die Kirche zu zerstören, die unter Euch begonnen war, so ists wohl Not, Euch an Eure Pflichten zu erinnern. Nämlich zu erkennen und zu bedenken, dass, so groß die Verdorbenheit der Menschen sein möge, die Euch beunruhigen und bekämpfen, doch diese Angriffe auf Euch nicht so sehr von ihnen als vom Satan kommen, der sich ihrer Bosheit als Werkzeug bedient, Euch zu bekriegen. Daran erinnert uns der Apostel, wenn er sagt: wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, d. h. mit Menschen, sondern mit den Geistermächten der Luft und gegen den Fürsten der Finsternis [Eph. 6, 12]. Ihr wisst, wie notwendig es ist, den Feind zu kennen, um zu wissen, mit welchen Mitteln man ihm widerstehen soll. Wenn wir dabei Halt machen, gegen Menschen zu kämpfen, an nichts denken als an Rache und Vergeltung für das Unrecht, das sie uns tun, so ist zu bezweifeln, ob wir so siegen können. Oder vielmehr es ist ganz sicher, dass wir dann vom Teufel besiegt werden. Wenn wir dagegen keinen Kampf mit Menschen führen als den, dass wir gezwungen sind, sie zu Gegnern zu haben, soweit sie Widersacher Jesu Christi sind, sondern den Ränken des geistigen Feindes widerstehn, wohl ausgerüstet mit den Waffen, mit denen der Herr sein Volk bewehrt haben will, so brauchen wir nicht zu fürchten, wir könnten unterliegen. Deshalb, liebe Brüder, wenn Ihr wahrhaften Sieg wollt, so bekämpft das Böse nicht mit gleichem Bösen, sondern frei von aller bösen Leidenschaft lasst euch allein führen vom Eifer um Gott, der ein Maß empfängt durch seinen Geist nach Vorschrift seines Wortes.

Weiter müsst Ihr bedenken, dass diese Dinge Euch nicht geschehen sind gegen die Anordnung des Herrn, der auch durch die Bösen wirkt nach dem Plan seines guten Willens. Nun, diese Überlegung wird Euch ablenken von euern Feinden zur Betrachtung und Prüfung Eurer selbst und zwar zu solcher Prüfung, dass Ihr erkennt, wie sehr Ihr eine solche Heimsuchung Eurerseits verdient habt, als Züchtigung für Eure Nachlässigkeit, für die Verachtung oder Gleichgültigkeit gegen Gottes Wort, die unter Euch sich fand, für die Trägheit, ihm zu folgen und ihm rechten Gehorsam zu erweisen. Denn Ihr könnt nicht zur Entschuldigung anführen, solche Fehler aller Art seien bei Euch nicht vorgekommen, und wie leicht es Euch auch sein möchte, Euch vor den Menschen einigermaßen zu rechtfertigen, so wird vor Gott doch Euer Gewissen sich schuldbeladen fühlen. So haben es die Knechte Gottes gemacht in ihren Trübsalen, nämlich, woher diese auch kommen mochten, sie haben ihre Gedanken stets auf die Hand Gottes gerichtet und auf ihre eigenen Sünden, und haben in ihnen sogar die genügende Ursache erkannt, um derentwillen der Herr sie so demütigen musste. Daniel verstand wohl, wie groß die Verruchtheit des Königs von Babel war, das Volk Gottes zu zerstören und zu zerstreuen, bloß um seine Habgier, seinen Übermut und seine Grausamkeit zu befriedigen, wie feindselig es war, es ungerecht zu unterdrücken. Nichtsdestoweniger sah er, dass die Hauptursache in ihnen selbst lag, auch dass die Babylonier nichts wider sie vermocht hätten, außer durch die Zulassung des Herrn. So beginnt er um der guten Ordnung willen mit einem Bekenntnis seiner eigenen Schuld und der der Könige und des Volkes Israel. Wenn der Prophet sich so gedemütigt hat, so achtet darauf, ob ihr nicht viel größere Ursache dazu habt, und wenn er es nötig hatte, so zu tun, um Gottes Barmherzigkeit zu erlangen, welche Verblendung wäre es für Euch, stehen zu bleiben bei der Anklage gegen Eure Feinde, ohne Eure eignen Fehler zu erkennen, die weit größer sind als die des Propheten.

Was uns betrifft, wenn sichs drum handelt, unsere Sache zu verteidigen gegen ungerechte und verleumderische Menschen, die uns beschuldigen wollen, so weiß ich nicht allein, dass unser Gewissen rein ist zur Verantwortung vor Gott, sondern wir haben auch Beweise genug, uns zu rechtfertigen vor aller Welt. Diese Sicherheit haben wir bezeugt, als wir verlangten, uns zu verantworten selbst vor unsern Gegnern, über alles, was man uns vorwürfe. Es muss einer gut ausgerüstet sein mit Rechtfertigungsgründen, wenn er sich in solcher Weise anbietet, schwächer in allen andern Beziehungen, nur allein in seiner guten Sache sicher. Trotzdem, wenn es sich drum handelt, vor Gott zu erscheinen, so zweifle ich nicht daran, dass er uns so gedemütigt hat, um uns unsere Unkenntnis und Unvorsichtigkeit und all die andern Schwächen, die ich meinesteils wohl an mir spürte, sehen zu lassen, und es fällt mir nicht schwer, sie zu bekennen vor der Kirche des Herrn. Wenn wir das tun, so brauchen wir nicht zu fürchten, dass wir unsern Feinden einen Vorteil gegen uns verschaffen, denn Daniel hat den Nebukadnezar nicht gerecht genannt, wenn er den Sünden Israels die Bedrückung zuschreibt, die sie unter seiner Tyrannei zu leiden hatten, vielmehr hat er ihn getadelt, denn er hat gezeigt, dass er nichts war als eine Geißel des Zornes Gottes, wie auch der Teufel und seine Helfer. Auch ist keine Gefahr, dass wir unsere Sache dem Tadel und der Schande aussetzten. Denn wenn wir uns angeboten haben, Genugtuung zu leisten vor allen Kirchen, und zu beweisen, dass wir pflichtgemäß und treu unser Amt verwaltet haben, und uns noch Tag für Tag dazu anbieten, so ist das kein Zeichen, dass wir ihnen erlauben, an uns herum zu beißen und uns herunterzureißen. Wenn wir sie auch nicht hindern können zu schmähen, wie denn Einige von ihnen sich darin nicht nur von ihrer Maßlosigkeit, sondern von einer wahren Tollwut hinreißen lassen, so lassen wir, welche Verheißung uns gegeben ist, dass der Herr unsere Unschuld scheinen lassen wird wie den Morgenstern, und unsere Gerechtigkeit leuchten wie die Sonne. Dieses Vertrauen dürfen wir kecklich haben, wenns gilt, gegen die Ungerechten sich zu verteidigen, so sehr wir uns auch in Vielem vor der Gerechtigkeit des Herrn fürchten müssen. Doch wird uns der Herr in unserer Erniedrigung und Verwerfung nicht verlassen und uns seinen großen Trost nicht versagen, uns aufrecht zu halten und zu stärken. Ja, wir haben ihn schon ganz gegenwärtig, wenn es in der Schrift heißt, dass die Züchtigung, die er seinen Knechten schickt, zu ihrem Wohl und Heile dient, wenn sie sie nämlich wohl verstehen. Kehrt, liebste Brüder, immer wieder zu diesem Trost zurück! So sehr sich die Feinde bemühen, eure Kirche zu zertrümmern, so sehr Eure Fehler und Sünden mehr, als ihr tragen könntet, verdient haben, so wird doch unser Herr den Strafen, die er euch gesendet hat, ein solches Ziel setzen, dass sie euch heilsam sein werden. Sein Zorn gegen seine Kirche, der zu nichts anderm dient, als sie zum Guten zurückzuführen, geht rasch vorbei, sagt der Prophet. Seine Barmherzigkeit aber ist ewig, und sogar für zukünftige Geschlechter, denn von den Vätern erstreckt sie sich auf Kinder und Kindeskinder. Schaut eure Feinde an, Ihr seht deutlich, dass alle ihre Wege auf Verwirrung ausgehen, und trotzdem kommts ihnen vor, sie seien jetzt zu Ende mit ihrem Unternehmen. Lasst Euch also nicht entmutigen, weil es dem Herrn gefallen hat, Euch für eine Zeitlang zu erniedrigen; denn er ist nicht anders, als die Schrift von ihm bezeugt, nämlich der, der den Geringen und Verachteten aufrichtet aus dem Staube, den Armen aus dem Kote, die Freudenkrone reicht denen, die in Tränen und Trauer sind, der Licht spendet denen, die in Finsternis sitzen, der zum Leben erweckt, die ihm Todesschatten weilen. Hoffet also darauf, dass Euch der liebe Gott einen solchen Ausgang beschert, dass Ihr Anlass habt, ihn zu preisen und seiner Milde die Ehre zu geben. In dieser Hoffnung tröstet Euch und stärkt Euch, geduldig auszuhalten die Züchtigung von seiner Hand, bis es ihm wieder gefällt, Euch seine Gnade zu zeigen, was ohne Zweifel bald genug geschehen wird, da wir alles seiner Vorsehung überlassen dürfen, die die rechte Zeit kennt und besser weiß, was uns nützlich ist, was wir es verstehen.

Vor allem achtet darauf, zu wachen mit Bitten und Gebet. Denn wenn alle Eure Erwartung auf Gott gesetzt ist, wie sie soll, so habt ihr guten Grund, dass Euer Herz beständig zum Himmel erhoben ist, ihn anzurufen und um die Barmherzigkeit zu flehen, die ihr von ihm hofft. Merket, dass er oft nur deshalb aufschiebt, was seine Kinder wünschen, weil er sie antreiben und bewegen will, seine Güte zu suchen. So gewiss ist das, dass wir uns umsonst rühmen, wir hätten Vertrauen zu ihm, wenn wir nicht auch dadurch beweisen, dass wir bei ihm Zuflucht suchen im Gebet. Sicher ist, dass in unserm Gebet noch nicht genügend Eifer und Wärme ist, wenn wir nicht unaufhörlich darin fortfahren. Ich bitte den Herrn alles Trostes, Euch zu stärken und zu erhalten in guter Geduld, solang er euch in solcher Trübsal prüfen will, und Euch fest zu machen in der Hoffnung auf die Verheißungen, die er seinen Knechten gegeben hat, dass er sie nicht stärker versuchen wird, als sie ertragen können, sondern dass er mit der Demütigung auch die Kraft und den heilsamen Ausgang schenkt.

Straßburg, 1. Oktober 1538.
Euer Bruder und Diener im Herrn
J. Calvin.