Calvin, Jean – An Johann Kaspar von Nidbruck in Wien.

Nr. 518 (C. R. – 4181)

Nidbruck (vgl. 491) war ein Gönner des Magdeburger Theologen Flacius Illyricus, der in seinen „Centurien“ die Kirchengeschichte bearbeiten wollte; Nidbruck hatte Calvin den Plan dieses Unternehmens vorgelegt und ihn um Rat gebeten.

Über den Entwurf der Magdeburger Centurien.

Als ich letzten Herbst nach Frankfurt reiste, nahm ich, weil ich glaubte, dir von dieser Stadt bei Gelegenheit der Messe am ehesten einen Brief senden zu können, dein Schreiben mir, in dem du mir den Plan zur Abfassung einer Kirchengeschichte skizziert hattest. Dass du dann doch keinen Brief von mir erhieltest, das bitte ich dich, hochberühmter und von Herzen verehrter Mann, nicht nur den Geschäften, die dort beständig und ohne jeden Unterlass auf mir lagen, zuzuschreiben, sondern ich kann mich auch damit entschuldigen, dass die Nachricht, du seiest von Österreich abwesend und der Tag deiner Rückkehr sei unbestimmt, in mir eine gewisse Unlust zum Schreiben weckte, die mich bis zu meiner Abreise nicht verließ. Du wirst sagen, das sei doch kein genügender Grund, so zu zögern, und ich will es nicht einmal bestreiten; ich wollte vielmehr nur ehrlich berichten, was mich damals von meiner Pflicht abhielt. Nun, da mir ein zweites Exemplar des Planes zukommt, tut es mir leid, dass du doppelte Mühe gehabt, besonders weil es mir nicht möglich ist, deinen Wunsch ganz zu erfüllen. Du wünschest, ich möchte dir meine Ansicht über diese Frage ausführlich und genau mitteilen; nun glaube ich aber, weil die Aufgabe recht groß und schwer ist und ich mich nie damit befasst habe, kein geeigneter Beurteiler zu sein und wage keinen Spruch zu fällen, um mir nicht den Vorwurf der Unbedachtsamkeit zuzuziehen. In vertraulichem Gespräch wollte ich vielleicht schon einiges darüber äußern, aber auf eine schriftliche Darstellung verzichte ich, weil ich die Frage, die langes Studium erfordert, nicht reiflich genug überlegt habe, lieber, als dass ich eine Aufgabe übernehme, deren Anblick mich schon erschreckt. Dazu kommt, dass der Entwurf, den du mir sandtest, die Hand erfahrener Künstler verrät, so dass ich fürchten müsste, ihn zu verhunzen, wenn ich etwas daran feilen und glätten wollte. Damit du aber nicht meinst, ich schlage dir glattweg alles ab, so will ich nicht verhehlen, dass mir der Plan, einiges wenige ausgenommen, sehr gut gefällt. Wäre nur die Geschichte bereits in der Anordnung, wie du sie beschreibst, geschrieben, seine Zuverlässigkeit würde das Werk empfehlen und der geschickte Aufbau es schmücken! Obwohl es eine geradezu unglaubliche Arbeit sein wird, so freue ich mich doch schon sehr, auf ein so unvergleichlich wertvolles Werk hoffen zu dürfen. Übrigens, während ich in allem sonst dir beistimme, weiß ich nur nicht, ob es sich empfiehlt, je ein Jahrhundert in einem Buche zu behandeln; denn es kann geschehen, dass ein Jahrzehnt reicheren geschichtlichen Stoff bietet als ein ganzes Jahrhundert, und darum wird es sich, wenn ich mich nicht irre, als unpraktisch erweisen, zum voraus an eine bestimmte Zahl von Jahren in jedem Band gebunden zu sein; die größten Historiker haben sich schon die Freiheit genommen, ihre Bucheinteilung der gebotenen Fülle des Stoffes und nicht der Chronologie anzupassen. Du scheinst dies ja auch selbst bemerkt zu haben, da du für aus bestimmten Gründen herausgerissene Zeiträume eine Änderung beifügst; doch ist mein Wink vermutlich nicht überflüssig und unangebracht. Die Unterscheidung der Stoffgebiete, die du vorschlägst, ist zwar brauchbar, doch fürchte ich, sie zwingt zu Wiederholungen und ermüdet und langweilt dadurch die Leser. Denn man von der Ausbreitung der Kirche, von der Art ihrer Lehre und den Irrtümern nicht reden, ohne zugleich von den Hauptpersonen zu sprechen; auch von den Konzilien, die du in den zweiten Abschnitt verweisest, dabei zu schweigen, wäre widersinnig. So wird man zusehen müssen, dass sich nicht unangenehme Wiederholungen ergeben. Vielleicht wäre es die beste Art, dies zu vermeiden, wenn der Verfasser, wer er auch sei, zwar die Einleitung der Kapitel, die du klug und vorsichtig beachtet hast, stets vor Augen hat, aber doch den Lauf der Erzählung so disponiert und führt, dass er nicht unter sich natürlicher Weise zusammenhängende, so zu sagen miteinander sich ereignende, Geschehnisse allzu sklavisch trennt und dadurch die Leser langweilt und Finsternis verbreitet statt Licht. Denn bei deiner Klugheit weißt du wohl, dass sich zuweilen eine klarere Darstellung ergibt aus einer verborgenen oder scheinbar vernachlässigten Disposition als aus einer pedantisch gewählten und festgehaltenen. Weil übrigens doch die von dir aufgestellte Reihenfolge der Kapitel daraufhin angeordnet ist, dass daraus Meinung und Absicht des Geschichtsschreibers erhelle, so möchte ich, dass gerade diese Kapitel an den Anfang gestellt würden, als ein Ziel, das stets das Auge des Lesers auf sich zieht. Doch will ich nicht verlangen, dass du mir hierin beipflichtest; es genügt mir, wenigstens in gewisser Beziehung deinem Wunsche nachgekommen zu sein. Lebwohl, hochberühmter, sehr verehrter Mann. [Der Herr behüte und leite dich und] mache dich reich an allen seinen Segnungen.

Genf, 13. Februar 1557.
Dein
Johannes Calvin.