Nr. 685 (C. R. – 3562)
Giorgio Blandrata (vgl. 570, 571, 631, 634) war in Polen zu großem Ansehen gekommen, sogar ins Presbyterium der evangelischen Kirche aufgenommen worden; die Pfarrer von Wilna und Lismanino hatten daher nochmals versucht, Calvin für eine Aussöhnung mit ihm zu gewinnen, nachdem Blandrata auf mehreren polnischen Synoden seine Orthodoxie bezeugt hatte.
Abweisung des Versöhnungsversuchs mit Blandrata.
Was Ihr schreibt von der Pflege gegenseitiger Liebe unter uns, nehme ich gerne an, und ich wäre auch gerne bereit, Eurer frommen Mahnung zu Gefallen zu sein, wenn Ihr mir einen triftigen Grund angeben könntet, weshalb ich mich mit Giorgio Blandrata aussöhnen müsste. Dass ich unter der Adresse seiner Durchlaucht des Pfalzgrafen von Wilna Euch alle mahnte, Euch vor diesem schlimmen Menschen zu hüten, hat Euch schwer beleidigt. Es tut mir wirklich leid, dass, was ich aus aufrichtiger Liebe zu Euch und aus frommem Interesse an Eurem Seelenheil tat, Euch nicht gefallen hat. Doch was sollte ich tun? Ich habe wenigstens meine Pflicht getan, und es reut mich nicht, auch wenn es Euch beleidigt hat; denn die bittere Notwendigkeit zwang mich dazu. Ihr schätzt Blandrata sehr hoch, denn Ihr habt ihn als einen ganz untadeligen Mann kennen gelernt, der keiner Irrlehre verdächtig ist. Was ich von ihm öffentlich ausgesagt habe, das zeigt eben meine Vorrede, die Ihr mir so sehr vorwerft. Wenn er auch Euch nicht einmal einer Irrlehre verdächtig ist, für mich gilt er als völlig überführt, ja sogar in Gegenwart der hiesigen Gemeinde. Ihr glaubt mir nicht, warum sollte ich Euch eher glauben? Ihr müsst wirklich viel freie Zeit haben, dass Ihr um solcher Kleinigkeiten willen Synoden abhaltet. Die hervorragende Bedeutung Blandratas veranlasste Euch zu Eurem Schreiben, weil es ein entsetzliches Ärgernis wäre, wenn dieser Mann mich zu bekämpfen anfinge. So hat er doch die weite Reise nicht umsonst gemacht, wenn er sich solchen Ruhm erworben hat! Bei andern Völkern gilt er nichts; Ihr bewundert ihn, als ob er ein Engel vom Himmel wäre. Ich beneide Euch um dieses Vergnügen gar nicht. Ja, meinetwegen kann er bei Euch in allerhöchsten Ansehen stehen; nur seid dafür auch so gerecht, mir zuzugestehen, dass ich wohl weiß, was wir alle mehr als genug von ihm erfahren haben. Rede ich etwas scharf, so ists, weil Ihr mich dazu zwingt. Damit Ihr übrigens wisst, wie schlecht gewisse Leute in maßlosem Leichtsinn für Eure Kirchen sorgten, an deren Spitze sie diesen Blandrata stellten, so schicke ich Euch einen kurzen Abriss seiner ganzen Geschichte, aus dem Euch klar werden wird, dass ich nicht schweigen durfte in einer solchen Gefahr, wenn ich nicht treulos und verräterisch an Euch handeln wollte. Schenkt Ihr mir keinen Glauben, so tut es wenigstens gegenüber den Ältesten unserer italienischen Gemeinde und dem trefflichen Knechte Christi, Herrn Pietro Martire. Was Ihr nun auch beschließt, – ich will Euch offen sagen, dass es für mich keine Ehre ist, so mit Blandrata zusammen genannt zu werden, wie Ihr es getan habt. Lebt wohl, von Herzen geliebte und verehrte Brüder. Der Herr leite Euch mit seinem Geiste, halte Euch aufrecht mit unüberwindlicher Kraft und mache Euch reich an allen seinen Gaben.
Genf, 9. Oktober 1561.