Der Brief war wohl hauptsächlich an die Evangelischen in Paris gerichtet. Die Adresse lautet ganz allgemein:
Hirtenbrief über die Lage in Deutschland und Genf.
An meine sehr geliebten Herrn und Brüder, die den Fortschritt des Reichs unseres Herrn Jesu Christi wünschen. Die Liebe Gottes unseres Vaters und die Gnade unseres Herrn Jesu Christi sei allezeit mit Euch durch die Gemeinschaft des heiligen Geistes.
Sehr liebe Herrn und Brüder, ohne Zweifel erfahrt ihr täglich viel Neues von hier und von Deutschland, das denen Ärgernis geben könnte, die nicht ganz feststehen in unserm Herrn Jesu Christo. Aber ich traue auf Gott, er habe Euch so befestigt, dass Ihr dadurch nicht erschüttert werdet, noch durch irgendetwas größeres, das noch geschehen könnte. Denn wahrlich, sind wir erbaut auf dem festen Fels, der verordnet ist als Grundstein der Kirche, so können wir die schlimmsten Stürme und Gewitter aushalten, ohne umgeworfen zu werden. Ja es ist uns gut, dass solche Dinge geschehen zur Prüfung unserer Standhaftigkeit und Glaubensfestigkeit.
Was Deutschland angeht, so hat der Herr den weltlichen Stolz der Unsern so gedemütigt und alle Macht und Gewalt dem gegeben, von dem man nur Böses erwarten kann, dass es nun wirklich den Anschein hat, als wolle er allein sein geistliches Reich überall aufrecht halten, wo er es schon aufgerichtet hat. Freilich, nach fleischlichem Meinen ist das recht unsicher, aber ihm seine arme Kirche und das Reich anbefehlend, hoffen wir doch, dass er es tun wird über unser Erwarten. Bis jetzt war Gefahr, dass menschliche Macht uns blende. Jetzt da nichts uns mehr hindert, auf seine Hand zu schauen, wollen wir uns erinnern, wie er in früheren Zeiten seine Kirche geschützt hat, und nicht daran zweifeln, dass er seine Ehre so wahren wird, dass wir uns wundern werden. Unterdessen wollen wir nicht müde werden, zu kämpfen unter der Kreuzesfahne unseres Herrn Jesu, denn das ist mehr wert als aller weltliche Triumph.
Was die Gerüchte betrifft, die zu Euch gedrungen sind über unsere hiesigen Unruhen, so sind sie erstlich meistenteils frei erfunden. Denn wäret Ihr hier, Ihr sähet nicht den zehnten Teil alles dessen, was man draußen erzählt. Wahr ists, dass wir ein paar harte Köpfe haben und widerspenstige Nacken, die jede Gelegenheit benutzen, sich aufzulehnen, und tumultuarisch alle Ordnung in der Kirche zerreißen und zerstören wollen, und zwar Junge und Alte. Hauptsächlich haben wir aber eine sehr verderbte Jugend. Will man ihnen nicht jede Frechheit erlauben, so beißen sie und bäumen sich auf wie böse Rosse. Neuerdings sind sie sehr aufgebracht, scheinbar über eine recht geringfügige Sache. Man wollte ihnen nämlich nicht erlauben, geschlitzte Hosen zu tragen, was seit zwölf Jahren schon in hiesiger Stadt verboten ist. Nicht als ob wir darauf Wert legten; aber weil wir sahen, dass sie durch die Schlitze in den Hosen alle weitere Unordnung hereinlassen wollten, haben wir erklärt, der Schnitt ihrer Hosen sei ein geringer Vorwand, nicht der Rede wert, und waren bestrebt, etwas anderes zu erreichen, nämlich sie überhaupt zu zügeln und ihre Dummheiten zu unterdrücken. Während dieses kleinen Gefechts hat dann der Teufel wieder andere drunter gemengt, so dass es großes Murren gab. Und weil sie mehr Mut und energischeren Widerstand bei uns spürten, als ihnen lieb war, so haben einige das Gift, das sie im Herzen trugen, ausgespritzt. Aber das alles ist eitel Dunst, denn ihre Drohungen sind nichts als der Schaum des Stolzes Moabs, der keine Kraft hat, auszuführen, was er sich vornimmt. Wie dem auch sei, Ihr braucht Euch darüber nicht zu wundern. Es gab schlimmere Aufstände gegen Mose und die Propheten, die doch das Volk Gottes zu lenken hatten, und für uns sind das nützliche Übungen. Nur bittet für uns den Herrn, dass er uns Gnade gebe, nicht nachzulassen, den Gehorsam gegen ihn höher zu achten als unser Leben, wenns Not tut, und uns mehr zu fürchten vor einer Beleidigung gegen ihn, als vor der ganzen Wut der Bösen gegen uns, und schließlich, dass es ihm gefalle, all den Lärm zu stillen, der die Herzen der Schwachen brechen könnte. Unser Herr hat uns die große Gnade geschenkt, den gerechten, guten Willen zur Heilung des Übels zu haben. Und alle meine Brüder sind einmütig, zu tun, was unsres Amtes ist, so dass dieselbe Standhaftigkeit in uns allen ist, wenn nur der gute Gott fortfährt, sein Werk zu leiten.
Ich bitte Euch, geliebte Brüder, auch Eurerseits fest zu bleiben im Guten. Keine Furcht erschüttere Euch, auch wenn noch deutlichere Gefahren kämen, als Ihr bisher gesehen. Das Vertrauen, das uns Gott auf seine Gnade und Kraft setzen heißt, sei Euch stets eine feste Burg, und um seiner Hilfe sicher zu sein, seid sorgsam, zu wandeln in seiner Furcht, wie es uns ja ansteht, bei allem Eifer in seinem Dienst stets wieder auf den Schluss zurückzukommen: Vergib uns unsre Schuld. Je mehr Ihr die Erfahrung machen könnt, wie schwach wir sind, umso fleißiger stets an, fortzufahren in der Ordnung, die Ihr habt, zu beten und sein heiliges Wort zu hören zu Eurer stets wachsenden Übung, Schärfung und Befestigung. Nichts ziehe Euch davon ab, wie mancherlei Vorwände es auch geben mag, die ein Fehlen [beim Gottesdienst] gut scheinen lassen. Ich weiß wohl, dass es viel besser wäre, wenn alle, die Gott ehren wollen, zusammenkämen und jeder die andern wie mit Trompetenton dazu herbeiriefe. Aber es ist doch besser, wenigstens so viele zu haben wie Ihr, nämlich etwa die Hälfte, als gar nichts. Also hütet Euch wohl, zurückzuweichen, sondern dringt vielmehr vorwärts, und lasst das Gut, das Gott Euch anvertraut hat, wuchern, indem Ihr einer den andern, und überhaupt alle die armen Schwachen und Unwissenden, durch Euer gutes Leben erbaut und durch dasselbe Mittel die Feinde beschämt. Wenn Ihr das tut, werdet Ihr über Euch spüren die Hand Gottes, den ich bitte, in Euch mehren zu wollen die Gnadengaben, die er Euch verliehen, Euch stark zu machen in wahrer Standhaftigkeit, Euch zu behüten mitten unter Hunden und Wölfen, und sich an Euch in jeder Weise zu verherrlichen. Zugleich anempfehle ich mich herzlich Eurer Fürbitte.
Am 24. Juli 1547.
Euer ergebener Bruder und wahrer Freund
Charles d´ Espeville.