Calvin, Jean – An die Pfarrer in Bern.

Auf der Heimreise von Zürich hatte Calvin in Bern dem wachsenden Zwist zwischen den zwinglischen Pfarrern unter Jodocus Kiechmeyer und den lutheranisierenden Simon Sulzer und Beat Gerung wahrgenommen. Er sucht auch brieflich Frieden zu stiften, doch ist der Brief nicht fertig geschrieben und also auch wohl nicht abgesandt worden. Weggelassen ist ein Verzeichnis biblischer Belegstellen.

Von der Würde des geistlichen Amts.

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und unserm Herrn Jesu Christo.

Liebste, verehrte Brüder. Ihr erinnert Euch noch, was ich mit Euch geredet habe, als ich im Februar bei Euch durchreiste. Ich bin damals von Euch weggegangen, zwar sehr traurig und angstvoll Eures Zwistes wegen, aber doch mit Dank gegen Gott, weil Ihr Euch wenigstens soweit hattet bringen lassen, dass Ihr Euch zu einer ruhigen Behandlung der Frage bereit erklärtet, was mir als der beste Weg zur Aussöhnung erschien. Seither hat mich mit Recht Tag und Nacht die Sorge gequält, es möchte, wenn dies noch länger verschoben werde, das Übel so ausbrechen, dass eine Abhilfe nicht mehr möglich sei. Denn der Anfang davon, den ich gesehen, ließ mich mehr fürchten, als ich sagen durfte. So hatte ich öfters im Sinn, brieflich wieder auf die freundschaftliche Aussprache zu dringen, die mir beide Parteien versprochen hatten. Doch fürchtete ich, mein Eifer könnte mir von gewissen Leuten zum Vorwurf gemacht werden, als ob ich mich allzu geschäftig in unziemlicher Weise einmischte. Freilich durfte mich ja gewiss das verkehrte Gerede der Leute nicht hindern, meine Pflicht zu tun; besonders da mich eine solche Notlage dazu drängte. Ich habe ja Eure Klagen gehört, wie da jede Partei den ganz kläglichen Stand Eurer Kirche beklagte. Ach, welch böses Wort ist das unter Dienern Christi? Und doch muss ichs um der Wahrheit willen brauchen. Denn wo täglich Kämpfe entbrennen, kann man da anders als von zwei feindlichen Parteien reden? Aber nun höre ich, Euer Zank, der ja damals schon heftiger tobte als gut war, sei immer bitterer geworden, und zweifellos wird das Übel von Tag zu Tag anschwellen, wenn es nicht gleich weggeschafft wird. Da ich nun aber damals bemerkte, dass Ihr einander verdächtig geworden seid, fürchte ich, dass, was eine Partei dazu vorbrächte, gleich von der andern abgewiesen würde, wenn nicht von anderer Seite der Gefahr begegnet wird. So glaubte ich nach langem Zögern und sorgfältiger Erwägung aller Umstände, selbst diese Rolle übernehmen zu müssen und will nun, was ich über die bei Euch strittigen Lehrpunkte denke, Euch vorlegen, damit Ihr so auf eine Verhandlungsformel eintreten könnt. Ich nehme mir zwar durchaus nicht so viel heraus, Euch in der Entscheidung dieser Fragen vorangehen zu wollen, aber, weil ich kein besseres Vorgehen finde, will ich lieber alles versuchen als untätig bleiben. Freilich wäre ich vielleicht nicht so weit gegangen, hätte mir nicht, was ich bei Euch erfahren, Mut dazu gemacht. Denn als ich mit dir, lieber Bruder Jodocus, über die einzelnen Punkte sprach, merkte ich wohl, dass du vor meiner Ansicht durchaus keinen Abscheu hast. Du hast mir ja sogar bezeugt, dass dir gefalle, was ich sagte. Dasselbe habt Ihr, lieber Sulzer und lieber Beat, mir gern zugestanden, als ich mit Euch allein sprach. Ich werde nun hier nichts sagen, was ich nicht dort schon in der Hauptsache berührt habe. Das wird mir, glaube ich, schon als Entschuldigung gelten, und mich von jedem Verdacht der Anmaßung befreien, wenn ich nun, um zwischen Euch zu vermitteln, zuerst das Wort ergreife.

Drei Punkte sinds, über die Ihr uneins seid. Erstens über Zweck und Wirksamkeit des geistlichen Amtes, zweitens über das, was uns die Sakramente bieten, und drittens, ob und in welcher Weise uns im Abendmahl der Leib Christi gespendet wird.

Von den Dienern am Wort und ihrem Amt spricht die Schrift in zwiefacher Weise. Einmal beschreibt sie, was sie an sich vermögen, das andere Mal schließt sie die Gnade des heiligen Geistes mit ihrem Dienst zusammen. Wird der Diener am Wort an sich behandelt, so wird er zu nichts gemacht mit aller seiner Tüchtigkeit. Auch der Allertüchtigste, meine ich. Denn derselbe, der sonst mit Geistesgaben bis zum Wundertun ausgerüstet wird, mag arbeiten so viel er will und alle seine Kräfte anspannen, und so die vom Himmel empfangenen Gaben herbeiziehen, er wird doch nichts erreichen aus eigner Kraft und Arbeit.

Dass die Diener am Wort dazu von Gott berufen sind, dass sie die Menschen aus der Macht des Todes retten und zum Leben bringen und aus Knechten des Teufels zu Gotteskindern machen, kann man nicht leugnen. Was kann aber größeres gesagt oder gedacht werden? Ja, Paulus lehrt, um genau die Worte der Schrift zu brauchen: Es gefiel Gott, durch törichte Predigt selig zu machen die, so daran glauben [1. Kor. 1, 21]. Maleachi verheißt, Elias werde kommen, die Herzen der Väter zu bekehren zu ihren Kindern [Mal. 4, 5, 6]. Christus sendet die Apostel aus, dass sie hingingen und Frucht brächten [Joh. 15, 16]. Es heißt, Apostel und Hirten seien gesetzt, dass die Heiligen zugerichtet werden usw. [Eph. 4, 12]. Paulus sagt, er walte seines Apostelamtes, alle Heiden zum Gehorsam Gottes zu bringen [Röm. 1, 5]; daran arbeite er, dass er darstelle einen jeglichen Menschen vollkommen [Kol. 1, 28]. Ebenso anderswo, dass er eine reine Jungfrau Christo zubrächte [2. Kor. 11, 12]. Schließlich wird die Predigt des Evangeliums das Gottesreich unter den Menschen genannt, ein Same des ewigen Lebens, Erleuchtung der Herzen, eine Kraft Gottes zur Seligkeit, allen, die daran glauben, ja ein Geruch des Lebens zum Leben. Aus dieser Zweckbestimmung geht nun aber in gewissem Sinn auch die Frucht und Wirksamkeit des Dienstes am Wort hervor. – – –

[März oder April 1547.]