Calvin, Jean – An Viret in Lausanne (151).

Claude Roset, ein angesehener Genfer, 1546 zum zweiten Mal Syndic, hatte mehrfach Streitigkeiten mit Calvin. Ami Perrin war früher ein Anhänger Calvins und hatte im Auftrag des Rats mit ihm über seine Rückkehr nach Genf verhandelt. Der Brief zeigt nun den Beginn der Entfremdung, die zur bittersten Feindschaft wurde. Es handelt sich um das Angebot Berns, den Genfern zum Schutz der Stadt gegen Savoyen eine Besatzung von 2000 Mann unter Führung eines Berners zu stellen. Viret hatte von Gerüchten über feindliche Pläne Savoyens berichtet. Abel Poupin ist ein Genfer Pfarrer. Weggelassen sind allerlei Angelegenheiten Virets.

Allerlei Streit in Genf.

– – Mit Roset verhält sichs so. Da ein guter Teil des Rats sich um unsere Versöhnung bemühte, musste ich frei heraus vor die Öffentlichkeit bringen, wie wortbrüchig Roset gehandelt hatte, als er schon einmal auf Betreiben des Rats sich mit mir ausgesöhnt hatte. Da er das unverschämt ableugnete, ließ ich mich bis zu solchem Schelten fortreißen: „Was, willst du etwa auch leugnen, dass du damals mit Viret so geredet und mich Castellios und Champereaus wegen gehässig beschuldigt hast? Wenn du nur bei einem Mann, den du ebenso gut als meinen wie als deinen Freund kanntest, dich nicht enthalten konntest, Gift gegen mich zu speien, was ist da unglaublich von deinem Geschwätz andern gegenüber?“ Als er auch da Ausflüchte suchte, entgegnete ich wieder: „Was du da für dich antwortest, dabei will ich mich nicht aufhalten. Mir genügt es, dass Viret bemerkt hat, du seiest bösen Sinnes gegen mich, und bezeugt hat, du habest boshaft über mich geredet.“ Er antwortete mir, die Leute, dir mir berichtet hätten, was ich da erzähle, hätten es vielleicht selbst erfunden. Da legte sich der Rat ins Mittel. Man beschwor mich leidenschaftlich, alle vorgefallenen Beleidigungen zu vergessen und mich mit Roset zu versöhnen. Ich antwortete, das wolle ich in guten Treuen tun, und an mir solls nun nicht liegen, wenn ich nicht aufrichtig halte, was ich versprochen habe. So sicherten wir einander zu, alles Vergangene solle vergessen sein. Wer wird es dir zum Fehler anrechnen, dass du mir sagtest, was du gehört hast? Hättest du es mir verheimlicht, dann könnte im Gegenteil jedermann dich verurteilen als unaufrichtigen Sinnes. So brauchst du niemandes Urteil zu scheuen. Selbst der, dem es lieber gewesen wäre, du hättest geschwiegen, wird nicht wagen, dir einen Vorwurf zu machen. Übrigens, da der ganze Streit begraben ist, hat auch das seine Bedeutung verloren. Deshalb verzeih auch du, wenn gefehlt wurde gegen dich. – –

Deinen Brief habe ich Perrin gegeben. Woher jene Gerüchte stammen, weiß ich nicht. Ich bin ja nur ein Gast in dieser Stadt. Und doch glaube ich, die mir unbekannten Verhältnisse besser zu durchschauen, als alle die, denen die Dinge in ihrem ganzen Zusammenhang vor Augen liegen. Glaube ja nicht, dass das prahlerische Überhebung sei von mir. Denn ich bin bloß ein Einäugiger, aber unter lauter Blinden. Ich habe Perrin vorgestern gewarnt in Gegenwart Abels, er solle sich in Acht nehmen, dass unsere Politik nicht den Schein des Misstrauens [gegen Bern] habe. Ich hatte aber nichts Bestimmtes gehört, sondern ergriff nur die Gelegenheit, als er beiläufig erwähnte, der Gouverneur von Chambery verspreche viel Gutes, sobald man sich vor allen diesen Plänen hüte. Ich antwortete: „Was heißt dieses sich Hüten denn anderes, als sich jeden Schutzes berauben?“ Das sagte ich in Gegenwart mehrerer Leute. Insgeheim sagte ich dann noch, was mir gut schien. Vor den Rat mag ich nicht damit gehen, weil er jede Mitteilung an mich vermeidet. Was man bisher mit Bern verhandelt hat, weiß jeder in Genf, ich allein ausgenommen. Es ist nicht Verachtung oder Hass, dass man mir nichts sagt, eher noch, dass man sich schämt oder durch Schweigen sich den Schein hoher Weisheit geben will. Von der Kanzel aus mag ich nicht intriguieren, solange in der Stadt nicht die geringste Unruhe ist. Denn viel Geschwätz geht draußen um, dringt aber nicht durch die Stadttore. Das ärgert mich, dass man zu viel Lärm um nichts macht. Man hätte ganz ruhig handeln können. Nun wird uns die Wichtigtuerei am meisten schaden. Einer ist daran schuld; ein Mann, nicht fähig zu vernünftiger Mäßigung. Ich wollte, er hätte nie mit mir vertraulichen Umgang gehabt. Denn obwohl er doch in allem nach seinem Gutdünken handelt, zuerst ohne mein Wissen, dann trotz meines offenen Widerspruchs, so gibt ihm doch sein früheres Verhältnis zu mir eine gewisse Unterstützung. Wir fürchte ich, dass er schließlich der Freiheit der Republik unerträglich wird durch sein Tun! In zwei Sätzen kann ich meinen Rat in unsrer Sache zusammenfassen. Erstens: es soll bestehen bleiben, was man mit der Berner Obrigkeit bereits abgemacht hat. Tritt man davon zurück, so will ich schon zeigen, welche Folgen das hätte. Zweitens: man soll kein Zeichen misstrauischer Gesinnung dabei geben, sondern einander, so weit es angeht, trauen. Wenn ichs einmal für der Mühe wert halte, will ich mich ins Mittel legen. Würde mir der Zutritt nicht gestattet, was sollte ich tun, als mit ihnen, wenn auch ohne meine Schuld, den Untergang finden? Könnten wir doch nur ein Stündlein miteinander reden! Denn dabei würden dir diese rätselhaften Sätze zu deutlichen Beweisen. Ich würde den militärischen Schutz [durch die Berner] vermeiden, solange es nicht unbedingt notwendig ist. Denn da unsere Leute schon jetzt ohne ihre Lehrmeister [von Bern] beginnen, sich nur zu kriegerisch d. h. frech und ausgelassen aufzuführen, was müsste ich erst von diesen Lehrmeistern selbst erwarten? Dann erwäge auch, wer gewählt worden ist. So würde ich bei unserer Behörde sicher nie beantragen, eine Berner Garnison in die Stadt zu nehmen, bevor es die Ereignisse mit sich brächten. Freilich, ist der Beschluss schon gefasst, so gebe ich ohne Schwierigkeit meine Zustimmung; ja ich werde sogar mahnen, dass man sein Wort nicht bricht. Doch ich bin ein Narr, wenn ich rede, als ob ich ihr Berater wäre, während ich doch ganz ausgeschlossen werde. So will ich in aller Stille ihr Unglück bei mir beweinen, da es Sünde wäre, drüber zu lachen, und ich doch nicht helfen kann.

Lebwohl, samt deiner Frau, deren Gesundheit wir Gott anempfehlen. Wisse, dass wir alle um sie besorgt sind, als ob sie eines jeden Frau oder Tochter wäre. Der Herr behüte Euch und halte dich aufrecht mit dem Trost seines Geistes.

Ich konnte es nicht mehr durchlesen.

[Januar 1546.]