Die Neuchateller Pfarrer hatten die Kirchen von Genf, Basel und Straßburg um Gutachten über die rechtmäßige Verwendung der Kirchengüter ersucht. Zu dem erwähnten Straßburger Büchlein vgl. 93.
Über die Frage des Kirchenguts.
Donnerstags vor dem Abendessen wurde mir dein Brief an Viret gebracht, sodass ich im folgenden Tag mit den Brüdern einen Beschluss hätte fassen können, wenn ich gewusst hätte, du wolltest das. Aber du batest ja darin nur um schriftliche Antwort von mir und Viret. So wagte ich nicht die Sache [im Konvent] zu erwähnen. Als mit dann dein späteres Schreiben übergeben wurde, waren die Brüder bereits auseinander gegangen. So war auch diese Gelegenheit verpasst. Aber was hätte es auch genützt, wenn ich zur rechten Zeit auf deinen Willen aufmerksam geworden wäre. Denn ich glaube durchaus nicht, dass Ihr von uns einen Rat wollt, dessen Ihr gar nicht bedürft; auch ists nicht wahrscheinlich, dass Ihr einfach erläutert haben wollt, wie wir in dieser Frage denken. Das wisst Ihr ohne Zweifel. Sondern verstehe ich Euch recht, so wünscht Ihr einen Brief, der Euch helfen soll, Eure Obrigkeit zu einem Zugeständnis zu bringen. Denn Ihr hofft, ihre Widerspenstigkeit könne eher gebrochen werden, wenn sie sieht, dass mehrere Kirchen mit Euch übereinstimmen. Und sicher wird dem Übelstand, gegen den Ihr jetzt ankämpft, kaum je abgeholfen werden können, es sei denn durch Übereinstimmung der Kirchen. Wenn doch die unter ihnen, die eine führende Stellung einnehmen sollten, ihren Sinn einmal auf solche fromme Verschwörung richten wollten; aber du siehst, wie verworren unsre Verhältnisse sind. Was uns betrifft, so täten wir Euch gerne den Gefallen; ich zögere auch nicht, das für die Kollegen zu versprechen. Aber wir müssen fürchten, Eurer Obrigkeit lächerlich vorzukommen, wenn wir von ihr fordern, was wir von der unsern noch nicht einmal erreicht haben. Da lehren wir, was der rechte Gebrauch der Kirchengüter sei, und wer ihre rechtmäßigen Verwalter, um mit unsrer Autorität die Neuchateller zu beeinflussen. Warum machen wir nicht eher den Anfang bei uns? Seht also zu, dass wir nicht im Bestreben, Euch zu helfen, Eurer Sache mehr schaden. Beharrst du aber doch auf deinem Wunsch, so befiehl, was dir gut dünkt; ich werde gleich gehorchen.
Viel mehr Bedeutung hätte freilich das Büchlein, dessen Druck ich besorgte, als ich noch in Straßburg war; denn darin reden die Fürsten, soviel ihrer das Evangelium angenommen haben. Sie versprechen die Auszahlung alles säkularisierten Guts, sobald man zu irgendeiner christlichen Eintracht gekommen sei. Da müsste man nun Eure Obrigkeit ermahnen, dass sie nach dem Beispiel der Fürsten alles, wenigstens bis zu jener Zeit, unangetastet aufbewahrten. Du wirst also fragen, ob ich denn ruhig bleibe, wenn ich bei uns dieselben Übelstände sehe, die Euch plagen und Euch so viel zu schaffen machen. Ich bleibe wahrhaftig nicht ruhig vor allem Volk in den Predigten. So oft sich Gelegenheit bietet, beschwöre ich Gott und Menschen, es stehe uns dieser Sache wegen ein böses Gericht bevor. Im Rat habe ich dasselbe einige Male behandelt, und doch scheint es mir, ich hätte darin noch gar nichts geleistet, da ich gar keinen Erfolg sehe. Aber ich mache es wie Ambrosius, der das Lehramt und die Stellung als Hirte seiner Gemeinde festhielt, so fest, dass er bereit gewesen wäre, zu ihrer Verteidigung das Leben dranzusetzen, die Ländereien aber der Gewaltherrschaft des Kaisers Valentinian überließ. So haben auch unsere Behörden den Argwohn, es sei ein Kampf um den Vorrang, weil wir [Pfarrer] es nicht ertrügen, dass man uns aus den Händen genommen habe, was die Behörden säkularisiert haben, wenn sie nämlich diese Meinung nicht nur vorgeben, um unsern Bemühungen die lautere Absicht abzusprechen. Und doch können wir diesen Verdacht nicht anders vermeiden, als indem wir in den Raub der Kirchengüter willigen. Jedenfalls ists der Mühe wert, nachzudenken, wie weit der Kampf um die Kirchengüter ohne Schaden zu treiben ist. Freilich habe ich nicht im Sinn, mich jetzt auf eine längere Erörterung einzulassen; so will ich schließen. Alle Unsern grüßen dich, besonders die Kollegen, Nicolas, mein Bruder, meine Frau, die sich deiner und deiner Angehörigen Fürbitte empfehlen lässt, denn sie kämpft noch schwer mit der Krankheit. Doch haben wir wenigstens den Trost, dass sie nun nicht mehr schon mit einem Fuß im Grabe steht; aber sie ist doch noch nicht zu Kräften gekommen und hat noch unter großen Schmerzen zu leiden. Lebwohl, bester Bruder, trefflichster Freund. Deinen Kollegen viele Grüße.
Genf, 13. Oktober 1545.