Calvin, Jean – An Farel in Neuchatel

Die Unruhe in Neuchatel war trotz Calvins Eingreifen nicht gestillt worden, wohl durch Farels Hartnäckigkeit.

Wieder in Genf. Die neue Kirchenordnung. Mahnung an Farel, sich mehr dem Volke anzupassen.

Gott möge es zum Guten wenden; ich bin also wirklich hier festgehalten worden, wie du gewollt hast. Jetzt bleibt mir nur noch übrig, auch Viret bei mir festzuhalten, den ich in keiner Weise von mir wegreißen lasse. Auch deine und aller Brüder Pflicht ist es, mir hierin beizustehen, wenn Ihr nicht wollt, dass ich mich fruchtlos plagen und ohne Nutzen elend sein soll. Als ich dem Rat meinen Dienst anbot, führte ich aus, eine Kirche könne nicht bestehen, wenn nicht eine bestimmte Zucht eingeführt werde, wie sie aus Gottes Wort uns vorgeschrieben ist und in der alten Kirche beobachtet wurde. Einige Hauptpunkte berührte ich dann, damit sie sähen, was ich wollte. Aber weil die ganze Sache nicht erklärt werden konnte, bat ich, es möchten einige Leute bestimmt werden, um mit uns zu verhandeln. Sechs wurden uns gewährt. Nun werden über die ganze Kirchenverfassung Artikel aufgesetzt, die wir dann dem Rat vorlegen werden. Unsere drei Kollegen geben vor, mit uns überein zu stimmen; so wird wenigstens etwas zu erreichen sein. Wir möchten wissen, wie es mit Eurer Kirche geht. Zwar hoffen wir, durch den Einfluss der Berner und Bieler werden die Unruhen entweder ganz beigelegt oder doch etwas gedämpft sein. Da du mit dem Satan zu kämpfen hast und unter Christi Fahnen dienst, wird der dir Sieg verleihen, der dich gerüstet und in diesen Kampf geführt hat. Da aber die gute Sache auch eines guten Sachwalters bedarf, so sieh zu, nicht so nachsichtig mit dir zu sein, dass auch die Guten mir Recht etwas an dir zu wünschen übrig hätten. Wir mahnen dich nicht, dass du dein Gewissen gut und rein bewahrest in dieser Sache; denn daran zweifeln wir nicht. Nur das wünschen wir, dass du dich, soweit es die Pflicht erlaubt, dem Volk mehr anpassest. Du weißt, es gibt zwei Arten Popularität; die eine ists, wenn wir in Ehrgeiz oder Gefallsucht nach der Volksgunst haschen, die andre aber, wenn wir durch Mäßigung und Billigkeit die Herzen locken, dass sie sich von uns belehren lassen. Verzeih, dass wir so frei heraus mit dir reden. Wir sehen eben, dass du in dieser Beziehung auch den Guten nicht genug entgegenkommst. Wenns nichts anderes wäre, so fehlst du doch schon darin, dass du denen nicht Genugtuung leistest, zu deren Schuldner dich der Herr gemacht hat. Du weißt, wie sehr wir dich lieben, wie hoch wir dich achten. Diese Liebe, ja diese Hochachtung treibt uns zu so genauer, harter Beurteilung, weil wir möchten, dass neben den ausgezeichneten Gaben, die der Herr auf dich gehäuft hat, kein Flecken wäre, der den Böswilligen die Gelegenheit zum Tadeln gäbe, die sie suchen. Das schreibe ich dir auf Virets Rat hin; deshalb rede ich in der Mehrzahl. Leb wohl bester, liebster Bruder.

Genf, 16. September.