Luther, Martin – An Johann Loser. 1523

Im August 1523

Dem Gestrengen und Festen, Hans Loser zu Pretisch, Erbmarschalk zu Sachsen, meinem gunstigen Herrn und Freunde, Gnad und Fried in Christo.

Gestrenger und Fester, lieber Herr und Freund! Ich halte meins Vermügens, was ich geredt habe, mit voller Hoffnung, ihr werdet eurem adeligen Gemuth nach widder halten, was ihr geredt habt, nd nicht länger in den Verzug stellen.

Damit ihr aber besser christlicher dran gehet, hab ich euch zu Dienst, und wilchen es gelustet zu Nutz, das 7. Capitel aus der ersten Epistel St. Pauli zu den Corinthern fur mich genomen auszulegen, aus der Ursach, daß dasselb Capitel fur allen Schriften der ganzen Bibel hin und her gezogen ist, widder den ehlichen Stand, und gleich ein gewaltigen Schein gewunnen hat fur den fährlichen und seltsamen Stand der Keuschheit. Und wenn ich die Wahrheit sagen soll, so hat sich gemeiniglich mit diesem Capitel Niemand so fast aufgeblasen, als eben dieselben, die am wenigsten keusch gewesen sind. Ich habe auch gemeinet, daß Keuschheit so gemein wäre, als sie furgeben. Aber ich bin, Gott Lob, diese dreyy Jahr innen worden, was in der Welt ausser dem Ehestand fur Keuschheit sey, auch beyde in Mann- und Frauenklöstern.

Dieweil denn mir Gott aufgelegt hat, von dem Ehestande zu predigen, und des Teufels Keuschheit den Deckel abzuthun, auf daß der Hurerey weniger, und die arme Jugend nicht so jämerlich durch der falsch beruhmbten Keuschheit Schein verfuhrt werde, muß ich Fleiß anwenden, daß auch dieß Capitel, ihr Hauptstück, nicht länger ihr Schanddeckel bleibe, sondern nach der rechten Meinung St. Pauli verstanden werde. Und hab dasselb euch zu euer Hochzeit wollen schenken, damit ich auch einmal ein christlich Epithalamion, das ist, ein Brautlied singe, wie man vor Zeiten zu thun pflegte; auf daß eur Furnehmen Gott zu Ehren und euer Seligkeit zur Forderung angehe und vollendet werde. Befehl hiemit euch sampt euer lieben Braut in Gottis Gnade, Amen. Zu Wittemberg, Anno 1523.

D. Martinus Luther.

Quelle:
Dr. Martin Luthers Briefe, Sendschreiben und Bedencken, vollständig aus den verschiedenen Ausgaben seiner Werke und Briefe, aus andern Büchern und noch unbenutzten Handschriften gesammelt, kritisch und historisch bearbeitet von Dr. Wilhelm Martin Leberecht de Wette, Professor der Theologie zu Basel. Zweyter Theil. Luthers Briefe von seinem Aufenthalt auf Wartburg bis zu seiner Verheurathung Berlin, bey G. Reimer 1825