Luther, Martin – An Nicolaus Gerbelius (1522)

An Herrn Nicol. Gerbelius, Dr. der Rechte zu Straßburg.

Wittenberg den 18. März 1522

Heil Ich glaube, bester Gerbelius, daß der Brief, den ich aus der Einsamkeit schrieb, durch Philippus dir zugekommen ist: nun aber, obgleich du nichts geantwortet, wollte ich dennoch diesen euren Aristobul nicht ohne ein paar Zeilen zu euch zurückgehen lassen, der dich in Christo grüßen und in meinem Namen ansprechen und bitten solle, mich fleißig dem Herrn anzubefehlen. Der Satan tobt, und die Nachbarn brummen allenthalben und drohen, ich weiß nicht mit wie viel Toden und Höllen; und nun hat sogar meine Hürde in der That, die Sachen fast bis zum Verzweifeln verwirrt. Ich mußte mich daher selbst lebendig mitten in des Kaisers und des Papstes Wuth hineinwerfen, ob ich etwa den Wolf aus dem Schafstall vertreiben könnte. Ich bin somit nun von keinem Schutze umgeben, als mit dem himmlischen, sondern lebe mitten unter den Feinden, welche durch Menschen das Recht haben, mich alle Stunden zu tödten. Ich tröste mich so, daß ich weiß, Christus sei ein Herr über Alles, dem der Vater Alles unter seine Füße gethan hat, ohne Zweifel auch des Kaisers Zorn und alle Teufel, welche nicht von den Schafen sind, die der Vater dem Sohn unterworfen hat. Will er mich so tödten lassen, so geschehe es in seinem Namen; will er aber nicht, wer wird mich tödten? Sei nur du mit den Deinen dafür besorgt, daß du durch Beten das Evangelium förderst: denn ich sehe, daß Satan damit umgeht, daß nicht nur das Evangelium vertilgt werden, sondern auch ganz Deutschland mit seinem eigenen Blut überschwemme. Ach welch ungeheure Dinge führt er im Schilde, und wenn ich mich nicht täusche, stehen sie nur allzugewiß bevor, weil Niemand ist, der sich als Mauer stellete wider Gott für das Haus Israel, sodann weil wir das Evangelium des Reichs Gottes vor unserm hartnäckigen Undank nur in Worten, und nicht in der Kraft haben, und mehr durch das Wissen aufgeblasen, als durch die Liebe erbaut werden: darum wird uns, fürchte ich, gegeben werden, wie wir verdienen. Bete demnach, es beten auch die Eurigen, laßt uns alle beten: es ist eine ernste Sache, und Satan trachtet nach uns mit unglaublicher List und allen Kräften. Hier muß ich Geschäfte halber abbrechen. Lebe wohl mit deiner Frau und grüße alle die Unsrigen. Wittenberg, Mittwoch nach Reminiscere, a. 1522. Dein

M. Luther.

Quelle:
Auserlesene geistvolle Briefe Der Reformatoren und sonstiger bedeutender Männer der evangelischen Kirche Zur christlichen Erbauung und Belehrung von C.E. Renner, evangelischem Pfarrer. Stuttgart. C. Cammerer (früher H. W. Beck’S Verlag.) 1862