Gnade und Friede von unserm Herrn Jesu Christo. Es möchte sich wohl billig Jedermann verwundern, daß ich, allergütigster Herr Kaiser Carl, mich unterstehen darf, an Ew. Kais. Maj. zu schreiben. Denn wer hat ungewöhnlicher, ungeschickter Ding jemals gesehen, denn daß der König der Könige und Herr der Herren auf Erden von dem geringsten, verachtesten Menschen angesprochen werde?
Doch wird, wer die Größe dieser hochwichtigen Sachen fleißig bedenkt und versteht, daß sie die göttliche Wahrheit belangt, sich so groß nicht verwundern. Denn so sie würdig ist, vor den Thron göttlicher Majestät zu treten: vielmehr ist sie würdig, daß sie auch einen irdischen und sterblichen Fürsten anspreche; will schweigen, daß, gleichwie die irdischen Fürsten ein Vorbild sind des himmlischen, also stehet’s ihnen wohl an, daß sie demselben Vorbilde folgen, nämlich daß auch sie in der Höhe sitzend, doch auf das Niedrige auf Erden sehen und den Geringen ausrichten aus dem Staube und erheben den Armen aus dem Koth.
Derhalben komme ich armer und elender Mensch, falle zu Füßen Euer Durchlauchtigsten Kaiserlichen Majestät, als der allerunwertheste, der doch die allerwichtigste und würdigste Sache vorbringet.
Ich habe etliche Büchlein lassen im Druck ausgehen, damit ich auf mich vieler, auch großer Leute Neid, Zorn und Ungnade geladen habe; da ich doch billig Dank und zweifältigen Dank wohl verdient hätte. Erstlich, daß ich wider meinen Willen, genöthigt an Tag hervorkommen bin; hätte auch nicht vorgenommen, etwas zu schreiben, wo meine Widersacher, beide mit Gewalt und List, mich nicht dazu hätten gedrungen. Denn ich begehre auch von Herzen, denn daß ich hätte in meinem Winkel verborgen sein und bleiben mögen.
Zum andern, habe ich mich nichts anders, deß mir mein Gewissen und viel frommer, gottseliger Leute Urtheil Zeugniß geben, an Tag zu bringen beflissen, denn die evangelische Wahrheit, wider den Aberglauben und Wahn menschlicher Tradition. Darüber leide ich nun schier drei ganze Jahre Zorn, Lästerung, Gefahr und allerlei Böses ohne Aufhören, so meine Widersacher nur erdenken können.
Hilft mir nichts indeß, daß ich um Gnade und Vergebung bitte; ist vergebens, daß ich mich erbiete fürder stille zu schweigen; hat kein Ansehen, daß ich Mittel und Wege des Friedens vorschlage; hilft nichts, daß ich begehre besser berichtet zu werden. Dieß allein wird vorgenommen, daß ich sammt dem ganzen Evangelio vertilgt und ausgerottet werden soll.
Weil aber all‘ meine Mühe vergeblich war, habe ich letztlich für gut angesehen, dem Exempel St. Athanasii nach die Kaiserliche Majestät anzurufen, ob vielleicht der liebe Gott durch sie seiner Sache wollte beistehn. Falle deßhalben, o Herr Carol, Fürst der Könige auf Erden! Euer Durchlauchtigsten Majestät zu Füßen und bitte in aller Demuth und Unterthänigkeit, Sie wolle nicht mich, sondern die Sache der göttlichen Wahrheit (um welcher willen allein Ew. Maj. das Schwert zu tragen von Gott gegeben ist zur Rache über die Uebelthäter und zu Lob der Frommen,) unter den Schatten Ihrer Flügel nehmen, mich aber in gedachter Sache nicht weiter noch länger schützen, denn bis ich nach angezeigter Ursach und Verantwortung die Sache gewonnen oder verloren habe.
Werde ich dann als ein Gottloser und Ketzer erfunden, begehre ich keines Schutzes. Eins nur bitte ich, daß weder die Wahrheit noch die Lüge unverhört und unüberwunden verdammt werde.
Denn das gebührt Eurem Königlichen und Kaiserlichen Thron, das ziert Eurer Majestät Kaiserthum, das wird Euer Jahrhundert für alle Nachkommen weihen und unvergeßlich machen: nämlich, so Euere heilige Majestät nicht gestattet, daß der Gottlose verschlinge den, der frömmer denn er ist, noch lasset die Menschen, wie der Prophet sagt, gehen wie Fische im Meer, und Gewürm, das keinen Herrn hat.
Also befehl ich mich, also hoffe ich, also versehe ich mich alles Guten zu Euerer heiligen Majestät, welche der Herr Jesus uns erhalte, und hoch erhebe zur ewigen Ehre seines Evangelii, Amen.
Gegeben zu Wittenberg, am 15. Januar 1520. Eurer Durchlauchtigsten Königlichen und Kaiserlichen Majestät ergebener Schützling
Martin Luther.
Quelle:
Hase, Carl Alfred - Luther-Briefe in Auswahl und Uebersetzung für die Gemeinde herausgegeben Leipzig, Druck und Verlag von Breitkopf und Härtel 1867