Luther, Martin – An Papst Leo X. (30.5.1518)

Dem allerheiligsten Vater Papst Leo dem Zehnten wünscht ewiges Heil Martin Luther, Augustinermönch.

Ich höre, allerheiligster Vater, daß gar ein böses Gerücht über mich gehe, daraus ich vernehme, daß etliche Freunde meinen Namen sehr übel vor Eurer Heiligkeit und den Euren stinkend gemacht haben, als der ich mich sollte unterstanden haben die Würde der Schlüssel und Gewalt des höchsten Bischofs zu verkleinern. Daher ich als ein Ketzer, Abtrünniger, Meineidiger und weiß nicht mit wie viel und welcherlei Namen , ja Schmach und Lästerung, gescholten und verdammt werde. Ich muß hören und sehen, davor mir graut und mich entsetze. Aber der einige Trost und Fels meiner Freudigkeit steht fest, nämlich daß ich ein unschuldig und friedsam Gewissen habe.

Doch höre ich nichts Neues, denn eben mit solchen Wappen und Helm schmücken und zieren mich auch in unsern Landen jene ehrlichen und wahrhaftigen Leute, als die ein böses Gewissen haben und sich unterstehen ihre Bubenstücke mir aufzudringen und durch meine Unehre ihre Unart und Tücke zu beschönigen. Ich will aber, heiliger Vater, zur Sache greifen, die wolle Ew. Heiligkeit gnädiglich hören von mir, der ich ungeschickt, ja ein Kind bin.

Es ist in kurz vergangenen Tagen angefangen worden zu predigen des apostolischen Ablaß Jubeljahr und hat so stark überhand genommen, daß diese Prediger Alles meinen thun und reden zu dürfen, was sie nur wollen, unter dem Schutz Ew. Heiligkeit Namen, – dadurch sie auch den Leuten Furcht und Schrecken einjagen, also, daß sie öffentlich dürfen lehren gottlose, lästerliche und ketzerische Lügen, zu großem, schweren Aergerniß, Hohn und Spott der geistlichen Obrigkeit. Und genügen sich daran nicht, daß sie mit frechen Worten ohne alle Scheu ihr Gift ausgießen, sondern lassen auch über das Büchlein ausgehen, die sie unter das Volk bringen, in welchen sie eben dieselbe ihre lästerliche und ketzerische Lügen bestätigen; und also bestätigen, daß sie die Beichtväter mit einem Eid verbinden und zwingen, daß sie dieselben mit allen Treuen aufs fleißigste und ohne Aufhören dem Volke sollen einreden. Ich will des schändlichen und unerhörten Geizes, deß sie nicht satt können werden, schweigen, nach welchem schier alle Buchstaben dieser Büchlein sehr grob und übel stinken.

Ich rede die Wahrheit und ihr keiner kann sich vor, dieser Schmach verbergen. Denn die Büchlein sind vorhanden, daß sie nicht leugnen können. Und geht ihr Vornehmen nur glücklich und schleunig fort, also daß sie mit eitel erdichtetem Trost die Leute aussaugen und schinden ihnen, wie der Prophet Micha sagt, die Haut ab und fressen das Fleisch von ihren Beinen; sie aber weiden sich indeß sehr herrlich und reichlich.

Einen Behelf haben sie, damit sie sich unterstehen die Aergerniß zu stillen, nämlich den Schrecken Ew. Heiligkeit Namen und Bedrohung des Feuers und Schmach und Schande des ketzerischen Namens: also, daß es nicht wohl glaublich ist, wie geschickt sie sind, damit zu drohen und schrecken zuweilen auch wenn sie merken, daß ihrem losen Wahn und lästerlichen Lügen widersprochen wird; so anders das soll heißen Aergernissen wehren, und nicht vielmehr, durch lauter Tyrannei Zwiespalt und endlich Aufruhr erregen.

Gleichwohl geht die Sage und Klage in allen Tabernen über den Geiz der Pfaffen; auch wird übel geredet von der Gewalt der Schlüssel und des höchsten Bischofs, wie die gemeine Rede zeigt im ganzen Deutschen Lande. Ich zwar, daß ich die Wahrheit bekenne, da ich solches hörte und erfuhr, entbrannte und eiferte ich um Christi Ehre, wie mich dünkte: oder, wer es so deuten will, das junge, frische Blut erhitzte sich in mir und sah doch wohl, daß mir nicht gebühren wollte, etwas hierin zu beschließen oder zu thun. Vermahnte derhalben sonderlich etliche Prälaten der Kirchen. Da fand bei etlichen meine Vermahnung Statt und ward angenommen; etliche aber spotteten mein und deuteten mein Vornehmen auf mancherlei Weise. Denn der Schreck Ew. Heiligkeit Namen und Drohung des Bauns war zu mächtig. Endlich, da ich nicht anders konnte, hielt ich für das Beste, daß ich nicht scharf oder hart, sondern mit Maßen ihnen widerstünde, das ist, ihre Lehre in einen Zweifel brächte, daß davon möchte disputirt werden. Ließ derhalben einen Zeddel ausgehn mit Sprüchen vom Ablaß und vermahnte vornehmlich die Gelehrten, ob etliche gegenwärtig oder schriftlich mit mir darüber wollten handeln wie solches denn auch die Widersacher wohl wissen aus der kurzen Vorrede über dieselben Sprüche vom Ablaß.

Daher, heiligster Vater, ist angegangen ein solch groß Feuer, daß davon die ganze Welt, wie sie schreien und klagen, entbrannt ist; vielleicht darum, daß sie mir, der ich doch auch durch Ew. Heiligkeit apostolische Autorität ein Magister Theologiä bin, allein nicht gönnen Gewalt, Recht und Freiheit zu haben in einer freien, öffentlichen oder hohen Schule nach Weise und Gewohnheit aller Universitäten in der ganzen Christenheit zu disputiren; nicht allein vom Ablaß, sondern von viel höhern und größern Artikeln, nämlich von göttlicher Gewalt, Vergebung und Barmherzigkeit. –

Nun, was soll ich thun? Wiederrufen kann und will ich nicht; und sehe doch, daß ich nur großen Neid und Haß dadurch erweckt, daß ich diese meine Disputation habe an den Tag gegeben. Zudem komme ich ganz ungern aus meinem Winkel auf den Plan hervor unter die Leute, da ich wider mich hören muß schier aller Menschen gefährlich und vielfältig Urtheil, sonderlich weil ich ungelehrt, unerfahren und solcher hohen Sachen zu gering bin. Und eben zu dieser güldenen Zeit, da nun sehr viel feine, hochgelehrte Leute sind, welcher täglich mehr werden, also daß alle freie Künste blühen und wachsen – will schweigen der Griechischen und Ebräischen Sprachen -, also, daß auch Cicero, wenn er jetzt lebte, schier sich in einen Winkel verbergen sollte, der doch Licht und Oeffentlichkeit nicht scheute. Aber die hohe Noth zwingt mich, daß ich Gans unter den Schwanen schnattere.

Derhalben, auf daß ich auch meine Widersacher zum Theil versöhne und vieler Begehr und Verlangen erfülle: siehe. Heiliger Vater, so gebe ich an den Tag meine Gedanken, darinnen man sieht die Erklärung meiner Sprüche vom Ablaß. Ich gebe sie aber an den Tag, heiliger Vater, auf daß ich unter dem Schutz und Schirm Ew. Heiligkeit Namen und den Schatten ihrer Flügel desto sicherer sein möchte. Aus welcher Erklärung Alle, so anders wollen, verstehen werden, wie rein und einfältig ich die geistliche Gewalt und Obrigkeit, auch der Schlüssel Kraft und Würde gesucht und geehrt habe und zugleich wie böslich und falsch mich die Widersacher auf mancherlei Weise berüchtigen. Denn wenn ich ein solcher wäre, wie sie mich schänden und austragen und hätte meine Sache ordentlicher Weise nicht vorgebracht, nämlich darüber disputirt, wie ein jeder Doktor Recht und Fug hat, so wäre es unmöglich gewesen, daß der Durchlauchtigste Herr Friedrich Herzog und Churfürst zu Sachsen, weil er vor andern ein sonderlicher Liebhaber christlicher und apostolischer Wahrheit ist, einen solchen schädlichen, giftigen Menschen, wie sie von mir reden und schreiben, in seiner Universität zu Wittenberg hätte gelitten. So hätten auch die theuren hochgeehrten Doctoren und Magistri unserer Universität, die mit allem Ernst und Fleiß über der Religion halten, mich gewiß aus ihrer Gemeinde gestoßen.

Ist das aber nicht ein feiner Handel, daß die feindseligen Leute nicht allein mich, sondern auch den Churfürsten und die Universität zu Sünden und Schanden wollen machen?

Derhalben, heiligster Vater, falle ich Ew. Heiligkeit zu Füßen und ergebe mich ihr sammt Allem, was ich bin und habe. Ew. Heiligkeit handle mit mir ihres Gefallens. Bei Ew. Heiligkeit steht es, meiner Sache ab oder zuzufallen, mir Recht oder Unrecht zu geben, mir das Leben zu schenken oder zu nehmen. Es gerathe nun, wie es wolle, so will ich nicht anders wissen, denn daß Ew. Heiligkeit Stimme Christi Stimme sei, der durch sie handele und rede. Habe ich den Tod verschuldet, so weigere ich mich nicht zu sterben, denn die Erde ist des Herrn, und was darinnen ist. Er sei gelobt in Ewigkeit, Amen. Welcher Ew. Heiligkeit bewahre und erhalte ewiglich Amen. Gegeben am Tage der heiligen Dreifaltigkeit (30. Mai) 1518.

Br. Martin Luther, Augustiner.

Quelle:
Hase, Carl Alfred – Luther-Briefe in Auswahl und Uebersetzung für die Gemeinde herausgegeben Leipzig, Druck und Verlag von Breitkopf und Härtel 1867