Luther an Scheurl

6.5.1517

An Herrn Christoph Scheurl seinem im Herrn getreuen Freund.

Meinen Gruß! Vor allem andern dank ich Euch, bester Mann, für das Geschenk, die Staupitzischen Schriften; zugleich aber muß ich mich recht schämen, daß dieser sehr ehrwürdige Pater auch meine Kleinigkeiten unter euch ausbreitete. Wahrlich ich habe sie nicht für euch Nürnberger, diesen feinen, aufgeklärten Geistern, sondern nur, wie Ihr wisset, für unsere rohe Sachsen geschrieben, denen man ächten christlichen Unterricht, bei aller Weitläuftigkeit, nicht genung zergliedern und vorkäuen kann. Böt ich auch allen meinen Kräften auf, ich würde doch nie etwas leisten können, das Männern, die mit der römischen Litteratur bekannt sind, nur einiger Maaßen erträglich wäre; um wie viel weniger den eurigen, zumal ich mir eigens vornahm, mich in den so engen Faßungskreis unsers Pöbels einzuschränken. Ich bitte Euch also recht sehr, schaffet, so viel Ihr könnet, meine Sätze aus den Augen der Gelehrten. Uebrigens aber gab ich mir alle Mühe, unserm Ecke, Eurer Ermahnung gemäß, einen recht freundschaftlichen Brief, mit aller Behutsamkeit zu schreiben. Noch weis ich nicht, ob er ihn erhalten habe. Diese Dätze, oder wie man sie nennet, Positionen, schick ich Euch, und durch Euch dem Pater Magister Wenzel, und allen denen, die an dergleichen Tändeleien ein Wohlgefallen haben. Wenn ich mich nicht trüge, so sind es nicht eines Cicero, sondern unsers Karlstads Paradoxen, oder viel mehr des heiligen Augustins, die so viel erhabner und würdiger sind, als jene ciceronianischen, je mehr Augustin oder viel mehr Christus über cicero erhaben ist. Diese Sätze sind ein stetter Vorwurf der Verwahrlosung und Ignoranz derer, die sie lieber für paradoxwe (höchst seltsame, auffallende) als orthodoxe (der reinen Lehre der allgemeinen Kirche gemäß) halten; geschweige derer, die unverschämt genung sind, sie gar als heterodox (Irrsale) zu verläumden, die weder Paulus noch Augustin lesen, oder wenigstens ohne Verstand lesen, und sich und andere verwahrlosen. Bescheidenen Männern, die sie nicht ganz durchsehen, mögen ist immer wunderbar vorkommen; einsichtsvollen werden sie sich im wahren, schönsten Lichte zeigen; ich sehe sie als Grundwahrheiten in ihrem Urlichte. Gepriesen sey der Herr Gott, der aus den Finsternissen Licht hervor zu leuchten gebeut!

Ich muthmaße,, daß unser Pater Vikarius nicht bey euch seyn müße. Wir hoffen, er werde zu uns kommen. D. Christian Reuter schied aus diesem zeitlichen Leben. Gott gebe ihm das ewige! Amen.

Einen Gruß von Amsdorf und dem ganzen Häuflein Freunde. Auch grüßen wir durch Euch alle, die es verdienen. LEbet wohl. Wittenberg den 6ten May 1517.

Bruder
Martin Luther.
Augustiner.

Quelle: D. Martin Luthers bisher grossentheils ungedruckte Briefe.
Nach der Sammlung den Hrn. D. Gottf. Schütze, aus dem Latein übersetzt.
Erster Band.
Leipzig,
in Kommission bey Christian Friderich Wappler.
1784.