Luther, Martin – An Frau Felicitas von Selmenitz
1. April 1528.
Diese Frau, Wittwe eines vormaligen Hauptmanns Wolf von Selmenitz zu Allstädt, der in Halle meuchlings erschlagen worden war, hatte die evangelische Lehre angenommen und das Abendmahl unter beiderlei Gestalt empfangen. Im Jahr 1527 zog sie mit ihrem Sohn auf einige Zeit nach Wittenberg, ging aber wegen eingerissener Pest wieder nach Halle. Da muthete ihr der Erzbischof zu, entweder ihr Bekenntniß aufzugeben oder Halle zu verlassen. Dieß klagte sie Luther und erhielt folgendes Schreiben von ihm.
Der ehrbaren, tugendsamen Frauen Felicitas von Selmenitz, Wittwe zu Halle, meiner lieben Freundin in Christo.
Gnade und Friede in Christo, unserm Herrn und Heiland. Ehrbare tugendsame Frau, euer Anliegen habe ich vernommen. Christus wird bei euch sein und euch nicht verlassen. Daß ihr aber mich fragt, ob ihr fliehen sollt oder bleiben, achte ich, es sei euch wohl frei, mit gutem Gewissen zu fliehen, weil ihr solch Urlaub habet empfangen von Ew. Obrigkeit; aber doch wollte ich lieber sehen, daß ihr noch eine Weile verzöget, bis ihr gewissere Neue mehr erführet, ob der Cardinal komme oder nicht, auf daß man nicht achte, als wollet ihr vor der Zeit und ohne Ursach fliehen; doch stelle ich’s alles in euer Gefallen. Gott, der Allmächtige, stärke euch und alle Brüder und Schwestern zu halle, nach seinem göttlichen Willen. Zu Wittenberg, Mittwochs den 1. April 1528.
Martinus Luther.
Quelle:
Dr. Martin Luthers Briefe an Frauen als Pfingstgabe für die deutsche protestantische Frauenwelt. zusammengestellt von Dr. K. Zimmermann Darmstadt Buchdruckerei von Heinrich Brill 1854