Nr. 522 (C. R. – 2607)
Pfr. Schalling in Regensburg hatte Calvin brieflich von der Richtigkeit der lutherischen Abendmahlslehre zu überzeugen gesucht, und um der Einheit der Evangelischen gegenüber Jesuiten und Antitrinitariern willen zum Frieden gemahnt.
Freundliche aber bestimmte Ablehnung der lutherischen Abendmahlslehre.
Dein Brief, trefflicher Mann und von Herzen verehrter Bruder, ist mir später, als wünschenswert war, übergeben worden, als bereits alle unsere Kaufleute zur Messe abgereist waren, und wenn sich mir jetzt auch wider Erwarten eine neue Gelegenheit geboten hat, einen Brief zu senden, so muss ich doch in großer Eile antworten, da der Bote schon reisefertig war, ehe man mir gesagt hatte, dass er reise. Ich will deshalb alle andern Kämpfe, in denen, wie du mit Recht klagst, übermütige Leute die Kirche spalten und verwirren, jetzt beiseite lassen. Die Meinungsverschiedenheit, die auch uns heute beschäftigt und unter sonst frommen, guten Männern sich erhoben hat, mahnt uns schon mehr als genug durch ihren schlimmen Anfang und um nichts glücklicheren Fortgang, wie sehr wir nach Frieden und Eintracht unter uns streben sollten. Hätten doch auch andere die Gesinnung, die ich an dir bemerke! Denn wenn dann überhaupt noch ein Zwist bliebe, so bleibe er doch ohne Gehässigkeit und Bitterkeit in seinen sachlichen Grenzen.
Zwar ist es schon schmerzlich, dass wir, an Zahl so wenige, die dasselbe Evangelium bekennen, just über das heilige Abendmahl, das das Hauptband unserer Einigkeit sein sollte, zu verschiedenen Meinungen gekommen sind; aber das ist doch noch ärger, dass dieser Kampf so feindselig geführt wird, als hätten wir nichts gemeinsam in Christo. Denn die Mehrheit der von uns Abweichenden wütet, von einem mir unverständlichen Trieb gereizt, so maßlos gegen uns, als ob wir eine ganz andere Religion hätten. Da die Lehrverschiedenheit anfänglich so groß war, wunderts mich nicht, dass Luther, heftiger Natur wie er war, grob dreingefahren ist. Jetzt aber, da man doch in Hauptpunkten übereingekommen ist, nämlich über den Zweck, zu dem der Herr die Sakramente eingesetzt hat, über ihren rechten Gebrauch, über ihre Wirksamkeit, ihren Wert und Nutzen für uns, da könnte, was noch strittig bleibt, maßvoller behandelt werden. Was mich betrifft, so habe ich ganze fünfzehn Jahre lang in guten Treuen versucht, soweit es das ehrliche Bekenntnis der Wahrheit litt, meine Lehrart dem Zweck der Vermittlung im Streite anzupassen, bis mich die Aufdringlichkeit Eures Westphal in den gehässigen Kampf hineinriss, und doch habe ich, was dadurch an bittern Gefühlen mir abgepresst wurde, sorgsam zusammengehalten, um nicht außer Westphal noch andere hineinzuziehen, und ich werde mir stets Mühe geben, dass durch meine Schuld die Kirchen nicht zerspalten und auseinander gerissen werden und dass keiner von mir verletzt wird, als wer mir absichtlich den Krieg erklärt hat. Ja, obschon Schnepf und ein mir unbekannter Phantast mich frech gereizt haben, will ich lieber schweigen, als um nichts Lärm schlagen. Denn wenn du schreibst, wenige von uns verstünden überhaupt die Ansicht Eurer Kirche, so wäre tatsächlich nicht schwer zu beweisen, dass lange nicht alle bei Euch die gleiche Meinung haben, wenn man all die widersinnigen Dinge, die sich in den Schriften mancher Eurer Theologen finden, sammeln und verfolgen wollte. Den einen Punkt freilich vertretet Ihr alle einmütig, wie ich sehe, nämlich dass jeder, der zum Abendmahlstisch tritt, der Gottlose wie der Gläubige, Christi Fleisch substanziell isst und sein Blut trinkt. Dass die Gläubigen im Abendmahl wirklich und substanziell mit Christi Fleisch und Blut gespeist werden, leugne ich nicht, wenn nur die Art, wie es geschieht, so beschrieben wird, dass durch die geheimnisvolle Wirkung des Geistes Christi Fleisch und Blut ihre Kraft auf uns übertragen. Warum du mich zu mehr bringen willst, verstehe ich nicht, denn ein sehr guter Grund hindert mich, eine andere Mitteilung [als diese geistige] anzunehmen; denn dass wir tatsächlich Christi Fleisch herunterschlucken und es sich mit unserm vergänglichen Fleische vereinigte, wäre doch eine zu krasse Vorstellung. Wenn du meinst, ein so großes Geheimnis dürfe eben nicht nach fleischlichem Sinne beurteilt werden, so gebe ich das zu, und nichts anderes weise ich von mir, als was der Glaube selbst als unvereinbar mit der Ehre Christi feststellt. Dazu kommt noch, dass Christi Leib in so substanzieller Weise nicht gegessen werden kann, wenn wir nicht annehmen, er sei räumlich unbegrenzt, was von der Schriftlehre nicht weniger abweicht als von allen Zeugnissen der alten Kirche. Denn wenn einige Eurer Theologen das behaupten und des Durchwaltung der Welt nennen, um uns zu überzeugen, Christi Leib sei zugleich sterblich am Kreuz und glorreich im Himmel gewesen, so straucheln sie aus Unkennntis und treffen durchaus nicht das, was für die alten Kirchenlehrer der Ausdruck Durchwaltung der Welt bedeutete. Auch du, trefflicher Mann, mit deiner Erlaubnis sei es gesagt, irrst dich ein wenig, wenn du meinst, wir verwechselten, was uns im Abendmahl gegeben werde. Denn an verschiedenen Stellen habe ich es deutlich ausgesprochen, dass Christi Heilsgüter nicht unser werden, bis er selbst unser ist, und in meiner Institutio glaube ich klar genug geredet zu haben, wenn ich sage, die Materie oder Substanz des Abendmahls sei der gekreuzigte Christus selbst, die Kraft, die Wirkung, oder die Frucht aber ist, so lehre ich, das, was wir durch sein Sterben erlangen, nämlich Versöhnung aus Gnaden, neues Leben und himmlische Seligkeit. Das Wort „Wirksamkeit“ brauche ich, nicht um zu vermischen, was auseinander gehalten werden muss, sondern bloß, um eine substanzielle [magische] Durchdringung abzuweisen. Ich sage also: wir werden wirksam von Christi Fleisch und Blut gespeist, weil Christus durch die wunderbare und unbegreifliche Macht seines Geistes bewirkt, dass wir eins werden mit ihm; Leben schaffend soll uns sein Fleisch sein; sein Leben soll in unsere Seelen dringen. Auch bei dem zweiten Hauptpunkte wundert es mich, dass Ihr nicht sorgsamer auf die vielen Absurditäten achtet, zu denen die Annahme führt, dass Würdige und Unwürdige zugleich ohne Unterschied Christi Fleisch essen. Denn wie Eure Annahme von der substanziellen Art des Essens Christi Fleisch von seinem Blute trennt, so reißt dieses gemeinsame Essen seinen Leib und Geist auseinander und nimmt ihm alle Lebenskraft. Was soll das für ein Aufnehmen Christi sein, wenn sein Leib im Bauche eines Gottlosen tot liegt? Wenn dagegen eingewendet wird, es richte sich an alle gemeinsam das Wort: „Das ist mein Leib“, so ist das mühelos zu widerlegen. Denn nichts steht dem im Wege, dass zwar Christus sich wahrhaft allen anbietet, aber doch keiner ihn aufnehmen kann, außer wer dazu fähig ist. Dass ich diese Art der Lehre nicht aus Trotz festhalte, sondern weil ich mich durch die Schriftautorität dazu verpflichtet fühle, dafür ist Gott mein bester Zeuge. Es pflichtet mir darin auch das allgemeine Urteil der alten Kirche bei; zum Beweis genüge uns, da ich nun nicht näher darauf eintreten kann, das eine Wort Augustins: die andern Jünger aßen als Brot den Herrn, Judas nur das Brot des Herrn (Hom. zu Joh. 19). Wenn irgendjemand, so wünsche also auch ich eine wahre, ehrliche Übereinstimmung, nur muss sie Gott selbst mit seinem Worte bekräftigen. Auch das Augsburgische Bekenntnis weise ich nicht ab, das ich längst gern und willig unterschrieben habe, so wie sein Verfasser selbst es ausgelegt hat. Wenn doch nur den Fürsten unsere Zerspaltung so große Sorge machte, wie sichs gehörte, dass sie durch eine Zusammenkunft frommer Theologen die Kirchen zu vereinigen suchten! Aber von wem sie stets wieder zum Hass gegen uns aufgestiftet werden, ist ja nicht unbekannt. Das möchte ich dir vor Gottes Angesicht sagen, dass du weißt: Zu der Lehre, die ich angenommen habe, hat mich mein Gewissen und die Furcht Gottes geführt, und nichts kann mich davon wegreißen. Doch will ich mich in ihrer Verteidigung ruhig verhalten, so weit mir Eure Leute das erlauben, wie ich es bekanntlich vor Westphals maßlosem Angriff getan habe. Andrerseits ermahne ich auch dich, hochgeachteter Mann, erwäge die ganze Sache wohl, und was recht ist, nimm unbedenklich an. Lebwohl. Der Herr leite dich stets mit seinem Geiste; er erhalte dich in seiner Hut und segne dein Wirken zur Erbauung seiner Kirche.
Genf, 25. März 1557.